© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Nach Nato-Bomben nun Terror-Bomben
Carl Gustaf Ströhm

Nachdem bei der Kosovo-Stadt Podujevo vor einigen Tagen ein mit Serben besetzter Autobus – wohl durch Fernzündung – in die Luft flog, waren westliche Politiker rasch bei der Hand, das Attentat zu verurteilen, das sieben Tote und mehr als vierzig Verletzte forderte. Nato-Generalsekretär Robertson erklärte erzürnt: "Die Nato hat nicht ihre Luftangriffe geflogen, um die ethnischen Säuberungen der einen Gruppe durch Angriffe und Einschüchterungen vonseiten einer anderen Volksgruppe ersetzt zu sehen."

Schon in diesem Satz liegt das Eingeständnis, daß sich die westliche Kosovo-Politik in der Sackgasse befindet, trotz und wegen der Anwesenheit von 40.000 KFOR-Soldaten und 3.000 Uno-Polizisten. Der Westen konnte sich bis heute nicht entscheiden, was mit den über 90 Prozent albanischen Bewohnern der Krisen-Provinz geschehen soll. Nach dem Sturz des Milosevic-Regimes hat sich in einflußreichen westlichen Kreisen die Tendenz verstärkt, Kosovo früher oder später an Belgrad zurückzugeben, wenn auch mit einer gewissen Autonomie für die Albaner. Die albanische Bevölkerung aber will um keinen Preis wieder unter serbisch-jugoslawische Herrschaft. Umgekehrt wollen die Serben – da gibt es keine Unterschiede zwischen Milosevic oder Kostunica und Djindjic – keinesfalls auf das mythische Kosovo verzichten. So stehen einander – wie im Falle Israels und der Palästinenser – gegenseitig ausschließende Ansprüche gegenüber. Wenn es in einem halben Jahrhundert keine Lösung für Gaza, Westbank und Jerusalem gegeben hat, kann man sich ausmalen, daß es auch im Kosovo nicht schneller gehen wird.

Die Lage ist um so verwickelter, als maßgebende westliche Instanzen in einer seltsamen "Multikulti"-Verblendung partout darauf bestehen, die beiden tödlich miteinander verfeindeten Völker miteinander zu mischen. Hätten die KFOR und die westlichen "Statthalter" den fünf serbischen Autobussen aus Nisch, in denen sich geflohene Kosovo-Serben befanden, die ihre Häuser besichtigen und ihre Rückkehr vorbereiten wollten, schlichtweg die Einreise verweigert, so wären die Toten noch am Leben.

Gewiß ist es weder schön noch edelmütig, wenn Vertriebene auf mörderische Weise an einer Rückkehr gehindert werden. Auf der anderen Seite aber muß man konzedieren, daß die Kosovo-Albaner mit dem Rücken zur Wand stehen. Für sie ist klar: Kehren erst einmal die einstigen serbischen "Mitbürger" zurück, folgen ihnen auf dem Fuße auch die serbischen Behörden – und dann geht, gleich ob Kommunisten, Monarchisten oder Demokraten in Belgrad regieren – das ganze Unheil wieder von vorne los. Denn die Serben wollen keine Albaner auf "heiligem, serbischen Boden". Der Westen hätte nur eine Chance, aus dem Kosovo-Schlamassel heil auszusteigen: Er müßte das Recht der Kosovo-Albaner auf Selbstbestimmung anerkennen und dem Land den Status einer Republik gewähren. Gleichzeitig könnte man dann den Zugang zu den serbischen Klöstern und Heiligtümern – oder deren Exterritorialität – international garantieren. Aber wenigstens sollte ein "Disengagement", also eine Trennung von Albanern und Serben stattfinden, um Konfrontationen zu vermeiden. Das ist vielleicht nicht ideal, aber es ist machbar und realistisch.

Jagt aber der Westen weiter seinen multiethnischen Hirngespinsten nach, werden das zahlreiche Serben und Albaner, möglicherweise aber auch KFOR-Soldaten, mit dem Leben bezahlen. Es geht darum, so lange noch Zeit ist, ein Palästina auf europäischem Boden zu verhindern.


 
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