© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
CD: Metal/Industrial
Extremistisch
Ulli Baumgarten

Obwohl die Kommerzialisierung vor keinem Bereich des Musikgeschäftes haltmacht, gibt es doch noch Stile der Pop-Kultur, in denen Kreativität, Originalität und Kompromißlosigkeit vor dem Gott Mammon nicht kapituliert haben. Eine der Gruppen, die noch "ihr Ding machen" und nicht auf das schnelle und leichtverdiente Geld aus sind, ist das österreichische Trio Dornenreich, das dieser Tage ihre dritte CD "Her von welken Nächten" veröffentlicht. Auf den ersten Blick scheint es sich hier um eine weitere Black-Metal-Produktion zu handeln, doch was sich dem Hörer dieser CD dann an Ideenreichtum und Können darbietet, läßt die normale Düster-Combo ziemlich alt aussehen. Das Konzept, das Dornenreich in den beiden Vorgänger-Alben "Nicht, um zu sterben" (1997) und "Bitter ist s dem Tod zu dienen" verfolgte, wird in dem neuen Werk zur Meisterschaft ausgebaut.

Die Texte, behandelt wird ausschließlich das zeitlose Thema der Selbsterkenntnis, erinnern in ihren besten Momenten an den deutschen Expressionismus. Die Musik kann man nur als kongenial bezeichnen; selten ist Musik zu hören, die den Hörer so aufwühlt und bewegt wie diese. Sicherlich wird sie immer noch bestimmt von Elementen des Schwarz- und Todesmetal, weist aber über sie hinaus, erinnert manchmal nicht nur von der Dramatik her an Größen wie Bethlehem oder Apocalyptica. Das oftmals vorgetragene Klischee der Verbindung von Genie und Wahnsinn entsteht auch beim Hören dieser CD aufs neue, und vielleicht muß man wirklich etwas wahnsinnig sein, um diese Musik zu machen oder auch nur zu mögen. Man muß wahrlich kein großer Prophet sein, um festzustellen, daß es sich bei Dornenreich um eine der wichtigsten und einfallsreichsten Gruppen des deutschsprachigen Metal handelt.

Die erwähnten Bethlehem überbrücken die Zeit bis zu ihrer nächsten Lichtscheibe mit ihrer Single-CD "Profane Fetmilch lenzt elf krank". Der Text ist zwar ähnlich krude wie der Titel und dürfte sich dem Verstehen des Hörers entziehen, dafür aber ist die Musik um so besser. Sie übernimmt Stilelemente des Düster-Metals, zerlegt diese und fügt sie zu neuen Klanggebilden zusammen. Natürlich ist das ganze völlig abgefahren und sicher nicht jedermanns Geschmack, dem Hörer allerdings, der offen für neue Einflüsse ist, wird diese CD nicht nur gefallen, sie wird ihn auch neugierig machen auf andere Werke dieser Gruppe.

Leakh – die dritten im Bunde derjenigen, die man einreihen könnte unter der Rubrik "Genie und Wahnsinn", sind in gewissem Sinne die radikalsten Vertreter dieser Richtung. Ihre CD "The wreckoning" dürfte so ziemlich alles an musikalischem Extremismus übertreffen, und das obwohl die Musik größtenteils akustisch daherkommt. Wo andere Gruppen "Radikalität" durch grün gefärbte Haare oder durch "Nochschneller-und-noch-Härter"-Gitarrensoli ausdrücken, werden Leakh eher leise – aber nicht ruhig. Am ehesten läßt sich das Duo noch mit den frühen Einstürzenden Neubauten vergleichen, auch hier waren Töne zu hören, die das konventionelle Musikverständnis infrage stellten. Im Gegensatz zu den Berlinern sind bei Leakh aber klare Liedstrukturen zu erkennen. Was bei den Einstürzenden Neubauten oft aufgesetzt wirkte und den Eindruck hinterließ, man kokettiere bewußt mit dem Image des Exzentrischen, des Schrägen und des Bürgerschrecks, klingt bei Leakh echt. Die Assoziationen, die beim Hörer erweckt werden, sind die von purer Verzweiflung, Gewalttätigkeit und blankem Haß. Wer es über sich bringt, diese CD mehrmals zu hören, wird entdecken, daß es sich um einen Meilenstein der Rockmusik handelt. Leakh haben mit dieser einen Lichtscheibe mehr für die Musik getan als Legionen von Langweilern. Alle drei CDs sind erhältlich bei Prophecy Records, Kurfürstenstr. 5, 54492 Zeltingen-Rachtiq.


 
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