© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Tauschgeschäfte im Ostseeraum
Carl Gustaf Ströhm

Dänemarks Außenminister Mogens Lykketoft benutzte seinen Antrittsbesuch beim neuen US-Amtskollegen Colin Powell zu einer eindringlichen Warnung an die Adresse der USA. Er sprach von einem "unerhört schlechten Handel", auf den sich die Amerikaner mit den Russen einlassen wollten. Es geht darum, daß es in US-Regierungskreisen Überlegungen gibt, Moskaus Zustimmung zum US-Raketenabwehrsystem durch ein "Tauschgeschäft" zu erkaufen: Moskau solle die US-Pläne zumindest tolerieren – dafür werde Washington auf eine Nato-Mitgliedschaft der baltischen Staaten verzichten. Ein solches Verhalten, so der freimütige 55jährige dänische Sozialdemokrat, müsse "Erinnerungen an eine Vergangenheit wachrufen, an deren Neuauflage niemand ein Interesse haben kann". Gemeint ist hier offenbar der Hitler-Stalin-Pakt 1939, durch den die Balten an die damalige Sowjetunion verkauft wurden.

Auf den ersten Blick mag überraschen, daß sich ausgerechnet das kleine Dänemark gegen die USA für die kleinen Balten stark macht. Das aber hat – außer historischer Verbundenheit (die estnische Hauptstadt Reval trägt den estnischen Namen "Tallinn", weil sie ursprünglich "Taani linn", dänische Burg, hieß) – auch einen aktuellen Hintergrund. Natürlich gibt es gemeinsame Ostsee-Interessen. Darüber hinaus aber blicken die Dänen mit einiger Sorge auf die militär- und marinestrategische Entwicklung östlich der dänischen Meerengen. Seit 1991 bietet sich folgendes Bild der Ostsee: Die schwedische Marine ist schwach auf der Brust, die Finnen können kaum ihre eigene lange Küste schützen, die polnische Marine genießt keinen übermäßigen Ruf – und die deutsche Bundesmarine (ursprünglich Eckpfeiler der Nato in diesem Raum) hat in der Ostsee so gründlich abgespeckt und abgerüstet, daß von ihr auch nicht viel zu erwarten ist.

Rußland braucht an der Ostsee nicht gigantisch aufzurüsten: Es genügt, daß es einige seiner Flottenverbände frisch lackiert – dann stünden die Russen eines Tages wieder vor den ungeschützten dänischen Meerengen, die von der Ostsee in den Atlantik führen. Für Dänemark bedeutet also eine Nato-Zugehörigkeit Estlands, Lettland und Litauens zusätzliche elementare Sicherheit – während eine Fortsetzung des sicherheitspolitischen Schwebezustandes, in dem sich die Balten jetzt befinden, große Unsicherheit mit sich brächte: Man weiß nicht, was der russische Bär noch vorhat.

In den baltischen Hauptstädten haben schon bloße Vermutungen über einen amerikanisch-russischen "Deal" große Besorgnisse ausgelöst. Bisher galten unter den Großmächten einzig die USA (zumindest verbal) als Befürworter des baltischen Nato-Beitritts. Briten, Franzosen, aber auch die Deutschen, halten sich bedeckt – aus Rücksicht auf Moskau, mit dem man Geschäfte machen und das man deshalb nicht verärgern möchte. Zum ersten Mal kommt bei den hoffnungsvollsten EU- und Nato-Aspiranten, den Esten, sogar Unmut gegen den Westen auf. So konterte der estnische Außenminister Toomas Hendrik Ilves auf einen Kompromißvorschlag, wonach die Balten zunächst auf die Nato verzichten und sich mit einer Sicherheitsgarantie der EU zufriedengeben sollten, mit den Worten: "Wie soll die EU die Sicherheit im Baltikum garantieren, wenn sie dies so offensichtlich im übrigen Europa nicht zu tun vermag?" Ilves hatte offenbar den Balkan im Sinn, wo trotz Nato-Präsenz alles drunter und drüber geht. Als jetzt in Mazedonien die ersten Kugeln pfiffen, verlegte die Bundeswehr ihre Soldaten kurzerhand in einen weniger gefährlichen Raum.


 
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