© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
Ein Planet wird geplündert
Bevölkerungswachstum: Europa muß sich auf neue Wanderungsströme einstellen
Volker Kempf

Zukunftsprognosen sind stets mit Vorsicht zu genießen, weil wichtige zukünftige Ereignisse noch nicht erkannt werden können. Nach dem Motto "hinterher ist man immer schlauer", hat auch die UNO mit ihrer neuesten Berechnung zur Zukunft der Weltbevölkerung die Zahlen gegenüber denen von 1998 korrigiert, und zwar nach oben. Demnach wird die Weltbevölkerung bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts bei zwischen 7,9 und 10,9 Milliarden Menschen liegen; im Mittel sind das 9,3 Milliarden – genau 431 Millionen Menschen mehr als noch vor drei Jahren angenommen. Zum Vergleich: Die EU hat 425 Millionen Einwohner.

Diese Bevölkerungsvermehrung, die vor allem auf die Dritte Welt zurückgeht, hat eine globale und eine lokale Dimension. Die globale Dimension beginnt damit, daß schon jetzt, bei gut sechs Milliarden Menschen, der Planet geplündert wird. Allein die Meeresfischbestände sind zu zwei Dritteln überfischt. Man ahnt leicht, daß das für "das irdische Gleichgewicht" nichts Gutes heißen kann, wie Herbert Gruhl in seinem Buch dieses Titels schreibt: "Die Gefahr liegt damit nahe, daß die Menschen in ihrer Überfülle aufeinanderstoßen und sich die letzten Lebensgrundlagen streitig machen werden, so daß sie sich schließlich gegenseitig ausrotten." Die atomare Bedrohung, die mit dem Ende des Kalten Krieges selbst beendet zu sein schien, nimmt damit nur andere Formen an. Das macht denn auch das "Star-Wars"-Programm von George W. Bush plausibel.

Die Lage birgt also reichlich Sprengkraft in sich. Um so wichtiger erscheint eine Abnahme der Weltbevölkerung. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl, forderte folglich auch am 9. Januar in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, daß die Zahl der Menschen in den nächsten Jahrhunderten auf ein bis zwei Milliarden Menschen absinken möge. Doch das ist leicht gesagt. Mit Markl zu hoffen, daß die Länder der sogenannten Dritten Welt, auf die das Bevölkerungswachstum zurückgeht, unseren Wohlstand erreichen und damit auch unsere niedrige Geburtenrate, erscheint vage. Allein die USA produzieren mit ihren bescheidenen 276 Millionen Einwohnern einen Drittel aller Kohlendioxyd-emissionen und große Mengen Müll. Um den Lebensstandard der USA zu globalisieren, bräuchten wir zwölf Erden – oder noch immer neun Erden, würde man Deutschland als Vorbild nehmen. So oder so haben wir aber nur eine Erde. Wissenschaftler wie der amerikanische Anthropologe Marvin Harris ("Kannibalen und Könige. Die Wachstumsgrenzen der Hochkulturen") fordern daher ausdrücklich, bei der Familienplanung auch vor Abtreibungen nicht zurückzuschrecken.

Unterdessen wächst der Wanderungsdruck von ärmeren Regionen auf dieser Welt zu den Wohlstandsinseln wie der EU. Bilder, wie jüngst wieder aus Italien, wo 400 Flüchtlinge aus den Krisenregionen Pakistan, Afghanistan und Anatolien mit dem Schiff aus der Türkei ankamen und damit die Grenzen der EU erreichten, bringen uns das immer wieder nahe. Beliebtestes Asylbewerberland ist dabei noch immer Deutschland mit rund 100.000 Anträgen jährlich, gefolgt von Großbritannien und Frankreich mit 90.000 und 30.000 Asylanträgen im Vergleichszeitraum 1999. Läßt man Zahlen sprechen, so gab es 1972 in Deutschland 5289 Asylsuchende. Die Anerkennungsquote lag bei 39,8. Im Laufe der Jahre stieg die Zahl der Asylsuchenden auf nunmehr jährlich rund 100.000 in Deutschland an. Die Anerkennungsquote liegt seit Jahren deutlich unter zehn, 1997 gar unter fünf Prozent.

Parallel zum Anstieg der Asylanträge nahm also die Anerkennungsquote ab. 1993 wurde das Asylrecht durch eine Drittstaatenregelung zwar verschärft und die Asylbewerberzahlen in Deutschland von über 400.000 (1992) auf rund 100.000 (1999/2000) gesenkt. Doch die Vergleichszahlen sind nur von bedingter Aussagekraft. Denn ab 1994, als die Asylbewerberzahlen deutlich von 322.000 (1993) auf 127.000 (1994) absanken, wurde die Erfassung der Asylbewerber verändert. Seit 1994 werden nur noch Erstanträge erfaßt.

Die Asylbewerberzahlen blieben seit 1994 bei der Größenordnung von 100.000 und einer Anerkennungsquote von deutlich unter zehn stehen. Die CSU forderte kürzlich denn auch eine erneute Verschärfung des Asylrechts durch die Abschaffung des individuellen Anspruchs auf Asyl, nach dem Motto: "Wenn das individuelle Asylrecht faktisch ein Zuwanderungsrecht geworden ist, ist eine völlig neue gesetzliche Regelung notwendig." Man wird kaum bestreiten können, daß diese Überlegung einiges für sich hat. Friedrich Merz (CDU) will zunächst nur ein ein politisches Betätigungsverbot für Asylbewerber, um so die Entstehung eines Asylgrundes in laufenden Verfahren auszuschließen.

Kerstin Müller, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag, hält dagegen, die Konservativen würden in Abrede stellen, daß Deutschland ein Einwanderungsland sei, und fordert in einer Stellungnahme 300.000 zusätzliche Einwanderer pro Jahr. Dabei wird unterschlagen, daß die CSU wie Merz mit ihren Offerten gar nicht Ein-, sondern Zuwanderer im Visier haben. Zuwanderung vollzieht sich unkontrolliert, Einwanderung kontrolliert nach den örtlichen Bedürfnissen. Unterschlagen wird von Müller auch, die eigentlich "grün", also ökologisch denken und Trittin helfen müßte, die Flächenversiegelung von täglich mehr als 120 Hektar zu stoppen, daß Deutschland zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt gehört. In den neunziger Jahren lag die Bevölkerungsdichte hierzulande bei 220 Menschen pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: Afrika hat eine Bevölkerungsdichte von sieben Menschen, Lateinamerika von acht und die EU von durchschnittlich 146 Menschen je Quadratkilometer. Japan weist auf besagter Flächeneinheit eine Bevölkerungsdichte von 324 Menschen auf und dürfte für Deutschland diesbezüglich sicher nicht vorbildlich sein. Immerhin gibt es schon jetzt 800.000 Geburten pro Jahr in Deutschland. So schnell wird unser Land also nicht menschenleer.

Der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt brachte es auf die Formel, daß Nächstenliebe nicht zur kollektiven Selbstaufgabe führen dürfe. Man muß im Auge behalten, daß wir froh sein können, wenn unser eigenes Schiff – innenpolitisch – stabil bleibt. Dazu muß man sich selbst behaupten können. Doch diese Selbstbehauptung wird in Frage gestellt, wo das bestehende Asylrecht durch Asylmißbrauch faktisch zu einem Zuwanderungsrecht wird. Das wird auch nicht dadurch besser, daß etwa Kerstin Müller auf demographische Probleme hinweist. Die Zeiten, in denen Rentenprobleme durch Bevölkerungswachstum gelöst wurden, sind vorbei.


 
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