© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
Aufstand der Elite
Hochschullehrer warnen vor einer Massenabwanderung von Spitzenkräften ins Ausland
Christian Vollradt

Der Stellenwert der Bildungspolitik im Kabinett Schröder bleibt bis zum heutigen Tage nicht richtig erkennbar. Zur Chefsache hat der Bundeskanzler die Bildung jedenfalls noch nicht erklärt. Eigentlich unverständlich, da hier die Weichen für den wirtschaftlichen Auf- oder Abschwung einer Gesellschaft am ehesten gestellt werden.

Nun ist Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn aber deutlich in den Schlagzeilen und mit ihr die deutsche Universität. Dazu verhalf weniger die bereits im vergangenen September angekündigte, demnächst auf der Tagesordnung des Bundestages stehende Reform des Dienstrechts für Professoren als viel- mehr der Protest dagegen. Der äußerte sich eindrucksvoll in einer vierseitigen Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen am Mittwoch letzter Woche. 3.759 Universitätslehrer hatten den vom Deutschen Hochschulverband (DHV) initiierten Aufruf "Schützt die Universitäten vor der Abwanderung ihrer Spitzenkräfte" namentlich unterzeichnet.

Der Präsident des DHV, der Kölner Völkerrechtler Hartmut Schiedermair, hatte bereits letztes Jahr aus Protest gegen das Reformvorhaben die von Bulmahn einberufene Expertenkommission verlassen. Hauptkritikpunkte des Verbandes an der Reform sind die Senkung der Ausgangsgehälter für Professoren, die Abschaffung der Habilitation und die Einführung sogenannter Juniorprofessuren (anstelle der Wissenschaftlichen Assistenten). Die Juniorprofessoren sollen schneller unabhängig forschen und lehren können, entlastet von Zeit- und Arbeitsaufwand der Habilitation.

Vernachlässigt wird dabei jedoch, daß in den Ingenieur- und Naturwissenschaften schon heute die Habilitation nicht mehr ausschlaggebend für eine Professur sein muß. In den Geisteswissenschaften gilt sie jedoch als beste Qualifikationsgrundlage. Ob demgegenüber die anstelle dessen im Ausland häufig geforderte Vorlage des "zweiten Buches" den jungen Wissenschaftler entlastet, mag bezweifelt werden. Durch die oben genannten Maßnahmen – so die Unterzeichner – werde die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Universitäten stark beeinträchtigt, da Anreize für eine akademische Laufbahn wegfielen.

Dem widersprachen in einem Offenen Brief an die Ministerin 464 im Ausland forschende deutsche Wissenschaftler, die die Reformen unterstützen. Die meisten der Unterzeichner, die angeben, sie seien gerade wegen der "nicht mehr zeitgemäßen, unangemessen hierarchischen Strukturen" an deutschen Hochschulen ins Ausland gegangen, arbeiten an US-amerikanischen Universitäten – von denen einige vergangenes Jahr auf dem Besuchsprogramm von Ministerin Bulmahn standen! Befürworter wie Gegner der Dienstrechtsreform, die nur der Anfang einer umfassenden Umstrukturierung der Hochschullandschaft sein soll, warnen vor dem sogenannten brain drain, dem Akademiker-Exodus in die Vereinigten Staaten. Eine vom Ministerium in Auftrag gegebene Studie besagt, daß 14 Prozent der in Deutschland promovierten Wissenschaftler nach Amerika abwanderten. Auch ist ein dramatischer Verlust an Hochschulabsolventen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten zu verzeichen, der sich in der auch von Mangel an Führungspersonal gekennzeichneten hochtechnologisierten Computer Branche wohl am deutlichsten ablesen läßt.

Als Gegenmaßnahme werden in umgekehrter Richtung die Übernahme von Juniorprofessur und akademischen Graden wie "Bachelor" oder "Master" aus dem Angelsächsischen beschlossen, was einmal mehr die "imitatorische Genialität unseres Volkes" (Arnold Gehlen) beweist. Auffallend ist, mit welcher Begeisterung ausgerechnet sozialdemokratische Politiker – führend dabei der niedersächsische Wissenschaftsminister und Ex-Juso Thomas Oppermann – das amerikanische Modell als Vorbild anpreisen. Daß sie jenseits des großen Teiches allerdings nicht die (unter-)durchschnittlichen staatlichen, sondern die renommierten und mit einem immensen Stiftungskapital ausgestatteten Elite-Unis vorgeführt bekommen, wird gern übergangen. Den deutschen Universitäten fehlen in erster Linie nicht Dienstrechtsreformen, sondern Milliarden aus den Etats der Bundesländer.

Was die derzeitige prekäre Lage der Hochschulen in Deutschland offenbart, ist das Scheitern jener zu Beginn der siebziger Jahre mit dem Schlachtruf "Demokratisierung" eingeführten Gruppenuniversität. Die Forderung nach Entprivilegisierung der Professoren (ähnlich klingt es im Bulmahnschen Reformvorhaben wieder an) bedeutete damals keineswegs die Abschaffung von Herrschaft, sondern die Partizipation an ihr ein. Gerade daher strebten so viele der damaligen linken Protagonisten, die heute unter "Neue Mitte" firmieren, eine universitäre Karriere an. Daß in dieser Zeit eine stattliche Anzahl von Professoren ohne Habilitation zu ihrem Lehrstuhl kam, ist ein Menetekel. Der Kölner Soziologe Erwin K. Scheuch, Mitunterzeichner des Hochschulverbands-Protestes, warnte bereits vor dreißig Jahren, daß der Entscheidungsprozeß durch "Demokratisierung" nicht transparenter, sondern im Gegenteil durch die Vielzahl der beteiligten Gremien undurchschaubar und deswegen unverantwortlicher werde. Jeder der einmal die Gelegenheit wahrnehmen konnte, die Arbeit von Fachschaftsrat, Senat oder Konzil aus der Nähe zu betrachten, wird dieses Votum bestätigt finden. Mit einer Beteiligung von durchschnittlich unter 20 Prozent an den Wahlen der Selbstvertretungsorgane zollt die Studentenschaft dieser Undurchschaubarkeit Tribut.

Daß die deutschen Universitäten nicht selten sowohl auf Lehrende als auch auf Lernende reizlos wirken, mag darüber hinaus an einem mangelhaft ausgeprägten Gemeinschaftsbewußtsein liegen. Doch während das traditionell Korporative unerwünscht und – nicht ohne Selbstverschulden entsprechender Vereinigungen – weitgehend aus dem akademischen Alltag verschwunden ist, erschallt in den universitären Gremien der Ruf nach corporate identity, die – dem angelsächsischen Muster folgend – mit bedruckten Schirmmützen und Schlipsen inszeniert wird. Alles, was halt die modernen "Image-Kampagnen" so auszeichnet. In den vom 68er-Umbruch nach westlichem Vorbild verschonten Universitäten Mitteldeutschlands ist dagegen eine Wiederaufnahme akademischer Gepflogenheiten zu beobachten, so in feierlichen Semesteranfangsgottesdiensten und bei der Verwendung universitärer Insignien.Damit kann der Einsicht Rechnung getragen werden, daß sich der Mensch nicht nur durch Vernunft, sondern auch durch Symbole seiner Existenz versichert.


 
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