© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Die Zeit ist reif
Deutsche Ortsnamen in Oberschlesien: Wann ist mit zweisprachigen Ortsschildern zu rechnen?
Adrian Sobek

Seit dem Januar 1990 ist nunmehr die deutsche Volksgruppe – oder wie sie offiziell heißt: Minderheit – in Polen offiziell anerkannt und kann inzwischen auf bemerkenswerte politische Erfolge verweisen. Beachtliches wurde in den zehn Jahren geleistet; Schulen mit muttersprachlichem Unterricht, deutsche Chöre, Orchester, Radio und Fernsehsendungen und deutsche Gottesdienste gehören wie selbstverständlich zum Erscheinungsbild der in Oberschlesien verbliebenen Deutschen. In der nach der Verwaltungsreform neustrukturierten Wojewodschaft Oppeln bilden die Vertreter der Deutschen die stärkste Fraktion im Sejmik, dem Landtag. In einer großen Anzahl der Gemeinden stellt also die Minderheit die Mehrheit. Unüberhörbar aber ist deswegen das Anliegen der deutschen Bevölkerung, ihren jeweiligen Heimatort auch offiziell beim – deutschen – Namen nennen zu dürfen. Was in der Wojewodschaft Niederschlesien mit der Hauptstadt Breslau seit einiger Zeit selbstverständlich ist, nämlich sich zur deutschen Vergangenheit dieser preußischen Provinz zu bekennen, sich stolz einen Aufkleber "Ich bin ein Niederschlesier" mit dem schlesischen Adler aufs Auto zu kleben, eifrig Spurensuche zu betreiben und sogar die alten deutschen Denkmäler zu suchen – ähnliches erlebt man auch in der neugeschaffenen Wojewodschaft Schlesien mit Kattowitz an der Spitze.

Bereits jetzt bekommt man in den Geschäften Nachdrucke alter Postkarten, die in manchen Fällen zusätzlich die jetzige polnische Bezeichnung tragen. Auch die offiziellen polnischen Behörden und Institutionen sprechen in ihren deutschen Veröffentlichungen wie selbstverständlich von Breslau, Bielitz, Krakau oder Thorn. In der Wojewodschaft Oppeln hingegen wird – trotz eines deutschen Bevölkerungsanteils von etwa 30 Prozent – weiterhin konsequent von "Opole" gesprochen, und der Gebrauch deutscher Ortsbezeichnungen steht immer noch unter dem Verdacht des Revanchismus. Hierbei sei anzumerken, daß niemand, nicht einmal unter den vermeintlich radikalen Kräften, den nach 1945 ins Land hineingeströmten Polen ihr Heimatrecht mit all den dazugehörigen Konsequenzen abstreitet. Der mittlerweile verfestigten polnischen Realität kann man nicht entrinnen, man will nur ein Stück schlesischer und deutscher Realität hinzufügen, und dazu gehört neben der Rückgabe der deutschen Vor- und Zunamen auch das Recht, den Wohnort beim deutschen Namen zu nennen.

Im übrigen Europa ist die Benutzung zweisprachiger Ortsbezeichnungen längst internationaler Standart, denkt man nur an die Sorben in der Lausitz, die Deutschen in Belgien oder die Schweden in Finnland.

In Oberschlesien wird die Diskussion zusätzlich durch die Tatsache erschwert, daß in den dreißiger Jahren, hauptsächlich seit 1936, im Deutschen Reich eine Umbenennung der Ortsnamen stattgefunden hat, die die slawisch klingenden oberschlesischen Ortsnamen wie Chrzumchütz, Goradze oder Pohlom ganz im "germanisierenden" Geist der Zeit in Schönkirch, Waldstein und Ostwalde umtaufte. Allein in Oberschlesien waren 465 Ortschaften betroffen. Die Beschlüsse zur Namensänderung sind damals von den einzelnen Gemeinderäten getragen worden und erfolgten durch Erlaß des Oberpräsidenten in Breslau.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die gegenwärtige deutsche Rechtslage zur Verwendung ostdeutscher Ortsnamen. In der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Paßgesetzes heißt es im Paragraph 60 Absatz 2:

"Bei der Bezeichnung von Orten außerhalb des Personenstandsgesetzes ist die dort geltende Bezeichnung zu verwenden und, sofern eine nähere Kennzeichnung nicht ausreicht, daneben der Staat zu vermerken. Gibt es für einen solchen Ort außer der fremden auch eine allgemein gültige deutsche Bezeichnung, so ist diese verwenden."

Das Land Nordrhein-Westfalen geht in seiner Rechtsverordnung noch weiter. Dort heißt es: "Gibt es für einen Ort außer der fremdsprachlichen auch eine allgemein übliches deutsche Bezeichnung so ist diese zu wählen. Als ’allgemein üblich‘ ist die deutsche Bezeichnung eines Ortes, der außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes liegt, dann anzusehen, wenn sie zumindest regional oder bei bestimmten Bevölkerungsgruppen gebräuchlich oder bekannt ist. Dabei kommt es weder auf die Größe und Bedeutung der Orte noch darauf an, ob sie in Grenznähe, in den Staaten Mittel- und Osteuropas oder im übrigen Ausland liegen." Gemäß der deutschen Rechtsverordnung sind demnach die amtlichen Bezeichnungen nach der Umbenennung maßgeblich. Der Standpunkt der Bewohner Oberschlesiens fällt in den einzelnen betreffenden Orten recht unterschiedlich aus, so wollen die Benkowitzer nichts von Berendorf (seit 10. Juni 1936) die Grudener (ab 19. Mai 1936) nichts mehr von Grudschütz wissen.

Es bleibt zu hoffen, daß die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Polen im Rahmen des Vertrages über gute Nachbarschaft und freundliche Zusammenarbeit dieses Problem unter Mitbestimmung der Betroffenen lösen. Die Zeit dafür ist reif.


 
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