© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Eine Staatenunion mit Domino-Effekt
Osteuropa: Der moldawische Premier Woronin plant eine "Wiedervereinigung" mit Rußland / Freie Ukraine bedroht
Ivan Denes

Wenig beachtete Ereignisse in kleinen Ländern können manchmal in erstaunlich großen Dimensionen geopolitische Wirkungen auslösen. So geschehen kürzlich in der kleinen Republik Moldawien, wo bei den Parlamentswahlen die sich selbst treu gebliebene, ungeläuterte Kommunistische Partei 71 der insgesamt 101 Sitze im Parlament erobern konnte. Einen vergleichbaren prokommunistischen Erdrutsch hat man im letzten Jahrzehnt nirgendwo in der GUS verzeichnet.

Unabhängig davon, ob sich KP-Chef Wladimir Woronin zum Staatspräsidenten wählen läßt oder den amtierenden Präsidenten Petre Lucinschi im Amt beläßt oder ob er Ministerpräsident Dumitru Braghis weiter regieren läßt, wie es Rußlands Präsident Wladimir Putin wünscht, die kommunistische Mehrheit im Parlament wird die politische Linie des Landes bestimmen, zumal eine Verfassungsänderung vor zwei Jahren die Macht des Parlaments erheblich gestärkt hat. Übrigens: Lucinschi selbst war Mitglied des letzten Politbüros der KPdSU.

Drei offen verkündete politische Ziele der moldawischen Kommunisten werden dazu führen, daß die Ostgrenze der Nordatlantischen Allianz zukünftig entlang des Pruth, des Grenzflusses zwischen Moldawien und dem Nato-Aspiranten Rumänien, verlaufen wird.

Es könnte dramatisch werden: Woronin hat programmatsich einen Beitritt des Landes zur russisch-weißrussischen Staatenunion angekündigt. Die moldawische KP will die Präsenz der russischen Truppen in aller Form durch einen Stationierungsvertrag legalisieren. Aus dem ehemaligen Bestand von 8.000 der 14. Armee des Ex-Generals Alexander Lebed sind noch etwa 2.000 Mann im Lande; sie fungieren als Friedenstruppe. Die abtrünnige Ostregion Transnistrien wird von einer Handvoll ehemaliger, völlig korrupter und streng moskautreuer KGB- und OMON-Offiziere regiert. Der Konflikt zwischen der moldawischen Hauptstadt Chisinau und dem sezessionistischen Tiraspol wird kurzfristig behoben. Dafür wird der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten für den Moldawien-Konflikt sorgen. Sein Name ist Jewgeni Primakow – was vieles erklärt, denn er war einst russischer Ministerpräsident unter Boris Jelzin.

Kommunistischer Sieg mit dramatischer Folgewirkung

Die Ukraine hat im Verlauf der Jahre, seit dem Amtsantritt von Präsident Leonid Kutschma, wiederholt versucht, sich als Vermittler in den Konflikt einzuschalten, zumal in Transnistrien die Ukrainer die größte ethnische Gruppe bilden (gefolgt von Russen und Rumänen). Dieser politische Vorstoß war sozusagen ein natürlicher Teil der Außenpolitik einer unabhängigen Ukraine, denn eine russische Garnison im Südosten des Landes, nur wenige Kilometer von dem großen Schwarzmeerhafen Odessa entfernt, saß wie ein Stachel im Fleisch.

Die promoldawische Neigung der ukrainischen Außenpolitik veranschaulichte sich auch durch die Abtretung eines kleinen, etwa zwei Kilometer langen Streifens am nördlichen Ufer des noch unter den Sowjets ausgebaggerten Donau-Deltaarmes Chilia. Hier beeilte sich die moldawische Regierung, den Bau eines Hafens, eines Ölterminals und einer Raffinerie in Angriff zu nehmen. In der Donau-Kommission hatte den früheren Sitz der Sowjetunion die Ukraine eingenommen, nunmehr folgte ihr auch Moldawien. Kommt es tatsächlich zu einer Staatenunion Rußland-Weißrußland-Moldawien, wird die russische Flagge wieder massiv auf den europäischen Binnengewässern auftauchen: sobald die zusammengebombten Brücken in Serbien gehoben sein werden, wird die Route Donau-Rhein-Main-Donau-Kanal-Rhein bis hoch nach Rotterdam wieder für die russische Binnenflotte lukrativ befahrbar werden.

Schließlich ist von dem Beitritt Moldawiens zur russisch-weißrussischen Staatenunion ein Domino-Effekt zu erwarten. Moskau übt in der Frage eines möglichen Beitritts seit geraumer Zeit Druck auf die armenische Führung aus. Tritt Moldawien bei, wird sich auch der interne Druck auf den – antikommunistischen – armenischen Präsidenten Robert Kotscharjan derart verstärken, daß ihm keine Wahl bleiben wird. Sein Konkurrent, der frühere KP-Chef Vladimir Darpinian, der bei den Wahlen 1998 unterlag würde im Zweifel auch bereitstehen.

Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko, dessen Amtszeit nach völkerrechtlichen Kriterien längst abgelaufen ist – das ist auch die offen verkündete Ansicht der westlichen Regierungen –, wird sich noch in diesem Jahr für eine weitere Amtszeit wiederwählen lassen. Nach Meinung nicht weniger Experten soll Lukaschenko paranoide Symptome aufweisen. Das führt nicht nur zu ständig neuen Konflikten mit westlichen Diplomaten und Regierungen. Es ist in Weißrußland Alltag, daß führende Figuren der Opposition und der kritischen Medien einfach verschwinden. Demonstranten, die an öffentlichen Protestaktionen teilnehmen, werden von den Sicherheitskräften oder von anonymen Rowdies krankenhausreif verprügelt. Zwischen Lukaschenko und dem gestürzten serbischen Diktator Slobodan Milosevic gibt es frappierende Ähnlichkeiten.

Die unabhängige Ukraine wird jetzt in die Zange genommen: Weißrußland im Norden, Rußland im Osten, Moldawien im Südwesten. Zeitgleich zu dieser Entwicklung lösten in Kiew Tonbänder, die im Amtszimmer von Präsident Leonid Kutschma von einem Leibwächter aufgenommen wurden, eine Staatskrise aus. Die Tonbänder legten die Vermutung, ja nahezu die Gewißheit nahe, daß der Präsident in die Ermordung eines bekannten oppositionellen Journalisten verwickelt war. Wenn man sich daran erinnert, daß Kutschma vor seiner Wahl Generaldirektor des größten Raketenwerkes der Welt war, kann man unschwer folgern, wessen Geistes (oder Organisation) Kind er und sein Leibwächter gewesen sind. Abgehörte Mordbefehle als politisches Kapital – Jewgeni Primakow läßt aus der Nachbarschaft grüßen.

Wladimir Putin hat sich schnellstens nach Kiew begeben und Kutschma den Rücken gestärkt. Kutschma hat keine Alternative: entweder wird er aus dem Amt gejagt, vor Gericht gestellt und für die Ermordung des Journalisten Georgij Gongadse mitverantwortlich gemacht, oder er bricht gegenüber Rußland ein, gibt seine prowestlichen Träumereien auf und tritt mittelfristig der sich abzeichnenden Union Rußland-Weißrußland-Moldawien-Armenien bei. So kann eine Wahl in einem der kleinsten und ärmsten Länder Europas der Zeitgeschichte eine unerwartete, neue Wende geben.


 
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