© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Vor Neckermann
Eine verspätete KdF-Broschüre
Uwe Paysen

Ein Hetzen begann, ein Schreien, man rempelte sich an, zeigte sich die Zähne; jeder wollte der erste sein, den besten Wagen und im Wagen den besten Platz erwischen; mancher Vater fiel über manche Mutter, Töchter vergaßen, daß sie höhere waren, Söhne mit Schmissen wähnten sich auf dem Paukboden und hauten um sich, um für die alten Herrschaften das eleganteste Auto zu erobern.Bei einem Schiffbruch werden solche Szenen mit einer Pistole gemeistert."

In einem großen Wurf der deutschen Nachkriegsliteratur , Albert Vigoleis Thelens "Die Insel des zweiten Gesichts" (1953), beginnt so ein satirisches Kabinettstück: Eine enthemmte deutsche Reisegruppe fällt 1936 in Mallorca ein, wo sie in Thelen ihren "Führer", genauer: ihren Reiseführer und bissigen Porträtisten findet. Wer heute auf deutsche Urlauber zwischen "DomRep" und "Ballermann" trifft, kann dem gequälten Vigoleis nur zustimmen.Denn bei nicht wenigen ist souveräne Besteckführung bei Tisch eher selten zu beobachten, und auch sonst ist spürbar, daß viele mit dem Schnellzug durch die Kinderstube gerast sind.

Um so sonderbarer, wenn ausgerechnet in den Anfängen des normierten Massentourismus, auf den "Kraft-durch-Freude"-Fahrten der "Deutschen Arbeitsfront" (DAF), alles traumhaft, wunderbar und mustergültig gewesen sein soll. Heinz Schön will das in seiner Arbeit zur KdF-Flotte mit ihren nach Norwegen oder Madeira ausschwärmenden "Traumschiffen" dem Leser zumindest suggerieren. Obwohl Schön verspricht, ein "objektives Bild" und keine "Glorifizierung" dieses Reiseunternehmens vor Neckermann zu liefern. Doch schon ein Blick ins Literaturverzeichnis zeigt: ein leeres Versprechen. Von 42 Titeln erschienen 19 vor 1945, DAF-Propaganda, die Schön leider zu ausführlich zitiert. Weitere 17 Titel listen maritime Publikationen auf, nur sechs, von Schön eher vernachlässigte Werke befassen sich mit dem sozialpolitischen "KdF"-Kontext. Beachtlich sind immerhin die Farbaufnahmen. Wer ikonographisch geschult ist, profitiert doch noch von dieser verspätet publizierten KdF-Werbebroschüre.

 

Heinz Schön: Hitlers Traumschiffe. Die "Kraft-durch-Freude-"Flotte 1934–1939, Arndt Verlag, Kiel 2000, 159 S., Abb, 39,80 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen