© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Ein Land in der "multikulturellen" Sackgasse
Bosnien-Herzegowina: Der EU-Repräsentant Wolfgang Petritsch steht im Konflikt mit der katholischen Kirche / Kroaten fordern demokratische Selbstverwaltung
Carl Gustaf Ströhm

Der Westen steht heute vor den Trümmern einer nicht durchdachten Bosnien-Politik. Der Versuch, Bosnien und die Herzegowina nach den Schrecknissen des serbisch-jugoslawischen Angriffskrieges und dem Zwischenspiel blutiger kroatisch-moslemischer Zusammenstöße einen Frieden im Geiste "multiethnischer" und "multikultureller" Prinzipien von außen aufzuzwingen, endet unvermittelt in einer Sackgasse.

Ironischerweise war es der "hohe Repräsentant" dieses ahnungslosen Westens (genauer gesagt: der EU), der das bisherige westliche Experiment ad absurdum führte. Dieser EU-Repräsentant, der österreichische Sozialdemokrat Wolfgang Petritsch, brach nicht nur mit der kroatischen Volksgruppe, sondern danach auch mit der katholischen Kirche einen Konflikt vom Zaun, der kaum noch reparabel scheint. Petritsch und anderen westlichen Repräsentanten in Sarajevo paßten die bosnisch-herzegowinischen Kroaten nicht, die mit etwa 15 Prozent der Gesamtbevölkerung zahlenmäßig zwar die kleinste, aber eine selbstbewußte Nationalität stellen – neben den Serben und den bosnischen Moslems.

Besonders die Kroaten der West-Herzegowina, die sich über Türkenherrschaft und kommunistische Unterdrückung hinweg jahrhundertelang zu halten wußten, sind manchen westlichen Vertretern ein Dorn im Auge: Denn sie sind katholisch, konservativ und sehr nationalbewußt.

Als zwischen den Jahren 1992 und 1995 der Krieg in Bosnien tobte, beharrte der Westen weitgehend untätig. Er entschloß sich erst zum Eingreifen, als es im Sommer 1995 zum Massaker der Serben an mindestens siebentausend bosnischen Moslems in der "UN-Schutzzone" Srebrenica kam. Als er aber dann eingriff, beharrte der Westen auf einer fixen Idee: Um Bosnien zu befrieden, sollte eine weitgehende "Vermischung" der Volksgruppen erreicht werden – ohne zu berücksichtigen, daß quer durch das Land und seine Menschen nicht nur eine ethnische, sondern eine tiefe religiöse, mentale, zivilisatorische Grenze verläuft. Der US-Botschafter in Sarajevo verstieg sich jüngst zu der apodiktischen Erklärung, die einzige Nation, die der Westen anerkenne, sei die "Nation Bosnien-Herzegowina". Sein Pech ist nur, daß es eine bosnisch-herzegowinische Nation überhaupt nicht gibt. Es gibt statt dessen verschiedene Nationen und verschiedene Religionen, wobei nationales und religiöses Bekenntnis fast immer miteinander übereinstimmen: Es gibt die Mehrheitsnation der bosnischen Moslems, an zweiter Stelle die bosnischen Serben, mit orthodoxen Glauben – und an dritter Stelle die durchweg katholischen Kroaten.

Die westlichen Politiker und Emissäre wurden in Bosnien zu Gefangenen ihrer eigenen Illusion von der angeblichen "Unveränderbarkeit der Grenzen". Obwohl kluge Beobachter (darunter Ex-US-Außenminister Henry Kissinger) schon seit langem davor warnten, daß Bosnien als "Jugoslawien im Kleinen" genauso scheitern müsse, wie der titoistische Vielvölkerstaat – handelte der Westen (die EU mehr noch als die USA) nach der Parole: daß "nicht sein kann, was nicht sein darf".

Nachdem man im Vertrag von Dayton den bosnischen Serben (33 Prozent der Bevölkerung) fast 50 Prozent des bosnischen Territoriums zugeschanzt hatte und ihnen gestattete, dort eine eigene "ethnisch gesäuberte" serbische Republik zu errichten, konzentrierte sich das Interesse "moslemisch-kroatische Föderation". Es gehört zu den unerforschbare Inkonsequenzen des Westens, daß er zwar den Serben – die als Aggressoren den bosnischen Krieg (ebenso wie zuvor den Krieg gegen Kroatien) angezettelt hatten – einen eigenen bosnischen "Staat im Staate" konzedierte. Dagegen wurden aber Moslems und Kroaten in einen gemeinsamen Staat gepreßt, obwohl klar sein mußte, daß sich beide nicht miteinander verstehen würden. Geflissentlich wurde übersehen, daß es zwischen Moslems und Kroaten – obwohl beide zuvor Opfer der großserbischen Aggression waren – tiefgreifende Gegensätze gab (und gibt), die 1993 zu kurzen, aber heftigen militärischen Auseinandersetzungen mit vielen zivilen Opfern auf beiden Seiten führten.

Die katholischen Kroaten fühlten sich auch nach dem Vertrag von Dayton einer ständigen moslemischen Majorisierung ausgesetzt. Die Moslems begannen, zielbewußt ihre zahlenmäßige Mehrheit auszubauen. In den Kroaten keimte der Verdacht, die Moslems wollten den gemeinsamen Staat auf längere Sicht in eine islamische Republik mit einer allenfalls geduldeten kroatischen Minderheit verwandeln.

Die große Enttäuschung der Kroaten war, daß die westlichen Repräsentanten wesentlich mehr Entgegenkommen für die Moslems als für die bosnischen Kroaten aufbrachten. Diese wurden gezwungen, ihre bisher aufgebauten staatlichen Strukturen, die "Republika Herceg-Bosna", aufzugeben. Schließlich gaben die westlichen Repräsentanten die Parole aus, man müsse die "nationalistischen" Parteien zerstören, weil diese das größte Hindernis auf dem Weg zu einem scheinbar friedlichen, multiethnischen Bosnien darstellten. Vor den jüngsten Parlamentswahlen begannen die westlichen Emissäre, das Wahlgesetz derart zu manipulieren, daß am Ende nicht die kroatische Volksgruppe, sondern die zahlenmäßig weitaus stärkeren Moslems darüber entschieden, welche Kroaten ins Parlament kommen sollten.

Obwohl (oder weil) die internationale Gemeinschaft offen die "multinationalen" – das heißt: a- oder antinationalen Kräfte – im bosnischen Spektrum bevorzugt, entschied sich die große Mehrheit der Wähler aller drei Nationen für ihre "nationalen" (in den Augen des Westens: nationalistischen) Parteien und gegen die "Multinationalen" – denn das waren vor allem die Wende-Kommunisten sowie einige Splitterparteien. Daß die Vertreter des demokratischen Westens sich zur angeblichen Rettung der bosnischen Demokratie mit deren halb-kommunistischen, pro-jugoslawischen Kräften verbündeten, zeugt weder von politischer Sensibilität noch von besonderer Charakterstärke.

Als die große Mehrheit der Kroaten sich zu wehren begann und die nationale Gleichberechtigung forderte, setzte die "internationale Gemeinschaft" auf teilweise brutale Art Polizeiaktionen der internationalen Streitkräfte ein: SFOR-Truppen umzingelten Fernsehstudios, Zeitungsredaktionen und Postämter. Kroatische Politiker, die nicht "gehorchen" wollten, wurden auf Anordnung des "hohen EU-Repräsentanten" Petritsch selbstherrlich und willkürlich ihrer Posten enthoben und mit politischem Betätigungsverbot belegt.

Falsches Taktieren und verfehlte Einschätzung der Situation durch Petritsch hat nun die westliche Politik in eine fast ausweglose Situation geführt. Der Westen hat sich mit der kroatischen Volksgruppe und deren gewählten Vertretern zerstritten und die Kroaten diskriminiert sowie gekränkt. Damit hat er die einzige bosnische Volksgruppe, die traditionell "pro-westlich" – nämlich katholisch – ist, gegen sich aufgebracht. Als die große Mehrheit der Kroaten in einer Volksabstimmung (Referendum) die Gleichberechtigung einforderte und die Gründung einer "demokratischen Selbstverwaltung" beschloß, suchten die hohen und weniger hohen Vertreter des Westens nicht den Dialog, der ihnen von den Kroaten angeboten wurde, sondern reagierten in geradezu totalitärer Manier: Der hohe Repräsentant Petritsch setzte die unbotmäßigen Kroaten-Politiker, unter ihnen den gewählten Sprecher und Vorsitzenden, Ante Jelavic, einfach ab.

Doch der hohe Repräsentant war damit nicht zufrieden: In ungewöhnlicher Weise attackierte er in einem Zeitungsinterview auch den katholischen Bischof von Mostar, Ratko Peric, und damit die katholische Kirche. Petritsch war offenbar entgangen, daß der von ihm attackierte Bischof von Mostar, der sich auf die Seite der Kroaten und ihrer Forderungen gestellt hatte, von der katholischen Bischofskonferenz, vom Kardinal von Sarajevo, Vinko Puljic sowie vom Vatikan unterstützt wurde.

Wenn sich die Bischofskonferenz auf die nationalkroatische Seite stellt und vor einer Politik warnt, die zu einer Abwanderung der Kroaten aus Bosnien führen müsse, dann ist das ein Sturmsignal. Auch die höchsten EU-Repräsentanten kommen nämlich mit der zweitausendjährigen Erfahrung der katholischen Kirche nicht mit. Daß sich Vatikan und Kirche auf die Seite der Kroaten in Bosnien und damit gegen den EU-Repräsentanten stellen, sollte in Brüssel und anderswo zu denken geben.


 
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