© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/01 02. März 2001

 
Des Bürgers Nerv
Ausstellung "Der Biss des Simplicissimus" in Berlin
Ekkehard Schultz

Die von 1896 bis 1944 erscheinende Satirezeitschrift Simplicissimus zählt unzweifelhaft bis heute zu den größten und bedeutendsten Blätter des Genres. Einem seiner bekanntesten Karikaturisten und zeitweiligen Herausgeber, Thomas Theodor Heine, hat das Berliner Bröhan-Museum eine eigene Ausstellung gewidmet.

Entgegen der Erwartung, die der Ausstellungstitel beim Betrachter wecken könnte, stellt die Ausstellung nicht ausschließlich eine themen- und zeithistorische Aneinanderreihung von Karikaturen Heines dar, sondern den Versuch, einen Gesamtüberblick über Heines künstlerisches Schaffen zu bieten. Schließlich war Heine nicht nur ein hervorragender Karikaturist, sondern auch Landschafts- und Genremaler, der sich der um die Jahrhundertwende populären Stilrichtungen Symbolismus und Impressionismus bediente. Doch nicht nur Leinwand und Papier stellten sein Metier dar. Heine versuchte sich auch erfolgreich im bildhauerischen Bereich, wofür in der Ausstellung die beiden Bronzegüsse "Teufel" und "Engel" Zeugnis ablegen. Einen großen Ruhm erlangte Heine auch mit seinen Illustrationen und der Buchumschlaggestaltung für zahlreiche Werke der klassischen sowie der zeitgenössischen Literatur.

Trotzdem liegt der Schwerpunkt der Berliner Ausstellung zweifellos auf den Karikaturen Heines im "Simpl". Bereits an dessen Gründung hatte der aus einem bürgerlichen jüdischen Elternhaus stammende Heine großen Anteil. Zusammen mit dem jungen Münchner Verleger Albert Langen entwickelte er das Konzept zur Grundsteinlegung des Blattes. Schon zu Beginn nahm Heine daher eine Sonderstellung beim Simplicissimus ein, die sich insbesondere im Verlauf der sogenannten "Palast-Revolte", bei der Heine eine federführende Rolle spielte, deutlich zeigte. In dieser Auseinandersetzung wurde Langen, bis dahin Alleinbesitzer der Satirezeitschrift, gezwungen, die Mitarbeiter an den Gewinnen des Blattes zu beteiligen.

Beliebte Themen Heines waren Autoritätsgläubigkeit, Militär, Justiz, Kirche und speziell die Kritik an der Person des Kaisers, insbesondere wegen dessen oft unbeholfen wirkenden außenpolitischen Auftretens. Letzteres brachte ihm schnell Verwarnungen wegen "Majestätsbeleidigung" und 1899 eine Verurteilung zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe ein, die er auf der sächsischen Festung Königstein verbüßte.

Seinen Höhepunkt hatte der Simplicissimus in der Epoche von seiner Gründung 1896 bis 1914. Mit seinen sozialkritischen und politischen Karikaturen traf der "Simpl" den Nerv eines aufstrebenden liberalen Bürgertums. So konnte man sich rasch gegenüber der renommierten Konkurrenz, wie etwa den Fliegenden Blättern, dem Kladderadatsch oder dem SPD-Witzblatt Wahrer Jacob behaupten. Nach der Jahrtausendwende wurde der Traum von der 100.000-Exemplare-Marke Wirklichkeit. Verbote jeder Art nutzte der "Simpl" zu Werbezwecken. (Originaltext: "Der Simplicissimus ist das einzige in Preussen bahnpolizeilich verbotene grosse Witzblatt").

Mit dem Kriegsausbruch begann der schrittweise Abstieg der Zeitschrift. Zwar hatte der "Simpl" durch seinen schnellen Verzicht auf jede Art von innenpolitischer Kritik und die Indienststellung in die patriotische Front keine Verbote mehr zu befürchten, doch wurde er damit inhaltlich austauschbarer, was sich wiederum auf die Verkaufszahlen auswirkte. Nach 1918 war eine klare Blattlinie nicht mehr vorhanden, da mit mit dem Bedeutungsverlust der alten Autoritäten auch viele ehemalige Themengebiete an Wirksamkeit verloren. So reihte sich der erzwungene Abgang Heines im Zuge der Gleichschaltung des Simplicissimus im Jahre 1933 nur noch in eine Kette des schleichenden Abstiegs ein. Vermutlich nutzten einige Blattkollegen die Gunst der Stunde, um sich des zwar geachteten, aber ob seines Ehrgeizes beargwöhnten Heine zu entledigen, indem sie dem "Juden Heine" die alleinige Schuld für vorherige Angriffe gegenüber der neuen Staatsmacht zuschoben und dadurch ein Verbot der Zeitschrift verhinderten. Heine floh zunächst in die Tschechoslowakei, später nach Norwegen und schließlich nach Schweden, wo er 1948 starb.


 
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