© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
Identifizieren und deportieren
Unternehmen: Ex-IBM-Chef Thomas Watson soll als "heimlicher Faschist" dem NS-Regime in Deutschland geholfen haben
Matthew Richer

There’s no business like Shoah business", sagte der frühere israelische Außenminister, Abba Eban. "Shoa" ist das hebräische Wort für Holocaust. Heutzutage heißt der Modebegriff "Holocaust-Industrie". Geprägt hat ihn Norman Finkelstein, Politologe am Hunter College in New York und Sohn zweier Holocaust-Überlebender. Sein Vater war in Auschwitz, die Mutter in Majdanek eingesperrt. "Das Leiden meiner Eltern war kolossal", sagte Finkelstein. "Es hielt an bis an das Ende ihres Lebens. Sie verdienen etwas besseres als diese Herabsetzung ihres Andenkens."

Eben diesem "Herabsetzungsprozeß" widmet sich Finkelsteins Buch "Die Holocaust-Industrie: Reflexionen zur Ausbeutung des Jüdischen Leidens". Finkelstein beschuldigt die Holocaust-Industrie, "nichts weiter als ein Erpressungsgeschäft" zu sein. Er klagt eine Reihe von jüdischen Organisationen der Ausbeutung des Holocaust zu politischen und finanziellen Zwecken an.

Das Holocaust-Museum in Washington, D.C., stellt in der Abteilung "Technologie und Verfolgung" zwei Hollerith-Maschinen aus. "Alle Regierungen sammeln Informationen über ihre Bürger", heißt es in der Ausstellungsbeschreibung. "Das Naziregime allerdings hat die Informationen benutzt, um politische Gegner aufzuspüren, rassenpolitische Maßnahmen durchzuführen und schließlich Massenmorde zu organisieren." Diese Hollerith-Maschinen wurden von IBM hergestellt. Die Nazis haben diese Maschinen angeblich benutzt, um Juden zu verfolgen und zur Vernichtung auszuwählen. Allerdings schreckt die Ausstellung davor zurück, IBM die Schuld an dem bösartigen Einsatz der Maschinen anzulasten.

Ganz anders Edwin Blacks kürzlich veröffentlichtes Buch "IBM und der Holocaust". Black argumentiert, daß IBM-Technologie für die Grausamkeiten der Nazis unverzichtbar gewesen sei und die Firma wissentlich die Endlösung begünstigt habe. Um den Hintergrund dieser Behauptungem kurz auszuleuchten: 1884 hielten die Amerikaner einen landesweiten Wettbewerb ab, um eine Maschine zu entwickeln, welche die Geschwindigkeit und Genauigkeit der amerikanischen Volkserfassung verbesserte. Ein 20jähriger deutsch-amerikanischer Ingenieur, Herman Hollerith, gewann den Wettbewerb mit eben jenem Modell, das heute als Hollerith-Maschine bekannt ist. Die Maschine benutzte Lochkarten, die Infomationen über verschiedene Bürger speicherten. Die Hollerith-Maschine war in der Lage, große Mengen von Daten schnell und einfach auszuwerten. Sie war ein sofortiger Erfolg.

1896 gründete Hollerith die Tabulating Machine Company. Schon 1924 dominierte das Unternehmen den Weltmarkt und änderte seinen Namen in International Business Machines (IBM). Zu diesem Zeitpunkt wurde das Standardmodell für Volkszählungen in den meisten europäischen Ländern eingesetzt. Viele dieser Maschinen wurden von der Firma Deutsche Hollerith Maschinen Gesellschaft hergestellt, einer Tochterfirma von IBM, die seit 1922 ihren Sitz in Berlin hatte.

Laut Black war dieser IBM-Ableger eindeutig eine faschistische Organisation. Er zitiert einen Brief des damaligen Direktors der Deutschen Hollerith, Willy Heidinger, an die deutsche Regierung von 1934. Heidinger schreibt begeistert über die zukünftige Rolle der Statistik und der Hollerith-Maschinen für Deutschland.

"Wir speichern die individuellen Charakteristika jedes einzelnen Mitglieds der Nation auf einer kleinen Karte. Wir sind stolz, zu einer solchen Aufgabe beitragen zu können, einer Aufgabe, die dem Arzt unseres deutschen Volkskörpers (Adolf Hitler) das Material für seine Untersuchung liefert, so daß unser Arzt entscheiden kann, ob vom Standpunkt der Gesundheit unserer Nation die errechneten Resultate in einer harmonischen und gesunden Beziehung zueinander stehen oder ob ungesunde Zustände mit korrektiven Eingriffen geheilt werden müssen. Wir haben festes Vertrauen in unseren Arzt und werden seinen Befehlen blind folgen, weil wir wissen, daß er unsere Nation in eine große Zukunft führen wird. Heil dem deutschen Volk und seinem Führer!"

Wahr ist, daß der Brief kein gutes Licht auf IBM wirft. Wahr ist aber auch, daß er die Juden mit keinem Wort erwähnt, sondern von "jedem einzelnen Mitglied der Nation" spricht. Ob Heidinger sich für den Nationalsozialismus begeisterte oder lediglich für die Aussicht auf Staatsaufträge, ist unklar.

David Martin Luebke, der ständige Ausstellungsleiter des Holocaust-Museums, gibt zu, daß die wahre Bedeutung der Hollerith-Maschine unbekannt bleibt. "Sie (die Nazis) brauchten die Hollerith-Maschinen nicht unbedingt, um Informationen über Menschen zu sammeln", sagt Luebke. "Sie bekamen ihre Informationen aus vielen verschiedenen Quellen. Es mag in mancher Hinsicht ihre Arbeit einfacher gemacht haben, aber es war nicht eine notwendige Voraussetzung für einen Massenmord. Aber Listen und Aufzeichnungen waren von besonderer Wichtigkeit, um Menschen zu identifizieren."

Ein pensionierter deutscher IBM-Angestellter, Friedrich W. Kistermann, hat öffentlich bestritten, daß die Nationalsozialisten die IBM-Technologie benutzt hätten, um den Holocaust logistisch zu organisieren. "Nationalsozialistischen Organisationen und bürokratischen Verwaltungen war jedes Mittel und jede Prozedur recht, um Juden identifizieren, lokalisieren, isolieren, berauben, ausschließen und deportieren zu können", sagt Kistermann. "Diese Institutionen benutzten gewöhnliche Büroausstattungen und -mittel: Papier, Formblätter, Indexkarten, Stifte, Tinte und Füller und Schreibmaschinen. Ohne weitere Entdeckungen von dokumentarischen Beweisen, welche sehr unwahrscheinlich sind, gibt es keinen Beweis dafür, daß Hollerith-Maschinen und Volkserfassungstechnik dafür benutzt wurden, wie in veröffentlichten Artikeln und Büchern sowie vom U.S. Holocaust Museum angedeutet wird."

Da ihm solche dokumentarischen Beweise fehlen, porträtiert Edwin Black Thomas Watson als "heimlichen Faschisten". Watson war als Präsident von IBM in den dreißiger Jahren eine weltbekannte Persönlichkeit. Als einzigen Beleg für Watsons geheime faschistische Neigungen kann Black anführen, daß er in den dreißiger Jahren alle zwei Jahre nach Berlin fuhr. Einem seiner Biographen zufolge reiste Thomas Watson allerdings regelmäßig ins Ausland, um IBM-Niederlassungen zu besuchen. Berlin war nur eine Niederlassung unter vielen, die er auf seinen Geschäftsreisen in Europa besuchte.

Watson war alles andere als ein Kriegstreiber. Eher befürwortete er den internationalen Handel als ein Mittel, um den internationalen Frieden zu erhalten. Watson glaubte, daß ein gesteigerter Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen den Nationen die internationalen Beziehungen harmonisieren würde. Sogar der damalige US-Präsident Franklin Roosevelt hatte nur Komplimente für Watson übrig. In einem 1938 verfaßten Brief lobte Roosevelt Watsons Bemühungen, den internationalen Handel zu nutzen, um eine "sicherere Weltordnung" zu schaffen. Thomas Watson war kein Faschist. Er war ein großzügiger Menschenfreund, dessen Weigerung, während der Weltwirtschaftskrise Arbeiter zu entlassen, ihn weltberühmt machte. In seiner gesamten Korrespondenz findet sich keinerlei Beweisgrundlage für Antisemitismus oder nationalsozialistische Sympathien.

Egal welche Rolle die Hollerith-Maschine im Holocaust spielte, in Wahrheit sind Maschinen Werkzeuge. Man kann sie für gute oder schlechte Zwecke einsetzen. Die Hollerith-Maschine mag während des Holocaust für schlechte Zwecke benutzt worden sein. Es gibt keinerlei Grundlage, daraus auf eine Mitschuld Watsons oder seiner Firma an diesen Verbrechen zu schließen.

 

Matthew Richer lebt als freier Journalist in New York.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen