© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
"Den Ausländerzuzug unter Kontrolle halten"
Interview: Der frühere Wiener Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, Michael Sika, über die wachsende Kriminalität in Österreich
Andreas Mölzer / Martin Pfeiffer

Herr Sika, auch wenn Sie jetzt bereits seit etwas mehr als einem Jahr fern Ihrer Verantwortung für die österreichischen Sicherheitspolitik sind, so gehe ich davon aus, daß Sie ein interessierter Beobachter der politischen Szene bleiben, zumindest soweit die Sicherheit betroffen ist. Hat sich in diesem einen Jahr seit Ihrem Weggang etwas verändert?

Sika: Das ist, was die Sicherheit anbelangt, ein bißchen schwer zu sagen, weil man nicht weiß, wie sich der Sparkurs der Regierung im Sicherheitsbereich auswirken wird. Das ist noch nicht ganz heraus. Es ist zweifellos so, daß der neue Minister versucht, durch Strukturänderungen jene Schnitte zu machen, die ihm der Finanzminister sozusagen vorgibt. Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit, wie man mit dieser Aufgabe fertig werden kann. Ich verfolge das am Rande, weil man eigentlich in der Öffentlichkeit nicht sehr viel darüber redet.

In Ihrem Buch "Mein Protokoll – Innenansichten einer Republik" haben Sie sehr offen Stellung zu Ihren Vorgesetzten – den jeweiligen Ministern – genommen. Wäre der ÖVP-Innenminister Ernst Strasser einer, mit dem Sie auch gekonnt hätten?

Sika: Ich bin davon überzeugt.

Also eher die Kategorie der früheren SPÖ-Innenminister Karl Schlögl und Franz Löschnak?

Sika: Nein das ist eine andere Kategorie, er ist wieder anders. Löschnak habe ich sehr bewundert, weil er ein Mann war, der wirklich eine neue Polizei geschaffen hat. Jetzt nicht so sehr vom Strukturellen, aber Sie dürfen nicht vergessen, er hat fast alle Gebäude renoviert oder neu gebaut oder den Neubau eingeleitet. Er hat die Ausrüstung auf den letzten Stand gebracht. Das ist schon einmal etwas, was man in einigen Jahren zusammenbringen muß. Schlögls Verdienst war es, das zu übernehmen, was Löschnak angedacht hat, das ist ja auch nicht so einfach. Kürzlich wurde in einer Tageszeitung in einem Artikel über die Sicherheitsakademie die Frage gestellt, inwieweit ein Minister die Gedanken, die schon umgesetzten Gedanken seiner Vorgänger übernehmen muß. Das ist eine sehr gute Überlegung. Ich glaube, es besteht schon eine gewisse Verpflichtung dazu, etwas zu übernehmen und nicht zu sagen, das ist ein Blödsinn, wir machen das ganz anders. Wenn das jeder Minister sagt, dann kann man sich ausrechnen, daß es keine Entwicklung gibt.

Unabhängig von der politischen Änderung, die es im Bund gegeben hat in diesem einen Jahr – hat sich für den Bürger die Situation der Sicherheit geändert?

Sika: Also, mir stehen jetzt keine Statistiken zur Verfügung, ich glaube nicht, daß Österreich unsicherer geworden ist in diesem Jahr. Ich glaube, es hat sich nicht sehr viel verändert, weder zum Guten noch zum Schlechten. Zu behaupten, daß die Sünden der Vorminister ausgemerzt werden, wäre übertrieben. Aber es ist auch nicht schlechter geworden. Die Drogenproblematik ist nach wie vor gegeben in einem meines Erachtens größeren Ausmaß, als das die Öffentlichkeit wahrnimmt, größer auch, als die Öffentlichkeit über die Medien informiert wird. Ansonsten bewegt sich, glaube ich, die Kriminalität im üblichen Rahmen. Minister Strasser hat ja die Idee des Ministers Schlögl aufgenommen, ein Kriminalamt einzurichten. Das ist also zweifellos der richtige Weg. Das Modell steht, nur die Umsetzung ist halt nicht sehr einfach und wird meines Erachtens schon noch zwei, drei Jahre dauern. Ich erwarte mir davon allerdings schon eine verbesserte Schlagkraft der Kriminalpolizei, und das ist ein wesentlicher Pluspunkt. Vielmehr kann man nicht erwarten, weil ja erstens die Dinge nicht übers Knie gebrochen werden können und weil es zweitens nicht möglich ist, mehr Sachen dieses Umfangs nebeneinander zu machen. Also, ich glaube, daß die wesentlichen Dinge geschehen und daß sich aber die Resultate erst viel später zeigen werden.

Eines der Themen des Wiener Wahlkampfs ist die Ausländerkriminalität. Die einen meinen, sie würde zunehmen, die anderen sagen, Wien sei ohnehin sicher und man kann sich hier wohl fühlen. Wo liegt Ihrer Einschätzung nach die Wahrheit?

Sika: Na ja, wie immer in der Mitte. Es ist so, daß die Kriminalität nicht unbedingt etwas mit in Österreich lebenden Ausländern zu tun hat. Es ist zweifellos so, daß speziell im Bereich der organisierten Kriminalität sehr viele Ausländer im Spiel sind. Das hat aber an sich mit der Debatte, die wir führen, nicht sehr viel zu tun. Ich glaube, daß die Gefühle, speziell der Wiener, nicht so sehr mit konkreten kriminellen Handlungen zusammenhängen als mit einem gewissen Gefühl der Behaglichkeit oder der Unbehaglichkeit, weil es eben relativ viele Ausländer gibt. Das ist eine subjektive Einstellung, die man vielleicht periphär beeinflussen kann, die aber jeder im Grunde mit sich selber ausmachen kann. 

Es wird oft davon gesprochen, daß es in Österreich sehr viele illegal lebende Ausländer geben soll. Manche sprechen von hunderttausend, andere wiederum von bis zu dreihunderttausend. Gibt es da eine Vorstellung, wie viele es wirklich sind?

Sika: Ich würde sagen, die Zahl dreihunderttausend könnte stimmen, man hat sogar schon von fünfhunderttausend gesprochen, ich kann das nicht wirklich abschätzen, aber die Zahl ist sicher nicht klein. Und das spielt natürlich schon auch im Bewußtsein der Österreicher eine gewisse Rolle, denn man ist konfrontiert mit "Fremden". Und jeder, der den Österreicher kennt, weiß, daß ihn das unter Umständen beunruhigt. 

Sie haben ja während Ihrer Aktivzeit auch sehr viel internationale Erfahrung gesammelt . Gibt es da irgendwelche Richtwerte, wo die Stimmung in der Bevölkerung zu kippen beginnt?

Sika: Nein, ich glaube, das hängt schon auch sehr viel davon ab, wie die einzelnen Völker diesem Problem gegenüberstehen. Österreich ist immer ein gewisser Schmelztiegel gewesen und wahrscheinlich auch aus der Zeit der Monarchie her relativ tolerant. Ich glaube, daß der Österreicher dort kritisch wird, wo er sieht, daß sich der in Österreich lebende Fremde nicht anpassen will. Es ist ja interessant, wenn Sie einen alten Freund in New York aufsuchen, dann werden Sie feststellen, daß der Deutsch nur mehr mit Akzent spricht und sich im Übermaß bemüht, sich den herrschenden Verhältnissen anzupassen. Es wird Sie das sogar ein bißchen stören. Der Österreicher ist von sich aus bereit sich anzupassen, und daher verlangt er es auch von anderen und wahrscheinlich in einem gewissen Übermaß. Ich kann es als Österreicher nicht beurteilen, aber wahrscheinlich hängt das schon damit zusammen, daß sich viele darüber aufregen, daß da Leute im Haus wohnen, die anders sind. 

Ist es nicht ein Fehler der Politik? Wiens christlich-sozialer Bürgermeister Karl Lueger hat schon vor über hundert Jahren für alle zuziehenden Ausländer gefordert, daß sie Deutsch lernen. Heute ist das überhaupt nicht mehr gefragt. Man ist im Gegenteil eher bemüht, die Sprache der jeweiligen Gastnationen stärker zu verbreiten.

Sika: Ja, das ist natürlich sicher ein Fehler der Politik, oder sagen wir so, es ist der Fehler, daß sich die Politik dieses Problems überhaupt so sehr annimmt. Ich glaube, dieses ständige Pro und Kontra erzeugt eine schlechte Stimmung. Es wäre besser, die Politik würde sich mehr heraushalten und würde nicht sozusagen zwei Pole schaffen; denn ich meine, wenn man dem Wiener speziell oder dem Österreicher nachsagt, daß er sehr kulturbewußt ist, daß er sehr künstlerisch begabt ist, dann hängt das natürlich schon ein bißchen mit den Multikulturellen zusammen. Das ist überhaupt keine Frage, nur wird das in der Politik vielfach übertrieben, und ich glaube, wenn sich ein Volk in dem eigenen Land oder in der eigenen Stadt nicht mehr wohl- fühlt, dann ist das schon ein Zeichen, daß man da irgend etwas tun soll. 

Es gibt in Wien einzelne Bezirke, die sich praktisch zu Ghettos entwickeln, wo praktisch nur noch Ausländer unter sich sind und mit der einheimischen Bevölkerung kaum oder gar nicht in Berührung kommen wollen, oder auch die Einheimischen ziehen sich zurück. Meinen Sie das?

Sika: Ich meine das, und ich glaube, daß man hier schon eingreifen sollte, denn wir stehen nun einmal vor dem Status quo, und ich glaube, daß es viele Ausländer gibt, die sich in Österreich nicht anpassen wollen. Ich bin aber überzeugt, daß die nächste oder übernächste Generation gar nicht anders kann, als sich anzupassen. Das heißt, daß man das Ganze etwas ruhiger angehen sollte seitens der Politik. Ich bin überzeugt, wenn es keinen weiteren Nachschub gibt, dann ist die nächste und übernächste Generation integriert, ob sie will oder nicht. Daher bin ich auch dafür, daß man den Zuzug unter Kontrolle hält. Ich bin davon überzeugt, es würde uns nicht gut tun, wenn neue Wellen kommen, die es eigentlich unmöglich machen, eine Assimilierung durchzuführen.

Ist die Quotenregelung der richtige Ansatz dafür?

Sika: Von der Höhe der Quote her kann ich es nicht beurteilen. Aber es ist zweifellos der richtige Ansatz. Ich glaube, daß in zehn Jahren die Problematik schon ganz anders ausschaut, wenn nicht, so wie das ja in der Vergangenheit der Fall war, im Jahr 1956 (Ungarnkrise) und im Zuge des Balkankriegs wieder eine Welle von Flüchtlingen kommt. Wir haben über 90.000 Bosnier hier gehabt. 

Wollen Flüchtlinge nicht in ihr Land zurück, wenn sich die Lage dort wieder stabilisiert hat? 

Sika: Es sind aber trotzdem sehr viele geblieben. 

Ein anderer kontroversiell betrachteter Problembereich ist die Drogenfreigabe. Es wurde ja sogar empfohlen, Hanf selbst anzubauen, um sich selbst zu versorgen. Auf der anderen Seite wird immer wieder gefordert, daß man gegen den Drogenhandel rigoroser vorgehen muß. Was ist Ihrer Meinung nach der richtige Weg?

Sika: Ich bin da ganz eindeutig gegen die Drogenfreigabe. Das käme für mich nicht in Frage. Und ich bin sogar so weit, zu bezweifeln, daß man mit Recht zwischen weichen und harten Drogen unterscheidet. Wissen Sie, wenn Sie sich ein bißchen mit Cannabis befassen, kommen Sie drauf, daß das nicht so harmlos ist, wie es dargestellt wird. Ich bin eigentlich sehr froh darüber, daß man jetzt, was den Straßenverkehr anbelangt, rigoroser wird. Es zeigt sich ja in einem erschreckenden Maß, wie sehr sich die Einnahme von Cannabis negativ auswirkt, und zeigt auf der anderen Seite, was für eine große Dunkelziffer es gibt. Und das läßt sich natürlich auch auf den Alltag übertragen. Man müßte endlich einmal hinterfragen, wie viele Betriebsunfälle, wie viele Unfälle zu Hause in Wahrheit nicht auf Ungeschicklichkeit zurückzuführen sind, sondern auf Cannabisgenuß. Denn eines weiß man ja: Die Einnahme von Cannabis,
speziell über einen längeren Zeitraum, verursacht Schwierigkeiten bei der Abschätzung von Geschwindigkeiten, von Entfernungen usw. Etwas, was im täglichen Leben auch eine Rolle spielt, da muß man sich nicht ins Auto setzen. Und ich glaube, darüber gibt es noch keine wirklichen Erkenntnisse, weil eben niemand daran denkt, wenn er einen Unfall aufnimmt, daß da vielleicht Suchtgift dahinterstecken könnte. Daher gibt es keine ungefährliche Droge. Cannabis ist einfach gefährlich für jeden, der sich außerhalb seines Bettes bewegt, und daher auch für das Umfeld. 

Es wird immer wieder der Vergleich mit dem Alkohol gezogen. Man sagt, Alkoholkonsum ist erlaubt – im Straßenverkehr bis zu einem Limit, aber sonst praktisch unbegrenzt.

Sika: Der Vergleich ist nicht zutreffend, weil das Suchtpotential ein anderes ist und der Abbau von Cannabis anders erfolgt. Und dann gibt es im Suchtgiftbereich etwas, was beim Alkohol nicht der Fall ist: den sogenannten flashback-Effekt. Das heißt, es kann auch vierzehn Tagen nach dem Drogenkonsum wieder einen Rauschzustand geben. Und dieser Rauschzustand, der für den Betreffenden unerklärlich ist, kann jederzeit auftreten und gefährlich sein. Das gibt es beim Alkohol nicht.

 

Magister Michael Sika, Jahrgang 1933, Mag. iuris, ab 1959 Polizeijurist, 1960 bis 1979 im Kommissariat Mariahilf, ab 1979 bis 1991 Stadthauptmann Margarethen bzw. Leopoldstadt, von 1991 bis Ende 1999 Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit im österreichischen Innenministerium. Sein aktuelles Buch: "Mein Protokoll –Innenansichten einer Republik". 3, NP-Buchverlag, 2000, geb., 47,80 Mark

 

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