© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Auf Kosten der Zukunft gespart
Familienpolitik: Der Weg zu einer kinderfreundlichen Gesellschaft ist nicht in Sicht / Parteien streiten über Kindergelderhöhung
Paul Rosen

Eigentlich ist alles schon zu spät. Selbst wenn inflationäre Erhöhungen des Kindergeldes zu einem Babyboom führen würden, er käme zu spät. Die Deutschen sterben zwar nicht aus, aber sie werden immer weniger und die wenigen im Durchschnitt immer älter. Trotzdem streiten sich die Parteien des Bundestages um die Frage, ob das Kindergeld nun zum 1. Januar des nächsten Jahres um 30 Mark erhöht werden soll oder nicht. Vor dem Hintergrund leerer Kassen kommt die eigentliche Debatte um die Zukunft der Deutschen wieder einmal zu kurz.

Erst im Sommer vorigen Jahres hatte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) als erster ranghoher deutscher Politiker mit einem Tabu gebrochen und den Zusammenhang zwischen staatlichen Fördermaßnahmen und Kinderzahlen hergestellt. Der Zusammenhang, daß höhere staatliche Fördermaßnahmen in engem Zusammenhang mit steigenden Geburtszahlen stehen können, war bis dahin allgemein bestritten worden, weil er an die NS-Zeit und Hitlers Mutterkreuz-Politik erinnerte. Stoiber stellte damals klar, daß es nicht darum gehe, Soldaten zu züchten, sondern darum, den Bestand des deutschen Volkes zu erhalten.

Der Berliner Koalition und den sie tragenden Parteien SPD und Grüne liegt jeder Ansatz einer neuen Bevölkerungspolitik, wie sie Stoiber formuliert hat, fern. Dabei müßte den Grünen längst aufgefallen sein, daß der von ihnen propagierte Grundsatz der Nachhaltigkeit, der von der Ökologie über die Landwirtschaft inzwischen selbst in die Finanzpolitik Einzug gehalten hat, erst recht auf die Gesellschaft die Summe aller Menschen, Anwendung finden müßte. Nachhaltig wäre es, wenn die einheimische Bevölkerung selbst für genügend Nachwuchs und einen ausgeglichenen Altersaufbau sorgen würde. Jedenfalls wäre dies nachhaltiger, als Menschen aus dem Ausland importieren zu wollen, so wie man Textilien einführt (ein Gedanke, der vom CSU-Landesgruppenvorsitzenden Michael Glos in die Debatte geworfen wurde).

Allein der niedersächsische Ministerpräsident Gabriel (SPD) hatte vor einiger Zeit einen nachdenkenswerten Ansatz formuliert. Er wagte die These, daß Eltern der sechziger und siebziger Jahre immer weiter verarmt seien und daher auf weitere Kinder verzichtet hätten. Diverse Verhütungsmittel machen Familienplanung möglich und lassen Adenauers Satz "Kinder kriegen die Leute von alleine" auf den Müllhaufen der Geschichte wandern.

Doch drohende Armut läßt sich nicht durch die von Rot-Grün versprochene Anhebung des Kindergeldes von 270 auf 300 Mark im Monat verhindern. Zu hoch sind die Kosten für den Nachwuchs und die Entbehrungen für die Eltern, als daß sie sich mit drei Hundertmarkscheinen im Monat aufwiegen ließen. Das war, wird gerne argumentiert, eigentlich immer so gewesen. Doch nie wurde Eltern so deutlich, auf welchen materiellen Verzicht sie sich einlassen, wenn sie ihre Wünsche nach Kindern erfüllen. Den Kinderlosen bleibt nicht nur mehr vom verdienten Geld (trotz höherer Steuerklasse), sondern sie sind auch vollständig in die Sozialsysteme integriert und vertrauen darauf, daß später die Kinder anderer Leute für sie sorgen.

Finanzminister Hans Eichel (SPD) befindet sich mit seinem Bundeshaushalt in einer finanziellen Schieflage. Er muß jedoch für das Wahljahr 2002 einen einigermaßen sehenswerten Etat vorlegen, um sich nicht ausgerechnet im Wahlkampf Vorwürfe einzuhandeln, er handelte finanziell unsolide. Daher liebäugelt er mit einer geringeren Erhöhung des Kindergeldes oder mit einer weniger teuren Form der Entlastung. Dem Focus sagte Eichel, der Bund könne "nur so viel machen, wie wir auch finanzieren können". Vom Finanzministerium seien für 2002 bislang nur 1,9 Milliarden Mark für ein höheres Kindergeld vorgesehen, berichtete das Münchner Nachrichtenmagazin. Damit könne lediglich eine Erhöhung des Kindergeldes von zehn auf 280 Mark für das erste und das zweite Kind finanziert werden. Die Opposition greift den Finanzminister bereits hart an: "Nachdem die Regierungskoalition die großen Kapitalgesellschaften steuerlich massiv entlastet hat, fehlt nun offenbar Geld für die Familien und einfachen Steuerbürger", sagte der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dietrich Austermann.

Eichel wird sich nicht ganz um eine höhere Familienförderung herumdrücken können. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 1998 den Staat zu einem größeren Engagement für die Familien verpflichtet. Weiter scheinen die Forderungen der Union zu gehen: Auf die Initiative der CSU geht der Vorschlag zurück, die monatlichen Leistungen pro Kind auf 1.000 Mark zu erhöhen. Doch darf man hier nicht vergessen, daß in diesem neuen Kindergeld alle bisherigen Leistungen zusammengefaßt werden sollen, also auch das Erziehungsgeld.

Doch jede Maßnahme kommt eigentlich zu spät: "Im Westen Deutschlands liegt die durchschnittliche Familiengröße inzwischen bei 1,3 Kindern, im Osten gar nur 1,1 Kindern pro Frau. Die Geburtenrückgänge der Zukunft sind damit schon programmiert, selbst wenn sich die rot-grüne Bundesregierung zu einer wesentlich großzügigeren Familienpolitik entschließen sollte als ihre christlich-liberale Vorgängerin", schrieb der Berliner Bevölkerungswissenschaftler Rainer Münz in der Welt.

Das bedeutet, daß es in Zukunft gar nicht mehr genug junge Frauen gibt, die genügend Kinder für den Substanzerhalt des deutschen Volkes bekommen können. Auch Münz kommt – wie andere Kollegen vor ihm – zu dem Ergebnis, daß ohne Zuwanderung die Zahl der Einwohner in Deutschland um etwa 23 Millionen bis zum Jahre 2050 zurückgehen wird.

Doch millionenfache Zuwanderung bringt wiederum ganz andere Probleme mit sich. CSU-Mann Glos wies erst kürzlich in einer Rede darauf hin, daß eine multikulturelle Gesellschaft die friedvolle Entwicklung in Gefahr bringen könne. Ethnische Spannungen, aus anderen Ländern nur zu bekannt, würden nach Deutschland importiert.

Die Deutschen werden sich, falls sie nicht Tor und Tür für die Einwanderung öffnen sollten, auf eine harte Zukunft einstellen müssen. Die heute im Erwerbsleben stehende Generation wird mehr und länger arbeiten müssen, um die Defizite der folgenden Generationen ausgleichen zu müssen. Wenn es dann in die Rente geht, werden sie mit erheblich niedrigeren Bezügen als die heutigen Rentner auskommen müssen. Das ist die Konsequenz einer Politik, die sich nicht um die Zukunft schert, ob bei der Umwelt, den Staatsfinanzen oder der Bevölkerungsentwicklung.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen