© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Die Liebe geht kreuz und quer
Oper: Die Händel-Festspiele im Badischen Staatstheater in Karlsruhe
Julia Poser

Berenice, Königin von Ägypten" ist eine der am wenigsten beachteten Opern Händels. Nach nur vier schlecht besuchten Aufführungen im Jahre 1737 war das Interesse des Londoner Publikums an langatmigen, wirren und – weil in italienischer Sprache gesungen – unverständlichen Opern erloschen. Viel lieber ging man in die komische "Beggar’s Opera" (Vorbild für die "Dreigroschenoper"), wo es was zu lachen gab und wo man seinen Spaß an den gepfefferten englischen Texten hatte. Die große Zeit der italienischen Oper mit ihren Primadonnen und Kastraten war vorüber.

Das Jahr 1737 war das schwärzeste in Händels Leben. Er schien gesundheitlich, finanziell und künstlerisch am Ende zu sein. "Berenice", in der kurzen Zeit von sechs Wochen komponiert, zeigt Händel zwar als einen Routinier von höchster Qualität, aber die Experimentierfreude früherer Werke fehlt in dieser Oper.

Fast 250 Jahre schlief "Berenice" in der Schublade, ehe sie von den Karlsruher Händel-Festspielen wiederentdeckt wurde. Es ist interessant, auch einmal ein schwächeres Werk Händels zu hören. Die größte Schwäche darin liegt allerdings in der Unmenge von Intrigen, Mißverständnissen und verqueren Liebesgeschichten, die sich, wie es sich bei einer barocken Oper gehört, überraschend schnell in Wohlgefallen auflösen.

Für diese deutsche "Festuraufführung" verzichtete Regisseur Ulrich Peters gänzlich auf barockes Ambiente und stellte statt dessen ein modernes Ägypten auf die Bühne (Bild Martin Warth). Im auf dem Bühnenboden reichlich verteilten Wüstensand stehend, trugen die Protagonisten moderne Kleidung, gelegentlich mit einem Umhang, während die Königin stets in wechselnden, prachtvollen Abendgewändern prunkte (Kostüme Götz-Lanzelot Fischer). Einen ungewöhnlichen Anblick boten die beiden weiblichen Leibwächter der Königin, ganz in schwarz mit einer Kalaschnikow bewaffnet. Die endlosen Da capo-Arien (mit mehreren Wiederholungen) versuchte der Regisseur durch schnelle Abgänge und Wiedererscheinen zu verkürzen, was nicht immer gelang.

Mit Kornelia Eng war die mordlustige Berenice, die sich am Ende zur liebenden Frau wandelt, glänzend besetzt. Ihre große und sehr lange "Traditore!" (Verräter!)-Arie wurde durch ihre Interpretation geradezu spannend. Die Nebenbuhlerin und Schwester Selene sang Rosemara Ribeiro trotz leichter Indisposition mit üppigem Alt. Demetrio, das Objekt der Begierde beider Schwestern, brachte David Cordier mit noblem Countertenor.

Der zweite Countertenor Martin Wölfel stellte mit verblüffend weichem Ton den glücklosen Arsace dar. Als endlich die Paare vereint waren, blieb dem netten Tollpatsch nur der Griff zur Flasche. Den stärksten Eindruck machte die junge Passauerin Johanna Stojkovic als Berenices beharrlicher Verehrer Prinz Alessandro: ein leuchtender Sopran mit großer Farbenpracht. Guido Jentjens schwarzer Baß gefiel als Berater der Königin.

Temporeich dirigierte Andreas Spering die nuanciert spielenden "Deutschen Händel Solisten", wobei ihrem Flötisten ein besonderes Lob gebührt: Trotz gewisser Längen die mutige Ehrenrettung einer verkannten Händel-Oper.

Wer glaubt, Barockopern seien meist langatmig, hat nicht die genial und schwungvoll inszenierte Aufführung von Alessandro Scarlattis einziger musikalischer Komödie "Der Triumph der Ehre" erlebt. Der Regisseur Sven Severin hat das Werk auf zwei Akte gekürzt, die Rezitative mit ihren zahlreichen Wortspielen elegant ins Deutsche übersetzt – die Arien blieben im italienischen Original –, so daß sich das Publikum über den frechen Witz bestens amüsieren konnte. Die acht Sänger entwickelten großen schauspielerischen Elan in echter Commedia dell’Arte-Manier.

Im Mittelpunkt der Handlung stehen vier unterschiedliche Paare: das heroische Geschwisterpaar Leonora und ihr Bruder Erminio, die beide von ihren Liebsten verlassen wurden. Dann das lockere Paar Doralice, eigentlich Erminios Braut, die sich aber in Riccardo verliebt hat, der ihretwegen Leonora verlassen hat und nun mit Doralice glücklich werden möchte. Sodann Riccardos derber Kumpan Rodimarte und die kecke Zofe Rosina, die wiederum von dem alten Flaminio heftig umworben wird, obwohl dieser der betagten Cornelia ein Heiratsversprechen gegeben hat. Da geht es dann munter kreuz und quer, bis sich die richtigen Paare finden und die Ehre aller wiederhergestellt ist.

Den ganzen Melodienreichtum dieser bezaubernden Buffa entfalten der junge Dirigent Andreas Spering und seine "Deutschen Händel Solisten". Die Krönung dieses Abends aber waren die acht Sänger. Ewa Wolak als verführte Leonora überstrahlte mit ihrem vollen samtigen Alt selbst ihre großartigen Partner. Von melancholischer Tragik überschattet klang Markus Forsters edel timbrierter Countertenor als Erminio. Den leichtfertigen Verführer Riccardo sang Christian Baumgärtel mit elegantem Tenor. Die Doralice von Manuela Uhl entzückte mit ihrem hellen Sopran. Ein amüsantes Paar waren auch Linnea Sallay als kecke Zofe und Tero Hannula als Rodimarte. Die alte Cornelia wurde schon von Scarlatti für einen Tenor komponiert. John Pickering stellte sie mit umwerfender Komik dar. Hans-Jörg Weinschenk gab einen herrlich lüsternen Flaminio. Helmut Stürmer schuf graziöse, farbenfrohe Kostüme und ein stimmungsvolles Bühnenbild.

Dieser vom Regisseur Severin vor drei Jahren wiederentdeckte "Triumph der Ehre" wurde nun schon zum dritten Mal vor vollbesetztem Haus während der Händel-Festspiele wiederholt. Es bleibt zu hoffen, daß Scarlattis köstliches Spätwerk aus dem Jahr 1718 auch 2002 erneut aufgeführt wird.


 
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