© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/01 02. März 2001

 
Der Asyltunnel
Großbritannien: Minister Straw fordert "Weiße Liste"
Michael Walker

Um ihre Macht zu erhalten und auszubauen, versucht sich Tony Blairs "neue" Labour-Partei bei der konservativen gehobenen Mittelklasse einzuschmeicheln, ohne die traditionelle Kernwählerschaft der Arbeiterpartei aufs Spiel zu setzen. Dieser Strategie, den Torys den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist auch der aktuelle Vorsatz geschuldet, "dem Verbrechen und seinen Ursachen in aller Schärfe entgegenzutreten", wie es im Parteiprogramm heißt. Die Rolle des "Scharfmachers" fällt dabei dem Innenminister, Jack Straw, zu.

Dem treuen Parteimitglied scheint diese Aufgabe wie auf den Leib geschnitten. Selbst der ehemalige konservative Premierminister John Major bezeichnete Straws Einschränkungen des Rechts auf Geschworenenprozesse als "rechten Blödsinn". Nach dem Wahlsieg der Labour-Partei am 2. Mai 1997 waren viele Linksliberale überglücklich, den Innenminister Michael Howard endlich loszuwerden, der in dem Ruf stand, sich mehr um die innere Sicherheit zu sorgen als um die Rechte und Freiheiten der Bürger. Wer jedoch erwartete, Straw würde eine andere Politik betreiben, irrte sich.

Im Gegenteil war Straw von Anfang an viel daran gelegen zu beweisen, daß ihm Recht und Ordnung mindestens genauso wichtig waren wie seinem Vorgänger. Dank einer anhaltenden Serie besonders brutaler Verbrechen, darunter auch Verbrechen an Kleinkindern, kann sich die Labour-Partei auf die Zustimmung der Bevölkerung verlassen, wenn sie geeignete Maßnahmen zur Eindämmung der Kriminalität trifft. Laut einer Erhebung der niederländischen Universität Leiden nehmen England und Wales in der westlichen Welt den Spitzenplatz bei Einbrüchen, Autodiebstählen, sexueller Belästigung und Vergewaltigungen ein. Inzwischen existieren ganze Sozialwohnungssiedlungen, die die Polizei faktisch einem Zustand der Gesetzlosigkeit überantwortet hat: sogenannte sink estates, in denen selbst erwachsene Männer nachts nicht alleine herumlaufen sollten, von Frauen ganz zu schweigen. Ausschreitungen von Fußballfans, rassistisch motivierte Gewalt, Sexualverbrechen, Asylrechtmißbrauch: in all diesen Fragen ist das Wahlvolk wenig liberal gestimmt, und das weiß die Labour-Partei nur zu gut.

Aus seiner Karriere als Rechtsanwalt bringt Straw die praktische Erfahrung mit, sich argumentativ durchsetzen zu müssen. Wie seiner offiziellen Biographie zu entnehmen ist, war er einst persönlicher Referent der Parlamentarier Barbara Castle und Peter Shaw, die beide innerhalb der Labour-Partei als Befürworter des britischen Isolationismus und ausgesprochene EU-Gegner gelten. Diese politischen Wurzeln machen sich besonders in der Asyldebatte bemerkbar. Straw gehört zu den Wortführern der Forderung nach einem Gesetz, welches das Recht auf Asyl einschränkt. Ihm zufolge bewerben sich "viele Antragsteller nicht um Asyl, sondern sind auf Stellensuche". Für eingefleischte Linke mag Arbeitslosigkeit eine Form der politischen Verfolgung sein – aber Straw liegt nichts daran, sich bei eingefleischten Linken beliebt zu machen.

Laut Straw ist Großbritannien seit der Fertigstellung des Ärmelkanaltunnels zu einer "weichen Grenze" für Asylanten aus aller Welt verkommen. Den Tod von 58 illegalen chinesischen Einwanderern in einem holländischen Laster nahm er zum Anlaß, ein EU-weites Abkommen zu fordern, das die Einwanderung in die Mitgliedstaaten kontrolliert. Zu seinen politischen Zielen zählt die Erstellung einer "Weißen Liste" von Ländern, deren Staatsbürger automatisch als Asylbewerber abgelehnt würden. Massendeportationen wären dann an der Tagesordnung.

Straw hat die Zahlen auf seiner Seite. Im Jahr 2000 verzeichnete Großbritannien nach Angaben der Wiener Presse mit knapp 100.000 Asylanträgen einen Europarekord. Lange Wartezeiten und bürokratische Staus waren die Folge; die Belastung des Staatshaushalts stieg im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent auf 835 Millionen Pfund (2.500 Millionen Mark). Infolge ihrer Unterbesetzung können die Zollbehörden wöchentlich bestenfalls ein Dutzend abgelehnter Asylbewerber abschieben, heißt es in einer Stellungnahme der zuständigen Gewerkschaft. Deren Sprecher John Tinces sagte der BBC letzte Woche, das britische Asylsystem sei faktisch zusammengebrochen. Dagegen warnte UN-Flüchtlingskommissar Ruud Lubbers bei einem Spitzengespräch in Stockholm im vergangenen Monat, an dem auch Straw teilnahm, "keine Mauer wäre hoch genug", um Flüchtlinge abzuschrecken. Blair und Straw ließen es sich dennoch nicht nehmen, beim französischen Präsidenten Jacques Chirac vorzusprechen. Bei einem Treffen in Cahors am 9. Februar forderten sie Chirac auf, Maßnahmen zur Kontrolle von Zugpassagieren auf der Strecke von Paris nach England zu ergreifen. Der Gare du Nord gilt als beliebter Durchgangsbahnhof für illegale Einwanderer auf dem Weg nach England.

Die konservative Opposition fühlt sich von Straws Politik in die Ecke gedrängt. Sie kann die Maßnahmen des Innenministers nicht glaubwürdig ablehnen, sondern allenfalls bemängeln, daß sie nicht weitreichend genug seien und auf Worte keine Taten folgen ließen. Linke Stimmen wie die Sozialistische Arbeiterpartei klagen hingegen über "das Elend und die Verfolgung", die eine solche Gesetzgebung ihrer Ansicht nach verursachen wird. Aber die Linke ist tief gespalten in der Frage, ob man "New Labour" innerhalb oder außerhalb der Labour-Partei bekämpfen solle.

Andererseits ist Straw auch kein Freund der radikalen Rechten. Als Nachkomme jüdischer Einwanderer ist er absolut dagegen, Menschen, die legal eingewandert und in Großbritannien seßhaft geworden sind, in ihr Herkunftsland zurückzuschicken. Auch als begeisterter Befürworter des "Anti-Haß"-Gesetzes – das das Verfassen von Schriften, die Haß gegen eine bestimmte identifizierbare ethnische Gruppe schüren sollen, unter Strafe stellt – hat er sich schon profiliert. Man kann damit rechnen, daß die Regierung die Angst der Briten vor uneingeschränkter Einwanderung weiterhin benutzen wird, um eine engere Einbindung in den Prozeß der europäischen "Harmonisierung" zu rechtfertigen – und ihre Empörung über die steigende Kriminalitätsrate, um die Macht des Staatsapparats zu stärken.


 
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