© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Propheten der Spaßgesellschaft
Kölner Lokalpatriotismus: Wer über den Fremden lacht, braucht ihn nicht zu hassen
Klaus Kunze

Daß dat Hätz vun der Welt in Kölle schlät, weiß in Köln jedes Kind. Mir sin mir, und wer jet will, der kann jo kumme. – Deutscher Selbsthaß geht die Kölner nichts an: Mer sin Kölsche, un dat es jet, wo mer stolz drop sin. Probleme mit der Leitkultur? Kein Problem: Als "deutsche Leidkultur" wurde sie beim Rosenmontagszug 2001 veralbert. Nationalstolz? Keines Nachdenkens wert: Römisch, fränkisch, kaiserlich, französisch, deutsch – alles Episoden. Köln fühlt kölsch, nichts sonst.

Sollten Heimatliebe und Heimatstolz "rechts" sein, sind alle Kölschen schlimme Rechtsradikale. Sie ahnen es bloß nicht. Jeder dritte aktuelle Hit enthält eine Liebeserklärung an die Heimat. Üvverall wo mir sin es Kölle – wenn Konzerte lokaler Musikgruppen wie Höhner oder Bläck Föss emotionale Höhepunkte erreichen, fallen Zigtausende mit Feuerzeuglichtern in einen kollektiven Taumel. Hymnische Beschwörungen der Vaterstadt steigen gen Himmel. – Hey Kölle, Du ming Stadt am Rhing. Keine andere Stadt wird von ihren Kindern so heiß geliebt wie Mutter Colonia.

Fremde halten die Kölner Musikszene für karnevalistisch. Tatsächlich gibt es hier eine moderne, kreative Musikkultur. Der Rest der Welt mag englischsprachig rocken: Köln rockt kölsch. Spitzenbands wie BAP und Brings stehen englischsprachigen Musikern in nichts nach. Ihre Lieder sind in Köln zu Gassenhauern geworden. "Superjeile Zick" (Brings) oder "Die Karawane zieht weiter" (Höhner) pfeifen die Spatzen ganzjährig von den Dächern.

Hochdeutsch singende Kölner wie Wolfgang Petry gelten in ihrer Heimatstadt eher als zweite Wahl. Subkutan verabreichen die Liedtexte handfeste Ideologie. He hilft dä Schmitz dem Ali flück ens widder op de Bein, und der Himmel soll auch für einen alten Landstreicher widder op (Höhner) gehen. So wie heutige Ausländer sind wir angeblich alle als Römer, Franzosen oder Flüchtlinge he hin jekumme. Mer spreche hück all dieselbe Sproch. Mer han dadurch su vill jewunne. Mer sin wie mer sin, mer Jecke am Rhing, dat es jet, wo mer stolz drop sin! (Bläck Fööss). Allen geliebten Fremden der Welt rufen die Höhner zu: Kumm eren, du bes immer jän gesinn! Gegen "Rechtsradikalismus und Fremdenhaß" beschwören die Kultbands der Stadt offiziell Multikulti. Faktisch läuft es auf die seit 2000 Jahren erprobte Verschmelzung und Einkölschung aller Fremden hinaus. Ein bißchen Pizza- oder Dönerfolklore stört darum nicht. Auf die kölsche Lebensart kommt es an, denn die Levvensaathat jeder Kölsche üvverall met im Jepäck. – "Levve un levve losse" – wer so denkt, jehört dozo (Höhner). Wer nicht, gehört offenbar nicht dazu.

Der Pferdefuß der frohen Botschaft an Allewelt, die sich in Köln versammeln und met klüngele, bütze, fiere soll: Akzeptiert wird letztlich nur, wer kölsch zu werden bereit ist. Für Europäer jeder Herkunft ist der Assimilierungssog unwiderstehlich. Kölsch sein macht Spaß. Nur die über 100.000 Türken in Köln pfeifen auf Multikulti wie auf "Leben und leben lassen". Sie igeln sich ab und wurden bisher weder kölsch noch deutsch. Jungtürken werden Jahrgang für Jahrgang bei den Schull- un Veedelszög mit durch die Stadt geschleppt, ohne jeck fürs Leben zu werden.

Die kölschen Jecken für irrational oder im hochdeutschen Sinne für Narren zu halten, verstünde sie miß. Die kecke kölsche Aat ist theoretisch analysierbar: auf ungefähr 100 engbedruckten Seiten. Sie beruht auf einer handfesten Lebensphilosophie und einem kohärenten Weltbild. Teilt man seine Prämissen, sind die Folgerungen vernünftig. Was zählt, ist das konkrete Einzelne, nicht das eingebildete Reich nebliger Ideen. Das Ding an sich ist dem Kölschen fremd, weil man es nicht anfassen kann. Mißt man die Welt nicht ständig an selbstgestrickten Idealen, spricht nichts gegen ungebremste Lebensfreude. Bands wie die Höhner sind Propheten der Spaßgesellschaft, und sie haben viele Jünger. Liegen wir erst met dem Asch im Köhlfach (Höhner), ist es zu spät.

Daß nach dem Tod nichts mehr kommt, wird vorausgesetzt. Transzendenz oder ein Jenseits hat in diesem Denken keinen realen Platz. Der "Himmel" ist bloß noch Metapher, da sitzt dä Petrus bestemmp met enem Kölsch om Balkon. Wie der liebe Gott darf er noch eine Nebenrolle als Metapher spielen, wo dies die wunderbare Größe Kölns erhöht. Daß er nur den Kölschen zuliebe den schönsten Fleck der Erde geschaffen hat, gilt als sicher: "Doch maat mer kei Deil dovun kapott, söns nemm ich et üch widder fott!" (Bläck Fööss).

Seit der Schlacht bei Worringen 1288 war die Stadt kein Fürstensitz mehr. Untertänige Demut ist nicht ihre Sache. Erhebt sich einer noch so hoch: Flüch et noch so huh – et kütt alles widder op de Ääd zoröck (Brings). Jede Autorität, vor allem aber die angemaßte, hohle Geste, reizt den Kölner unwiderstehlich zum Spott. Dann kriegt er Lust, mein Maul nicht zu halten, wenn ich soll. Aber das wichtigste: Uvver sich selbst laache künne, dat es de Kunst (Höhner).

Ironische Distanz auch zu sich selbst erfordert und beweist innere Kraft und pralles Selbstbewußtsein, an dem es anderen Deutschen oft fehlt. Kein Schuldgefühl knickt die kölsche Seele: Schon 1945 fühlte sich die grausam zerbombte Stadt zu Recht doppelt als Opfer: Die NS-Ideologen kamen wider Willen über sie, doch bei der Haftung fragte danach keiner – vor 1945 nicht und nach 1945 nicht. Als Amerikaner wild mit MPs fuchtelten, soll ein Passant gerufen haben: "Sit ehr dann nit, dat he Lück ston?" 1949 lachten und sangen die Kölschen über sich als Eingeborene von Trizonesien. Wer – auch über den Fremden – lacht, hat keine Furcht, und wer ihn nicht fürchtet, braucht ihn nicht zu hassen.

Die Kunst der ironischen Brechung aller Anmaßung, aller Zumutung und allen Leides ist der Kraftquell für stolze Gelassenheit. Eine Lage mag noch so hoffnungslos sein, darum aber noch lange nicht ernst. Die Tränen, die wir lachen, brauchen wir nicht zu weinen (Höhner). Nähmen die Deutschen ein Stück kölsche Lebensart an, hätten sie eine ganze Menge eingebildeter, bloß feuilletonistischer Sorgen nicht.


 
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