© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Pankraz,
François Truffaut und die kompostierte CDU

Sich für die CDU noch in anspruchvoller Weise zu interessieren, fällt schwer. Unentwegte, die es dennoch tun, stellen meistens die Frage: Müllhalde oder Komposthaufen? Können die Trümmer, die die Partei am laufenden Band produziert, nur noch (auf möglichst umweltschonende Weise) entsorgt werden, oder darf man von einer Selbstkompostierung sprechen, dergestalt daß sich die Formation allmählich in einen Komposthaufen verwandelt, der über kurz oder lang neue, hoffnungsvolle Pflänzchen nährt?

Die meisten Politikbeobachter neigen der Aussicht Müllhalde zu. Da sei nichts als bloßer Abraum, sagen sie, strahlendes Material, auf dem nie wieder etwas blühen und gedeihen werde. Die Partei habe sich ja höchstselbst freiwillig von allen ihren Wurzeln abgeschnitten, habe das eigene Haus verseucht, nämlich verbal verketzert, und nun sei sie, wenn überhaupt noch etwas, lediglich Prellwand für die Regierung, Punchingball, der bei Berührung hin und wieder quitschende Töne hören läßt.

An Belegen fehlt es nicht. Da ist das historische Desaster bei der Steuerreform. Da ist die große Staatsdemo "gegen Rechts", bei der die führenden Figuren eifrig mitmarschieren, um sich dann von der Tribüne herab frontal beschimpfen zu lassen und dafür nur ein schiefes Grinsen aufzubringen. Da sind die diversen Werbekampagnen, die immer nur mit sichtbar halbem Herzen gestartet werden und sich schon bei der ersten Medienberührung als flauer Magenwind zu erkennen geben.

Die "Mitte" ist längst von anderen besetzt und der "rechte Rand" derart horrifiziert, daß man schon ängstlich ins nächste Mäuseloch kriecht, wenn einen der politische Gegner auch nur als "halb-rechts" tituliert. Sogar das Wort "konservativ" ist in Acht und Bann geraten.

Es gibt keine interessanten Diskussionen mehr, nicht einmal in den Jugendorganisationen, es gibt kein erkennbares Meinungsspektrum innerhalb der Partei, keine Persönlichkeiten, die ein verläßliches Profil haben (von "Charisma", Ausstrahlungskraft, zu schweigen). Alles sieht tatsächlich nur noch wie Müll aus, der auf den Abtransport wartet.

Trotzdem hat die Aussicht Komposthaufen einiges für sich. Auch als pessimistischer Anhänger einer "posthistoire", wo angeblich nichts mehr passiert, kann man sich eigentlich nicht vorstellen, daß die politischen Widerspruchskräfte dauerhaft erlahmt sind, im Gegenteil, die überall sichtbaren gewaltigen Apparate zur Niederhaltung von abweichender Meinung beweisen, wie sehr hier etwas brodelt und zu Artikulation und Tätigkeit drängt. Was da brodelt, hat seinerseits keine Apparate; bei der CDU brodelt nichts, aber sie hat Apparate. Da ist also eine Spannung, die sich eines Tages ineinander entladen könnte.

Zur Kompostierung taugen auch die vielen ehrenamtlichen Helfer und stillen Sympathisanten, die heute enttäuscht und beschämt in der Kulisse stehen, weiter die immer noch vorhandenen kleinen Ortsvorsitzenden und Basisarbeiter, die die Nöte und Sehnsüchte der Leute kennen, sie zur Zeit aber aus Furcht vor dem Machtspruch aus Berlin nicht weitertragen. Und Kompost wären auch manche Junge, die sich für Politik und Machterwerb interessieren, den politischen Frust ihrer Altersgenossen kennen und sich eines Tages entschließen könnten, just diesem Frust frech Ausdruck zu verleihen und damit irgendeine örtliche Parteiinstanz aufzumischen.

Immer ganz bei Null anfangen ist selten in der Politik und wenig erfolgversprechend. Das hatten bekanntlich die 68er, die inzwischen überall die Hebel in der Hand halten, früh erkannt, so daß schon Altvater Dutschke den "langen Marsch durch die Institutionen" ausrief.

K-Gruppen-Angehörige traten reihenweise in SPD und Öko-Partei ein, obwohl zumindest die SPD damals noch gar nicht kompostierungsfähig war, noch über ein stabiles Netz aus angestammtem Pöstchenfilz und Duftmarkendüsen verfügte. Es wurde dennoch "umfunktioniert" und "Öffentlichkeit hergestellt", daß es nur so rauchte. Spätestens nach der sechsten Sitzungsstunde verzogen sich die Alten entnervt, und die K-Gruppler errangen die Abstimmungshoheit.

Mittlerweile hat sich das etablierte Parteiengefüge tiefgreifend verändert, und zwar durchaus in Richtung Komposthaufen. Alle Parteien sind mürber und milieu-offener geworden, überall ist ein Trend zum Mafiotischen entstanden, zum puren Machterwerb um des Machterwerbs willen. Und die Perfektion der Medien nebst der Ausbreitung der "Stimmungsdemokratie" tut ein übriges.

Politische Erfolge verdanken sich wie nie zuvor dem medial verstärkten Spiel auf der Klaviatur momentaner Stimmungen und Mißstimmungen – dieser Einsicht müssen sich auch jene fügen, die das Spiel durchschauen und verachten und im Ernst etwas zum Besseren ändern wollen. Sie brauchen ein starkes, teures Klavier, dessen Tasten sie traktieren können, möglicherweise sogar ein ganzes gut aufeinander eingespieltes Orchester. Ein schon vorhandenes zu übernehmen, ist allemal leichter, als ein gänzlich neues aus dem Boden zu stampfen.

Freilich, das vorhandene Orchester und sein Klavier müssen intakt sein, dürfen kein bloßes Gerümpel sein. Da wäre also wieder die Frage: Müllhalde oder Komposthaufen? Wo nichts mehr wachsen kann, kann auch nichts mehr klingen. Mit unreparierbar verstimmten Posaunen lassen sich nicht einmal die Mauern der modernen Stimmungsdemokratie ins Wanken bringen.

Möglicherweise ist aber auch alles nur ein Problem des Pianisten, beziehungsweise der Pianistin. Diese kann man nicht in Kompost verwandeln, die muß man vom Sessel kippen, auch wenn darüber manches zu Bruch geht. Wie hieß der berühmte Filmtitel François Truffauts von 1960? "Schießen Sie auf den Pianisten!" Das wäre also hier fällig, selbstverständlich im übertragenen Sinne.


 
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