© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
"Landespolitik hat es schwer"
SPD-Fraktionschef Joachim Mertes über die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz und das Übergewicht der Bundespolitik
Moritz Schwarz / Jörg Fischer

Herr Mertes, warum sollen die Wähler bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am 25. März die SPD wählen, die im Land mit der FDP, im Bund aber mit den Grünen koaliert?

Mertes: Das ist kein Widerspruch, sondern eine landesspezifische Entscheidung, die wir ganz und gar nach rheinland-pfälzischen Gesichtspunkten gefällt haben.

In Sachen Steuerreform hatte die Landesregierung eine etwas zögerliche Haltung, resultierte diese auch aus solchen landesspezifischen Gesichtspunkten?

Mertes: Nein, das war eher der Koalition geschuldet: Wenn wir uns nicht einigen würden, würden wir uns enthalten. Tatsächlich aber hat Rheinland-Pfalz beim Zustandekommen der Steuerreform eine wichtige Rolle gespielt und darüber hinaus auch noch einige für den Mittelstand außerordentlich wichtige Ergänzungen durchgesetzt.

Die rot-grüne Koalition in Berlin leidet unter verschiedenen Konfliktthemen. Etwa wollen die Grünen 2003 gegen die SPD die Ökosteuer verschärfen. Auch die Rente harrt noch einer endgültigen einvernehmlichen Lösung. Können Sie angesichts dessen Ihre sozialliberale Lösung nicht auch für Berlin empfehlen?

Mertes: Wir in Mainz würden uns mit klugen Ratschläge an Berlin wohl etwas übernehmen. Uns erschien diese Konstellation für Rheinland-Pfalz einfach als das beste, denn sie ermöglicht eine Politik, die sehr auf die landesüblichen Traditionen einzugehen vermag. In der Frage der Rentenregelung werden wir nachsteuern, wie schon bei der Steuerreform. Einer unserer Vorschläge lautet, das Privateigentum an Immobilien mit in die private Altervorsorge einzubeziehen. Es wird im Moment daran getüftelt, wie dies rechtlich zu bewerkstelligen ist.

Unter dem Einfluß der wirtschaftsliberalen FDP ist Ihre SPD doch auch gewerkschaftsferner geworden. Oskar Lafontaine hatte ja immerhin aus diesem Grund die Bundesregierung verlassen. Vernachlässigen Sie da nicht in der Tat Bereiche, in denen Sie soziale Verantwortung haben, und riskieren damit den Verlust eines Teiles der klassischen SPD-Klientel?

Mertes: Ich sehe nicht, daß uns die Arbeitnehmer abhanden kommen. Sie erkennen vielmehr, daß wir eine für sie nützliche Politik unterstützen. Ich bin seit meinem 14. Lebensjahr in der Gewerkschaft, aber das hindert mich doch nicht, eine vernünftige, den Mittelstand unterstützende Wirtschaftspolitik zu machen. Wo sollten denn sonst die Arbeitsplätze herkommen? Wir haben die bundesweit höchste Quote an Betriebsgründungen in Rheinland-Pfalz: nämlich auf 10.000 Einwohner 16 Betriebsgründungen im Vergleich zu zehn auf Bundesebene. Wir sind ein klassisches konservatives Land, es gibt nur fünf Städte mit über hunderttausend Einwohnern, und die große Mehrheit der Rheinland-Pfälzer wohnt, wie übrigens auch ich, in Dörfern. In Rheinland-Pfalz ist die SPD nicht so revolutionär wie in Hessen-Süd, aber wir haben im Gegensatz zu Hessen-Süd eine Mehrheit.

Sie waren auch Hauptfeldwebel bei der Bundeswehr. Sehen Sie sich denn eher als konservativen Sozialdemokraten?

Mertes: Ich war gerne Soldat, und ich war es freiwillig. Das hat aber nichts mit links und rechts zu tun.

Sie fühlen sich dem traditionellen Arbeitnehmerflügel zugehörig?

Mertes: Durchaus. Ein gewaschener Hals ist für mich noch kein Ausdruck von Rechtsradikalismus.

Sehen Sie – als eher traditioneller Sozialdemokrat – die Vergangenheit Joschka Fischers nicht als eine Belastung der Berliner Koalition an? Denn,wie etwa die "Welt" zu Beginn der Woche meldete, soll er nun doch von den Vorbereitung des Molotowangriffs auf die spanische Botschaft gewußt haben.

Mertes: Da soll die Welt doch auch einmal etwas anderes fragen: Wer hat denn Herrn Pinochet besucht, und wer hat mit Herrn Franco Kaffee getrunken, und wer hat Herrn Mandela als Linksradikalen beschimpft? Dann wäre das Bild wohl etwas ausgewogener.

Wie beurteilen Sie das Drängen der Schröder-SPD hin zur Mitte und zu immer mehr Markt?

Mertes: Wir haben zu lange den Staat als Götzen angesehen und haben zu wenig darauf geachtet, daß auch der Einzelne etwas beitragen muß. Ich zähle mich daher eher zu den "Deregulierern". Überlegen Sie einmal, was wir in Deutschland alles regulieren! Außer Fraktionsvorsitzender bin ich auch noch Dorfbürgermeister, was meinen Sie was ich da alltäglich so erlebe!

Gibt es gewisse linke Positionen in der SPD, die Sie kritisieren?

Mertes: Mit diesem Links-Rechts-Schubladendenken kann ich nichts anfangen. Entweder eine Sache ist gut oder schlecht. Aber nicht links oder rechts.

Wie stehen Sie zum heutigen Verhältnis von SPD und PDS?

Mertes: Auf der Bundesebene stellt sich die Frage ja nicht. Wenn sie sich nun auf Länderebene stellt, dann müssen die Freunde vor Ort wissen, was sie verantworten können. Wenn sie es verantworten können, dann ist das ihre Sache. Wie soll ich es aus dem fernen Hunsrück beurteilen? Ich persönlich betrachte diese Lösung immer nur als letzte aller Möglichkeiten.

Ist die etwas bizarre Konstellation, die immer wieder ins Spiel gebracht wird, nämlich schwarz-grün, eine Option, welche die rheinland-pfälzische SPD nach dem 25. März tatsächlich fürchten muß, oder ist das reine Koketterie?

Mertes: In Rheinland-Pfalz kann ich mir das nicht vorstellen. Da haben wir keine Befürchtungen.

Für die Grünen wird es knapp, werden sie die Fünf-Prozent-Hürde schaffen?

Mertes: Ja, und ich wünsche mir das sogar. Schließlich sind sie ein belebendes Element. Und sie verleihen einem wichtigen Teil des Wählerwillens Ausdruck.

Kritisierten Sie als Vertreter des auch ländlich geprägten Rheinland-Pfalz wegen der Eskala-tion in der Tierseuchen-Problematik nicht das grüne Landwirtschaftsressort in Berlin?

Mertes: Warum sollten wir?

Immerhin: zwei Bundesminister, darunter der SPD-Landwirtschaftsminister Funke, mußten schon gehen.

Mertes: Sind wir doch ehrlich, wer ist denn letztendlich schuld an der Misere? Doch die Verbraucher, also wir alle! Ich wünsche mir da mehr Selbstkritik der Gesellschaft. Sind nicht die meisten von uns zu den Billig-Händlern gelaufen und haben die Bauern damit zu solchen Produktionsmethoden veranlaßt? Eine Flasche Bordeaux für fünf Mark würden wir vor Mißtrauen nie kaufen, aber beim Fleisch kann es gar nicht billig genug sein.

Wird es durch die in Berlin beschlossenen Reformen für den Agrarsektor zu einer weiteren Verschärfung der Situation der Landwirte auch bei Ihnen in Rheinland-Pfalz kommen?

Mertes: Das wird in der Tat schwer. Das kann man ja nicht einfach per Dekret verordnen. Man muß den Bauern in die Lage versetzen, sich auch unter den neuen Bedingungen am Markt zu bewähren: Der Bauer muß seine Produkte absetzen und davon auch leben können. Dazu gehört, den Verbrauchern klarzumachen, daß es sinnvoll ist, für ein Kilo guten Rinderbraten vielleicht bis zu zwanzig Mark zu zahlen. Wir geben 14 Prozent unseres Einkommens für Lebensmittel, aber 18 Prozent für Vergnügen aus. Das geht in Zukunft wohl nicht mehr.

Auch mit der Ökosteuer belasten die Genossen in Berlin doch Ihr Land ungleich stärker?

Mertes: Ja und nein. Natürlich ist es für uns in den kleinen Gemeinden auf dem Lande schwieriger, mit der Ökosteuer zurechtzu- kommen. Aber es ist die einzige wirksame Möglichkeit, um die Menschen dazu zu bringen, mit Energie in Zukunft anders umzugehen.

Und unter dem Deckmäntelchen des Umweltschutzes trickreich gleich noch andere Löcher zu stopfen?

Mertes: Wenn Sie die Zusammenhänge sehen, wird deutlich, daß das mit dazu beiträgt, Arbeitsplätze zu erhalten.

Sollten Sie dennoch nicht im Interesse von Rheinland-Pfalz – spätestens nach der Wahl – Reformen fordern?

Mertes: Wir akzeptieren die Ökosteuer auch deshalb, weil sie der Mitfinanzierung der Renten hilft und so dort Erleichterung schafft. Wir alle hier haben sie natürlich mit einem gewissen Brummen hingenommen, aber jetzt ist es akzeptiert.

Spätestens seit der "Green Card"-Initiative steht bei allen Wahlen die Bildungspolitik ganz oben auf der Themenliste. Welche neuen Initiativen wollen Sie nach einem eventuellen Wahlsieg starten?

Mertes: Wir haben etwas in petto, was es bisher in Deutschland so noch nicht gibt: Wir werden ab dem nächsten Jahr Ganztagsschul-Angebote machen, um den Frauen in Rheinland-Pfalz Familie und Beruf, bzw. Ausbildung zu ermöglichen. Das heißt vier Tage die Woche bis 16 Uhr Schule, so daß die Kinder betreut sind. Zwar kostet das viel Geld, ist aber völlig neu und wird Rheinland-Pfalz weit nach vorne bringen.

Das ist aber eine Maßnahme im Rahmen der "Breitenqualifizierung", während doch der immer mehr zunehmende Expertenmangel in Deutschland das meist monierte Problem darstellt.

Mertes: Natürlich. Die Devise muß aber sein, "das eine tun, das andere nicht lassen". Wir brauchen Ingenieure und Wissenschaftler, wir brauchen aber genauso Dachdecker und Bäcker.

Entscheidend für Deutschlands Bewährung in der Weltwirtschaft wird aber die Fähigkeit sein, Spitzentechnologie zu entwickeln, deshalb haben schließlich die "Computer-Inder" solche Furore gemacht. Oder betrachten Sie diese Fragen als oberhalb der Länderebene angesiedelt?

Mertes: Nein, deshalb haben wir in Rheinland-Pfalz nach der Wende auch auf acht ehemaligen Militärstandorten Fachhochschulen gegründet. Dort bilden wir etwa Ingenieursnachwuchs aus. Wir kombinieren das mit der Wirtschaftsförderung vor Ort. Beispiel Birkenfeld: Dort haben wir eine Fachhochschule für Umwelttechnologie und Bauen. Und direkt in der Stadt ein Zentrum für Unternehmen, die Umwelttechnologie entwickeln. Es bleibt aber, da haben Sie recht, der Expertenmangel ein Problem. Deshalb müssen wir eben noch weltoffener werden, dürfen nicht länger soviel Ausländerfeindlichkeit zulassen und müssen mit den Menschen, die wir hierher holen, besser umgehen. Es ist nicht in Ordnung zu sagen, "Jetzt hast Du fünf Jahre hier gearbeitet, jetzt mußt du wieder gehen." Oder: "Du darfst kommen, aber Deine Frau nicht mitbringen." – Was würden Sie denn da sagen?

Selbst aus den Gewerkschaften kommt der Vorwurf – auch wenn er sich nicht auf die bislang über 5.000 "Green Card"-Stellen bezieht –, die Politik wolle der Industrie willfährige Einwanderer ins Land holen, statt erst die sozialen Interessen der eigenen Arbeitnehmerschaft wahrzunehmen.

Mertes: Man darf nicht die Einwanderer gegen die Arbeitnehmer und die Arbeitnehmer gegen die Einwanderer ausspielen. Wir leben hier an der Grenze und empfinden Ausländer deshalb nicht als störend. Unsere Arbeiter in Rheinland-Pfalz würden so eine Argumentation nie akzeptieren.

Betrachten Sie die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz in Verbindung mit der Wahl in Baden-Württemberg als eine Testwahl für die Bundestagswahlen im nächsten Jahr?

Mertes: Sicher wartet man auch im Bund mit Spannung auf die Ergebnisse, aber Rheinland-Pfalz hat nur vier, Baden-Württemberg zehn Millionen Einwohner. Das ist wohl bei achtzig Millionen Deutschen ein bißchen zu wenig.

Aber überlagern nicht Bundesthemen die landespolitischen Themen?

Mertes: Das ist allerdings richtig. Leider droht seit etwa fünfzehn Jahren jeder Landtagswahlkampf von der Bundespolitik überdeckt zu werden. Das hat mit der Medienpräsenz und der schrillen Hektik zu tun, die in die öffentliche Diskussion eingekehrt ist. Denken Sie an die Fragen, die uns umtreiben: Ob Joschka Fischer vor dreißig Jahren auf irgendeinem Kongreß geklatscht hat oder nicht! "Wem hast Du damals die Hand gegeben?" Wir kommen dagegen mit Abwässerkanälen, Wasserversorgung und Ganztagsschulen. Da hat es Landespolitik eben schwer.

Dann betrachten Sie die südwestdeutschen Landtagswahlen aber dennoch – auch neben der Bundesratsfrage – als bundespolitisch relevant.

Mertes: Natürlich sind wir froh, daß unsere Bundesregierung ordentlich im Wind liegt, sonst wäre es für uns schwerer. Und sicherlich nützt uns auch die Schwächung der Landes-CDU durch die internen Streitereien in der CDU-Führung in Berlin. Vor allem aber hängt der Landes-CDU der Skandal um den zu sieben Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilten CDU-Parteikassierer von Trier, dessen Verbandschef Christoph Böhr ist, nach.

In den Wahlumfragen liegen die Sozialdemokraten weit vorn. Wird Christoph Böhr nach einer eventuellen Wahlniederlage der Christdemokraten Oppositionsführer in Mainz
bleiben?

Mertes: Ganz Rheinland-Pfalz weiß, daß Christoph Böhr als neuer Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung überall herumgereicht wird. Und da er Doktor der Philosophie ist, wäre das wohl auch der richtige Job für ihn. Da könnte er nicht viel kaputt- machen.

 

Joachim Mertes ist Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag von Rheinland-Pfalz. Geboren 1949 in Trier, absolvierte Mertes zunächst eine Bäckerlehre, bevor er von 1967 bis 1975 bei der Bundeswehr diente. Von 1978 bis 1983 war er Landesgeschäftsführer der SPD und von 1979 bis 1990 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Kreistag. Seit Mai 1983 gehört er dem Landtag an, seit 1994 ist er Vorsitzender der SPD-Fraktion. Außerdem ist er Ortsbürgermeister der Gemeinde Buch im Hunsrück.

 

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