© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Tief ins kulturelle Gedächtnis eingegraben
Eine Tagung untersuchte die Kriegserfahrungen im Weltbürgerkrieg
Kai Zirner

Die 43. Internationale Tagung für Militärgeschichte des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA), die vom 12. bis zum 15. März in Potsdam stattfand, leistete Beachtliches. Wo trifft man schon einmal Geschlechterhistorikerinnen, Sozial- und Kulturwissenschaftler aus Deutschland, England, Frankreich und der Schweiz und Träger der bewaffneten Macht des deutschen Staates relativ einträchtig nebeneinander versammelt? Hier zog das Tagungsthema "Krieg – Kriegserlebnis – Kriegserfahrung in Deutschland 1914–1945" über 130 Wissenschaftler und zahlreiche Pressevertreter an, die ergründen wollten, wie sinnvoll die Rede des amerikanischen Historikers Arno J. Mayers von einem neuen "Dreißigjährigen Krieg" für die Weltkriegsepoche sein könnte. Wie es derzeit Mode ist, wurde das Thema vorwiegend aus kultur- und mentalitätsgeschichtlicher, "weibliche Kriegserfahrungen" (Ute Daniel) ebenso wie "Erfahrung und Verarbeitung von Kriegsgefangenschaft" (Rüdiger Overmans) umfassender Perspektive erörtert, wenn auch manch erfahrener Kämpe alten Wein in zudem noch alten Schläuchen darbot. So etwa der vormalige Chefhistoriker des MGFA, Wilhelm Deist, der sich undifferenziert über das Chaos und die Polykratie im Kaiserreich während des Weltkrieges ausließ. Das klang so, als ob ausgerechnet er den Krieg mit einer effizienten Organisation hätte gewinnen wollen.

Bei der angesprochenen Konstellation des Auditoriums kamen hübsche Wortwechsel auf. Bernd Wegner von der Universität der Bundeswehr (Hamburg) bot beispielsweise der Geschlechterhistorikerin Ute Daniel die Rolle des Chefideologen der Dolchstoßlegende an, den diese bei Ausschluß des militärischen Teils ("Im Felde unbesiegt") gerne annehmen wollte. Nirgends sei die soziale Köhasion zu Beginn des Ersten Weltkrieges so groß wie in Deutschland gewesen, so Daniel, nirgends habe dann eine so große Enttäuschung nach Verlust dieser Kohäsion geherrscht. Weniger hübsch war dagegen Karen Hagemanns von keiner historischen Kenntnis getrübter Vorschlag, von einem angeblichen Rassediskurs in Soldatenzeitungen an der Ostfront des Ersten Weltkrieges eine gerade Linie zur nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zu ziehen. Wer Feind- und Fremdbilder ex post nach der Methode Goldhagen "analysiert", sollte sich nicht wundern, wenn er als Historiker nicht mehr ernst genommen wird.

Bei der vergleichenden Betrachtung der Weltkriege überwog in den Vorträgen eher das Trennende: ob es sich um die deutsche Besatzung in Weißrußland (Bernard Chiari, siehe JF 11/01), die deutsche Militärgerichtsbarkeit, die zwischen 1914 und 1918 nur 48 Todesurteile vollstrecken ließ, zwischen 1939 und 1945 jedoch 15.000 (Christoph Jahr), oder den Wandel des Offizierkorps von einer Macht- zur Funktionselite handelte (Bernhard R. Kroener). Dabei ist zu bemerken, daß letztlich auch die Bundeswehr wie die Wehrmacht eine Funktionselite ist und unter veränderten Bedingungen einen uneingeschränkten Primat der Politik anerkennt. Bei Jürgen Försters Vortrag über die Propaganda im Heer schienen ebenfalls die Diskontinuitäten zwischen den beiden Weltkriegen stärker akzentuiert zu sein. Förster deutete die Installierung der Propaganda im Heer als Zeichen der Schwäche, was Ute Daniel – man höre und staune! – umgehend mit dem Verweis auf die erfolgreiche Greuelpropaganda der Alliierten schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges bestritt.

Im Vordergrund standen auf der Tagung die Wahrnehmungkategorien an der Kriegs- und Heimatfront, letzteres ein Neologismus des Ersten Weltkrieges, für den noch die Urheberschaft gesucht wird. Wie tief sich der "Great War", also der Erste Weltkrieg, nicht nur in das "kulturelle Gedächtnis", sondern auch in die Landschaft eingegraben hat, demonstrierte Annegret Jürgens-Kirchhoff anhand der Kriegsmalerei. Die Transformation der Natur in ein konturenloses Schreckbild ließ Künstler wie Otto Dix die anfängliche Euphorie ablegen und den Krieg als Apokalypse wahrnehmen.

Der ehemalige DDR-Historiker Fritz Klein wies zu Recht darauf hin, daß in der Schilderung der Kriegsverarbeitung nach 1945 beharrlich die SBZ bzw. die DDR ausgeblendet würde. Dies hinderte Hans-Erich Volkmann in seinem pompös inszenierten Abendvortrag jedoch nicht, den Blick erneut auf die westdeutsche Gesellschaft zu verengen und hier die doch irgendwo schon einmal gehörte Verdammung der Wehrmacht bei gleichzeitigem Lob der Bundeswehr feilzubieten.

Das Resümee der Tagung zog Altmeister Wolfgang J. Mommsen höchstselbst. Erstaunlich war, daß er als Ausweg in der Krise Weimars, der er als Dekompositionsphase des Kaiserreiches die Rolle eines eigenständigen Abschnittes deutscher Geschichte absprach, einzig eine autoritären Lösung à la Schleicher sah. Erstaunlich auch seine Rede von einem "Weltbürgerkrieg", der im Ersten Weltkrieg begonnen hatte und 1989 geendet habe. Das hat man zwar schon anderenorts gehört, aber von Wolfgang J. Mommsen auf einer militärgeschichtlichen Tagung? Die Tabus scheinen zu fallen, dies gilt sowohl für die frühere Berührungsangst der Universitätshistoriker gegenüber der Militärgeschichte als auch für die vormals teilweise mit einem sehr engen Begriff von Militärgeschichte arbeitenden Historiker des MGFA. Wenn nun noch die international vergleichende Perspektive, die Professor Cezary Król von der Polnischen Akademie der Wissenschaften im Hinblick auf die von polnischer Hand verübten Judenmorde in Jedwabne und Bernhard Chiari im Hinblick auf die Kollaboration in der weißrussischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg ansatzweise einbrachten, verstärkt Berücksichtigung findet, dann steht der "neuen" Militärgeschichte eine spannende Phase bevor.


 
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