© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/01 02. März 2001

 
Antifa heißt Angriff
Im Zuge der Kampagne "gegen Rechts" verlieren Linke ihr Monopol
Angelika Willig

Sollten wir in zwanzig Jahren zufällig wieder den Namen "Sebnitz" hören, würde wohl jeder sofort zurückschaudern. Aus diesem Grunde soll Sebnitz vom Land Sachsen zehn Millionen Mark bekommen, um sein Image aufzupolieren. Erst waren 40 Millionen Mark gefordert, aber auch die hätten kaum ausgereicht. Der Fluch lastet für ewig auf diesem Ort, und touristisch wäre es wahrscheinlich klüger, eine Art Geisterbahn dorthin einzurichten und aus dem Unvermeidlichen Kapital zu schlagen.

Wie durch große Schlachten Orte ins historische Gedächtnis treten, von denen sonst nie jemand etwas gehört hätte, so hat das Mediengetöse wochenlang den Staub dieser sächsischen Kleinstadt aufgewirbelt. Auch wenn in Sebnitz im Grunde gar nichts passiert ist, nichts Politisches heißt das, richtet sich das Interesse ganz auf die Politik. Eine Mutter, die vom tragischen Tod ihres Kindes so geschlagen ist, daß sie schließlich eine Paranoia entwickelt und damit die gesamte Öffentlichkeit ansteckt, ist schon für sich eine dramatische und unheimliche Geschichte. Doch um diese psychologische Geschichte geht es zu keinem Zeitpunkt. Es geht vor und nach der Aufdeckung des wahren Verlaufs um Deutschland und darum, wie böse es inzwischen wieder ist oder nicht ist. Und dabei stellt Sebnitz einen Meilenstein dar.

Gerade weil "nichts passiert" ist, scheiden sich hier die Geister. Solange man noch an ein Verbrechen glaubte, mußte jeder, wie bei Hoyerswerda, Rostock, Mölln, mit Entsetzen reagieren. Wer wäre nicht entsetzt über Morde und Mordanschläge, ob sie nun Asylanten treffen oder irgendwen anders. Diese Selbstverständlichkeit des Mitgefühls, die mit Politik nichts zu tun hat, hat Rot-Grün mit der monatelangen "Kampagne gegen Rechts"geschickt ausgenutzt. Wer die rechte Gewalt ablehnt, wird gezwungen, sich der Kampagne anzuschließen. Wer das aber tut, akzeptiert gleichzeitig bestimmte politische Prämissen, die vom regierenden linksliberalen Lager festgesetzt sind. Mit anderen Worten: Wer nicht als Verbrecher gelten will, darf keine echte Opposition bilden. Die CDU ist sofort in diese Falle hineingetappt und hat den Wechsel vom antitotalitären zum antifaschistischen Konsens mitvollzogen. Sie hat "gegen sich selbst demonstriert", insofern als "rechte" Positionen innerhalb der Union nun konsequent bekämpft werden müssen. Was aber "rechts" ist, entscheidet der politische Gegner, der nun kein Gegner mehr ist, sondern Verbündeter.

Doch auch die Linke darf bei der "Staats-Antifa" nicht gratis mitmachen. Nach dem Marsch durch die Institutionen und der Regierungsbeteiligung der Grünen ist inzwischen auch die PDS koalitionsbereit. Keiner spricht mehr davon, daß der Kapitalismus der Nährboden faschistischer Auswüchse sei – Arm in Arm marschiert die afrikanische Aushilfskraft mit dem schwäbischen Aktienhändler "gegen Nazis", und die Kapitalisten lachen sich ins Fäustchen.

Diese Liberalisierung des Antifaschismus war abzusehen. So hört man seit einiger Zeit die Parole: "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen." Als ob dem Faschismus das vorzuwerfen sei, daß es sich dabei nicht um eine "Meinung" handelt. Marxismus, Katholizismus oder Feminismus sind auch keine "Meinungen", sondern Theorien. Meinungen sind überhaupt nur solche Aussagen, die von einem individuellen Standpunkt ausgehen und keine Allgemeingültigkeit besitzen.

Die Auffassung von Politik als einem Austausch von Meinungen ist eine charakteristisch liberale Auffassung. Auch die tageszeitung wirbt neuerdings: "taz muß sein, weil Kontrast Meinung bildet." Wie der Rechten vorgeworfen wird, außerhalb des Meinungsspektrums zu stehen, so rechtfertigt man die eigene Existenz praktisch nur noch damit, das Meinungsspektrum zu erweitern. Früher sprach man von "Aufklärung" und "Bewußtseinsbildung" und hielt den Pluralismus für eine "bürgerliche Ideologie". Gegen eine gepflegte Streitkultur stand der dialektische Materialismus als "wissenschaftliche Weltanschauung". Nun ist die linke Meinung eine unter anderen. Sie ist keine Alternative mehr, sondern ein dekorativer Kontrast.

Mit dem Begriff des "anständigen Deutschen" hat Bundeskanzler Schröder die neue Allianz treffend bezeichnet. War vorher das Beschwören deutscher Schuld doch eher eine Sache von Spezialisten wie Pfarrern, Lehrern oder Friedensnobelpreisträgern, steht nun jeder auf, um "etwas zu tun" – wenn es auch nur das Ankleben einer Plakette gegen "rassistische Gewalt" ist. War vorher der Deutsche, der "anständig" arbeitet, "anständig" ißt und sich "anständig" anzieht, das Feindbild strenger Volkspädogogen, die den Deutschen stets niedergedrückt und in Sack und Asche sehen wollten, ist nun ein gesundes Selbstbewußtsein durchaus mit politischer Betroffenheit zu vereinbaren. Rassismus wird zu einem "Problem", das man löst wie das Parkplatzproblem oder das Computerproblem.

Der Antifaschismus der "neuen Mitte" ist der moralische Kitt, der das große Bündnis für den "Standort Deutschland" zusammenhält. Wenn es daher keine rechtsextremistischen Täter gibt, wie in Sebnitz, dann sieht diese Staats-Antifa auch keinen Handlungsbedarf mehr. Es sei denn, den zu Unrecht Verdächtigten eine angemessene Entschuldigung und Entschädigung zukommen zu lassen.

Doch für einige ist die Sache noch nicht erledigt. Sie machen weiter, verteilen Flugblätter und planen Demonstrationen. Sie leugnen nicht, daß der Tod des kleinen Josef ein Unfall war. Doch nicht darum geht es ihnen, ob ein Verbrechen mehr oder weniger begangen wurde, sondern welche Politik in diesem Lande – auch mit den Opfern – gemacht wird. Für sie heißt Antifa immer noch "Angriff", und zwar Angriff nicht auf irgendwelche Glatzen, sondern auf Deutschland. Man fordert, "endlich jenseits falscher Rücksichtsnahme auf demokratische Bündnisse und ähnliches eine Kritik an Verhältnissen, die in der Konsequenz auf Sebnitz hinauslaufen müssen" – auch wenn sie tatsächlich (noch) nicht darauf hinausgelaufen sind.

"Dieser Sommer", heißt es weiter, "hat ein gespenstisches Volksbündnis aller guten Deutschen gegen Rechts beschert, das vielen konkreten Nazis zwar schadet, die gesellschaftliche Stimmung, die sie dauernd neu erzeugt, aber weiter befestigt." Was wir beobachteten, wird hier eingestanden: "Die gesamte Antifa-Bewegung und mit ihr die restliche radikale Linke steht seither völlig paralysiert vor antifaschistischen Großkundgebungen wie am 9. November 2000 in Berlin." Der Staat hat ihnen "das Copyright geklaut" und sie müssen die Firma zumachen. Die "Unterscheidung zwischen Nazis und Anständigen" erkennen die Unterzeichner ganz richtig als Machtinstrument. Für sie ist Sebnitz "der Ort, an dem die antifaschistische Linke den Bruch vollziehen muß mit ihrer fatalen Rolle als Wasserträger für ein moralisch anständiges Deutschland." Entsprechend heißt es dann zum Schluß nicht mehr wie gewohnt "Keinen Fußbreit den Faschisten!", sondern statt dessen "Keinen Fußbreit den Deutschen!"

Mit "deutsch" ist hier nicht die Staatsangehörigkeit gemeint und auch nicht die geographische Herkunft, sondern das Bekenntnis zum Deutschen in irgendeiner Form, sei es als Neonazi, sei es als anständiger Deutscher in der Riege von Schröder, als Exporteur von Volkswagen oder als Biograph von Stauffenberg. Der Angriff richtet sich ausdrücklich "nicht gegen den rechten Rand", sondern "gegen die demokratische Mehrheit der Deutschen". Es unterzeichnen u.a. eine "AG Sebnitz" aus Berlin, ein "Antinationales Plenum Detmold", die "Antideutsche Gruppe Wuppertal" – wobei es besonders schwerfällt, sich ein antideutsches Wuppertal vorzustellen.

Die Demonstration hat – bisher – nicht stattgefunden. Die Öffentlichkeit wollte es den Sebnitzern verständlicherweise nicht zumuten, aufs neue verunglimpft zu werden. Schließlich sind sie auch nicht deutscher als andere. Der Schlachtlärm verzieht sich allmählich, und man kann die Toten zählen.

Tot ist die wohlbekannte linke Antifa. Tot oder mundtot sind auch die Konservativen. Es lebt ein Rest von fanatischen "Antideutschen", und es bleiben die paar fanatischen Nationalisten. Gesiegt hat mit Glanz und Gloria eine gesichts- und gesinnungslose Mitte, die sich nun zu Repräsentationszwecken eine zahme Hof-Antifa hält. Beim Stichwort "Sebnitz" sagt sie ihr Sprüchlein auf: "Schlimm, schlimm, aber so schlimm war es ja dann doch nicht." Wie auch sonst alles erschreckend und erschütternd ist, was in Deutschland so Tag für Tag vorgeht, aber nicht so erschreckend, daß man irgendwas ändern müßte.


 
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