© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Alternativen zur Nato-Planung
Nachruf auf einen politischen Soldaten der Bundeswehr: Generalmajor a.D. Hans-Joachim Löser gestorben
Detlef Kühn

Politisierende Generale im südamerikanischen Sinne sind der Bundeswehr erspart geblieben. Sie hatte allerdings das Glück, einige Generale in ihren Reihen aufzuweisen, bei denen sich militärischer Sachverstand mit politischem Gespür und einem ausgeprägten Sinn für die Folgen sicherheitspolitischer Entscheidungen für das eigene Volk paarte. Diese Offiziere anerkannten den Primat der Politik, das heißt die Verantwortung demokratisch gewählter Politiker, nahmen sich aber dennoch die Freiheit, ihre eigenen, fachlich fundierten politischen Überzeugungen den Verantwortlichen auch dann vorzutragen, wenn sie von deren Auffassungen abwichen, also meist nicht gern gehört wurden. Zu diesen im besten Sinne politisch denkenden deutschen Offizieren gehörte Generalmajor a. D. Hans-Joachim (Jochen) Löser, der am 13. Februar im 83. Lebensjahr verstorben ist.

Löser stammte aus einer traditionsbewußten thüringisch-sächsischen Familie. Nach dem Abitur 1936 an der NAPOLA in Berlin-Spandau trat er als Fahnenjunker in das Infanterieregiment 68 in Brandenburg ein. Bei Kriegsbeginn war er Bataillons-Adjutant, später im Balkan- und Rußlandfeldzug Regiments-Adjutant im Infanterieregiment 230. Die Schlacht um Stalingrad erlebte und erlitt er als Bataillons-Kommandeur, wobei er schwer verwundet und mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurde. Nach Generalstabsausbildung und entsprechender Verwendung in den Karpaten und an der Eismeerfront konnte er noch im April 1945 die militärisch unmögliche und sinnlose Verteidigung seiner Geburtsstadt Weimar gegen die Amerikaner verhindern. Nach dem Krieg betätigte er sich zehn Jahre lang mit einem Kriegsversehrtenbetrieb als Unternehmer, bis er 1956 als Major in die Bundeswehr eintrat. Es folgten Verwendungen als Referatsleiter auf der Hardthöhe, als Chef des Stabes einer Division und eines Korps, schließlich als Brigade- und Divisionskommandeur. 1974 schied er auf eigen Wunsch aus dem Dienst, wobei er mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.

Ich habe Jochen Löser 1967 kennengelernt, als ich als Geschäftsführer des Arbeitskreises I der FDP-Bundestagsfraktion auch für die Verteidigung zuständig war. Kern der Sicherheitspolitik der FDP war damals die Überlegung, daß es keinen Sinn mache, die deutschen Truppen, die der NATO unterstellt waren, aufwendig und teuer mit Atomwaffen auszurüsten, wenn die entsprechende Munition sowieso nie in deutsche Hände gelangen sollte. War es dann nicht sinnvoller, die Mittel auf eine Verbesserung der konventionellen Verteidigung in Deutschland zu konzentrieren und die atomare Abschreckung den Mächten zu überlassen, die sie im Ernstfall auch praktizieren konnten? Es war vor allem dem Rat Jochen Lösers zu danken, daß die FDP damals unter ihrem Verteidigungsexperten Fritz-Rudolf Schultz eine sicherheitspolitische Alternative zur Großen Koalition vorlegen konnte, die fachlich unangreifbar war und den Interessen des geteilten deutschen Volkes im Ernstfall wesentlich besser Rechnung getragen hätte als die gängigen Nato-Planungen.

Nach 1969 verlor die FDP leider bald das Interesse an diesen Überlegungen. Auch Löser sah als Truppen-Kommandeur kaum noch Möglichkeiten, seinen Sachverstand entsprechend einzubringen. Das mag seinen Abschied von der Bundeswehr erleichtert haben. Jedenfalls begann nunmehr eine fruchtbare schriftstellerische Tätigkeit, in der er seine Überlegungen zu einer Sicherheitspolitik, die auch die Interessen des potentiellen Gegners berücksichtigt, darlegte. Bücher wie "Gegen den Dritten Weltkrieg", "Weder rot noch tot", "Neutralität für Mitteleuropa", "Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen" und – nicht zuletzt – die großartige Geschichte der 76. Berlin-Brandenburgischen Infanterie-Division "Bittere Pflicht" halten die Erinnerung an einen Soldaten wach, der die Interessen seines Volkes vertrat, ohne dabei die anderer Völker aus den Augen zu verlieren.


 
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