© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
"Den Druck aufrechterhalten"
Grüner Streit um Castor: Der Bundestagsabgeordnete Albert Schmidt vertritt den Konsens, der niedersächsische Landtagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Enno Hagenah fordert Nachbesserungen
Moritz Schwarz / Björn Rusinowski

Herr Schmidt, Sie unterstützen den rot-grünen Atomkonsens. In dieser Woche exekutieren ein grüner Umweltminister und ein ex-grüner Innenminister die einst so erbittert bekämpften Castor-Transporte. Beschleicht Sie da nicht doch ein komisches Gefühl?

Schmidt: Ich habe großes Verständnis dafür, daß die Menschen vor Ort beunruhigt sind und ihren Protest gegen den Betrieb von Atomkraftwerken generell zum Ausdruck bringen. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen diesen und früheren Transporten, die Teil einer unendlichen Geschichte waren. Heute dagegen gibt es ein vereinbartes Ausstiegsszenario.

Der Atomkonsens hatte die Mehrheit in der Partei, wie aber ist jetzt die Stimmung, da die Transporte tatsächlich rollen?

Schmidt: Natürlich bewegt das die grüne Parteibasis überall im Lande. Aber mein Eindruck ist, daß die Parteimitglieder und die Wählerinnen und Wähler ganz überwiegend sehr genau unterscheiden zwischen der früheren und der jetzigen Situation und daß vor allem klar ist: Diese Transporte müssen sein, denn es handelt sich hier schlicht um die Rücknahme früheren deutschen Müll-Exports.

Dennoch bejaht die Fraktionsvorsitende der Grünen in Niedersachsen, Rebecca Harms, Störaktionen gegen den Transport.

Schmidt: In der Tat nimmt Rebecca Harms da eine andere Position ein als die, die auf dem Parteitag in Stuttgart beschlossen wurde. Ich sehe hier allerdings keinen grundsätzlichen, sondern allenfalls einen graduellen Unterschied. Daß den Niedersachsen das ganze Atomausstiegsszenario zu lange dauert, verstehe ich sehr gut. Aber wir müssen nun das vereinbarte Szenario von unserer Seite einhalten, denn sonst wird sich die Gegenseite auch nicht mehr daran gebunden fühlen.

Es wird immer bunter, da streiten Konsensverfechter der Parteiführung, die "Nachbesserer" um Frau Harms und die "Transport-ist-Verrat"-Grünen im Wendland. Stehen Abspaltungen bevor?

Schmidt: Nein, ich glaube, daß man in der Partei sehr genau weiß, um was es jetzt geht. Denn im Ernst, soll der Dreck jetzt bei den Franzosen bleiben?

Jürgen Trittin fachte einst den Kampf gegen den Castor mit aller Unversöhnlichkeit an. Heute ruft er die so auf die Straße Getriebenen zur Ordnung. Er ist immer im Mittelpunkt, Leute, die unverbrüchlich an ihrer Linie festgehalten haben, sind dagegen an die Seite manövriert. Tanzt Trittin auf allen Hochzeiten?

Schmidt: Ohne den Konsens würde jeder von uns heute wieder genauso demonstrieren wie früher. Infolgedessen ist das kein Tanz auf allen Hochzeiten, sondern ein klares Resultat aus – unterm Strich – erfolgreichen Verhandlungen, die ja alle Seiten mit einbeziehen mußten.

Aber haben die Demonstranten nicht recht, da ein von einer Vier-Jahres-Regierung garantierter Ausstieg über mehrere Jahrzehnte doch offensichtlich Augenwischerei ist?

Schmidt: In einer Demokratie kann nun mal jedes Gesetz auch wieder verändert werden. Was aber nicht so ohne weiteres revidierbar ist, sind Investitions- und Strukturentscheidungen. Tatsache ist, daß durch den Konsens der Atomtechnologie jetzt schon die Studenten wegbleiben. Investoren stecken kein Geld mehr in diese Technik. Statt dessen erlebt der Ausbau der erneuerbaren Energien einen Boom. Diese Investitionen bleiben auch über einen erneuten Regierungswechsel hinaus bestehen. Der Atomkonsens ist mehr als eine Wahl-, er ist eine Strukturentscheidung. Das macht ihn unumkehrbar.

Nach dem Krieg, den wir unter Rot-Grün im Kosovo geführt haben, ist der Atomkonsens der nächste Großangriff auf das grüne Selbstverständnis. Fürchten Sie bei diesem moralischen Auflösungsprozeß nicht um die Psyche der Grünen?

Schmidt: Es geht doch jetzt nicht darum, mit unserer Gesinnung im reinen zu sein, sondern wieviel wir davon und von unseren Zielen ganz konkret in die bundesrepublikanische Wirklichkeit übersetzen können. Ein Kompromiß ist nichts kompromittierendes: Kompromisse sind immer auch Teilerfolge, nicht nur Teilmißerfolge.

Dennoch wird weiter demonstriert und blokkiert. Mit dabei sollen diesmal auch konservative und rechte Atomgegner sein.

Schmidt: Demonstrationen und friedlicher Proteste sind immer legitim. Allerdings finde ich eine Mischung aus Anti-Atomkraft- und Rechtsorientierung einigermaßen grotesk. Ich habe da erhebliche Mühen, in meinem Koordinatensystem einen sinnvollen Zusammenhang herzustellen.

 

Albert Schmidt ist Bundestagsabgeordneter. Der 1951 in Uffenheim/Mittelfranken geborene Diplom-Pädagoge, wissenschaftliche Mitarbeiter und Kabarettist – er veröffentlichte fünf Schallplatten – trat 1982 den Grünen bei. Von 1985 an vertrat er seine Partei im Kreistag des Landkreises Eichstätt, bis er 1994 in den Deutschen Bundestag wechselte.

 

 

Herr Hagenah, Sie unterstützen die vor allem von Frau Harms geforderte "Nachbesserung" des Atomkonsens und den Widerstand gegen die Linie des grünen Parteirates. Was genau fordern Sie?

Hagenah: In der Frage des Endlagers läßt es der Konsens an Eindeutigkeit vermissen. Wir befürchten, daß dieser Transport ein weiterer Sargnagel für das Zwischenlager, hin zu einem Endlager Gorleben ist. Weiterhin fehlt nach wie vor die Unterschrift der Atomwirtschaft unter dem Konsens. Und wir sind beunruhigt, daß immer noch nicht mit der Suche nach einem sicheren Endlager begonnen worden ist. Am Ende könnte nämlich dieser Salzstock einfach deswegen, weil dort schon Milliarden investiert worden sind, als billigste und naheliegendste Lösung nach einem Opportunitätsprinzip eben doch ausgewählt werden. Deshalb glauben wir, daß es sehr wichtig ist, den politischen Druck – parlamentarisch wie auch außerparlamentarisch – dagegen aufrechtzuerhalten.

Der Parteirat hat Ihnen also ein Kuckucksei ins Nest gelegt?

Hagenah: Der Parteirat ist uns mittlerweile sehr weit entgegengekommen. Die öffentliche Diskussion hat uns niedersächsichen Grünen Rückenwind verschafft. Wir konnten so auch eine Klärung der Position auf Bundesebene herbeiführen.

Wie stehen Sie zu den generellen Eckpunkten des Konsenses, also dem viel kritisierten langfristigen Ausstieg über mehrere Jahrzehnte?

Hagenah: Der ist ohne Alternative. Wenn man den Ausstieg erreichen will, muß man, da wir keine Partei mit einer Option zur absoluten Mehrheit sind, Wege gehen, denen ein Koalitionspartner zu folgen bereit ist.

Das klingt doch sehr versöhnlich, wie heftig ist denn dieser interne Streit nun tatsächlich?

Hagenah: Es ist sehr versöhnlich. Aufgrund der Debatte, die sie mit uns geführt haben, kamen sogar unsere Bundesvorsitzenden zu uns vor Ort, und sie werden auch weiter Präsenz zeigen. Das macht deutlich, daß wir diese Diskussion innerhalb der Grünen um die Frage "Endlager Gorleben?" klar für uns entschieden haben.

Wie stehen Sie dann zu jenen Grünen, die im Wendland nun für die Reinheit des grünen Ideals keinen Zoll zurückweichen, und zu den Einwohneren dort, die Ihrer Partei vertraut haben?

Hagenah: Die "Notgemeinschaft Wendland" hat uns als Landtagsfraktion und uns Grüne Niedersachsen voll auf ihrer Seite. Deshalb hat die Fraktion nun auch ihre Fraktionssitzung dort vor Ort verlegt. Was übrigens, und das ist wohl ein einmaliger Fall, von der Landesregierung per Gericht untersagt worden ist, wogegen wir uns per Verfassungsbeschwerde wenden. Auch mit solchen Mitteln versuchen wir Öffentlichkeit für die notwendige Debatte um ein sicheres Endlager zu erzeugen.

Die Einwohner und Aktivisten scheinen aber recht enttäuscht und empört über den Konsens. Der Verdacht liegt nahe, Sie versprechen allen alles, wenn Sie sowohl zu den Gegnern wie zu den Befürwortern des Konsenses ein "versöhnliches Verhältnis" haben?

Hagenah: Moment, schließlich hat Herr Ehmke, der Sprecher der Initiative vor Ort, die Landtagsfraktion nicht nur herzlich eingeladen, sondern auch mitgeteilt, daß er unser Engagement sehr begrüßt und unsere Unterstützung sehr positiv aufgenommen wird. Daß dann vor Ort, wo der Diskurs direkt geführt wird, möglicherweise von Einzelnen gegenüber unseren Ministern oder Fraktionschefs aus dem Bund auch offene Kritk laut wird, finde ich nur natürlich. Daß wir mit beiden Seiten einen konstruktiven Dialog führen, ist doch kein Widerspruch. Ich bedauere, daß einige Autonome meinen, nun gerade Grünen Schläge androhen oder grüne Transparente zerreißen zu müssen. Ich halte das für fehlgeleitete Energien.

Auch konservative und rechte Atomkraftgegner haben angekündigt, an den Protesten teilzunehmen. Haben Sie vor Ort welche gesehen?

Hagenah: Das ist für mich ein völlig fremdes Phänomen. Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, wie das zusammenpassen soll. Für rechte Stimmenfänger gibt es da keine Akzeptanz.

Was meinen Sie mit "keine Akzeptanz"? Gäbe es dagegen Ausschreitungen?

Hagenah: Nein, ich halte nichts von Ausschreitungen als Mittel der Auseinandersetzung. Ich denke, ein entsprechendes "an den Rand Drängen" wird dem auch den Boden entziehen.

 

Enno Hagenah Landtagsabgeordneter. Der 1957 in Engelschoff/Stade geborene Architekt trat 1990 dem Bündnis ’90/ Die Grünen bei und war für diese von 1991 bis 1998 Ratsherr der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover, zuletzt als Fraktionsvorsitzender. Seither vertritt er als stellvertretender Fraktionsvorsitzender seine Partei im Landtag von Niedersachsen.

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