© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Die deutschen Lasten bleiben
Wirtschaft: Der schwierige mitteldeutsche Wiederaufbau und die überhöhten EU-Nettozahlungen
Werner Obst

Als Spanien und Portugal in den achtziger Jahren zögerten, der EG beizutreten, weil beide die übermächtige nordeuropäische Konkurrenz fürchteten, stellte Brüssel über einen Kohäsions- und Struktur-Fonds beträchtliche Mittel bereit. Griechenland war bereits 1981 beigetreten, und weil auch Irland unter 75 Prozent des EG-Durchschnitts lag – gemessen am Brutto-Inlandsprodukt je Einwohner –, gehörten schließlich auch noch die Iren zur "Süderweiterung".

Die Tabelle "Rangliste der Nationen" informiert über den Wohlstand der Industrie-Nationen. Darüber hinaus zeigt sie auf, wo die Südeuropäer heute stehen, 15 Jahre nach der mit rund 300 Milliarden Mark geförderten Süderweiterung, und, sie dokumentiert Deutschlands rasanten Abstieg, der in dieser Intensität bisher weder den Deutschen, noch den Europäern bewußt geworden ist. Das reichste Land der Welt ist Luxemburg, vor den USA, Japan und Norwegen. Danach folgen die Schweiz, Dänemark und Island. Die größte Sensation? Irland, das 1985 nur 68 Prozent des EG-Durchschnitts schaffte, liegt jetzt bei 130 Prozent des EU-Durchschnitts. Damit führen de Iren das gehobene Mittelfeld an – deutlich vor den Briten. Es ist leicht zu verstehen, daß die Iren heute mustergültige Europäer sind mit großen Sympathien für uns Deutsche; denn viele wissen, daß die EU-Hilfe aus Deutschland stammt, aber, wie gesagt, wir liegen nur noch auf dem 14. Rang.

Unter dem EU-Durchschnitt folgen Spanien, das erstmals, dank unserer Hilfe, die Neuen Bundesländer überholt hat. Griechen und Portugiesen sind nach wie vor Schlußlichter im Wohlstands-Konvoi der Industrie-Nationen.

Spanien schaffte 1985 nur 54 Prozent des EG-Durchschnitts, derzeit leisten Madrilenen und Katalanen 67 Prozent des EU-Durchschnitts, also ein Aufhol-Effekt von gerade mal 13 Punkten. Die Spanier spielen ganz offensichtlich besser Fußball als sie wirtschaften. Wenn die stolzen Iberer so weitermachen, erreichen sie den EU-Durchschnitt erst in 25 Jahren! Die Portugiesen holten etwas deutlicher auf, immerhin von 26 auf 47 Prozent, aber auch sie haben noch eine lange Aufhol-Periode vor sich.

Absolut unakzeptabel war der viel zu geringe griechische Aufhol-Effekt von nur zehn Punkten, von 43 bis auf 53 Prozent des EU-Durchschnitts. Dabei erhielten sie allein 1997 mit 8,4 Milliarden Mark einen Zuschuß, der drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung ausmachte – doch mit ähnlich komfortablen Zuschüssen über die letzten 15 Jahre hinweg, schafften sie gerade zwei Prozent reales Wachstum – jahresdurchschnittlich. Warum das so war? Athen finanzierte mit EU-Geldern die mit Abstand höchste Nato-Rüstungs-Quote von knapp fünf Prozent!

Die Griechen pflegen ihre Erbfeindschaft zu den Türken derart intensiv, als hätten diese Konstantinopel nicht bereits 1453 erobert, sondern erst 1953. Zugegeben: Die Türken waren und sind keine friedlichen, sondern gefährliche Nachbarn, und daß sie einmal das glanzvolle Oströmische Reich zerstörten, können die Griechen verständlicherweise nie ganz vergessen, aber wenn Athen so weitermacht, statt sich mit dem Nato-Partner und künftigen EU-Mitglied zusammenzuraufen, kann Brüssel die meist deutschen Hilfsgelder auch in ein Faß ohne Boden schütten. Die überhöhte Athener Rüstung finanzieren deutsche Steuerzahler.

Die EU hat folglich ihr selbstgestecktes, strategisches Ziel, den wirtschaftlich schwächeren Süden an den fortgeschrittenen Norden heranzuführen, weitgehend oder überwiegend verfehlt, nämlich bei 60 Millionen Griechen, Portugiesen und Spaniern, nur die 3,7 Millionen Iren übersprangen sogar sensationell deutlich den EU-Durchschnitt.

Das zweite strategische Ziel, die übergroßen Leistungs- und Wohlstands-Differenzen zwischen Nord und Süd zu verringern, wurde sogar absolut verfehlt. Denn das reichste Land der Welt, Luxemburg, das 1985 noch 98 Punkte über dem ärmsten EU-Mitglied gelegen hatte, rangiert heute 158 Punkte über dem ärmsten EU-Land, Portugal. Oder Dänemark, das zweitreichste EU-Mitglied, das 1985 noch 101 Punkte vor Griechenland gelegen hatte, rangiert heute noch 98 Punkte vor Griechenland.

Doch damit nicht genug. Die reichen Luxemburger und Dänen, aber auch die wohlhabenden Belgier, haben sich von vornherein gar nicht erst am großen europäischen Solidar-Pakt, der Süderweiterung, beteiligt, sondern verdienten daran gar noch. Nizza hatte erneut weder die deutschen Netto-Zahlungen noch die Finanzierung der Osterweiterung auf der Tagesordnung. Damit wurde die unfaire Finanzierung der Süderweiterung bis 2006 festgeschrieben, die sich für Deutsche fast wie ein Krimi liest.

Belgien zahlte bei der EU 4,6 Milliarden Mark ein, erhielt aus allen "EU-Töpfen" 7,9 Milliarden Mark zurück, unterm Strich blieben 3,3 Milliarden Mark hängen, die größtenteils aus Deutschland stammen. Die früher einmal sprichwörtlich "lustigen Luxemburger" zahlten bei der EU 0,4 Milliarden Mark ein, erhielten 1,8 Milliarden Mark zurück, und verdienten so an Europa 1,4 Milliarden Mark. Der größte Teil dieses Geldes spricht deutsch, wie die Luxemburger, und wegen der geringen Bevölkerungszahl, erhielt 1997 jeder Luxemburger im Schnitt 3.333 Mark. In Portugal kamen als Förderland je Einwohner bloß 520 Mark an.

Wen wundert es, daß die ölreichen Norweger wie die Schweizer der EU bisher gleich ganz fernblieben. Beide sind eben nicht bereit, jährlich zwei bis drei Milliarden Mark nach Brüssel zu überweisen, weil ihr sauer verdientes Geld dann höchstwahrscheinlich zumindest teilweise bei ihren schlitzohrigen Nachbarn landet, bestenfalls wird es mit Briten oder Italienern verrechnet – oder auch mit französischen Landwirten im ertragreichen Weizengürtel von Paris, zu deren Lobbyisten wiederum Jacques Chirac gehört. Reich hilft arm!

Dieses solidarische Prinzip das Freiheit, Frieden und Wohlstand für alle Europäer sichern und gleichzeitig zur permanenten Erweiterung motivieren soll, funktioniert folglich nicht nur höchst mangelhaft, sondern eigentlich überhaupt nicht. Fest steht jedenfalls, der EU-Ministerrat ist absolut dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, daß alle Netto-Empfänger ihre Hilfsgelder wirkungsvoller einsetzen, "statt unser Geld zu verbraten", wie Kanzler Schröder das einmal kurz vor dem Berliner Gipfel, Ende März 1999, ziemlich ungeniert formulierte, und die reichen EU-Mitglieder sollte er allesamt zu Nettozahlern umfunktionieren. Dazu ist er als Mitglied des EU-Ministerrates sowieso verpflichtet und als SPD-Vorsitzender geradezu prädestiniert.

Mitterand wurde Führungsstil nach "Gutsherren-Art" nachgesagt, in Nizza bereicherte Chirac die EU-Führungs-Methoden mit dem "Beichtstuhl-Verfahren", was bei kleinen Staats-Chefs das Faß endgültig zum Überlaufen brachte. Kurz und gut: Der französische Gipfel kam wieder nicht zum eigentlich inhaltlichen Schwerpunkt, zur strategischen Frage: Was kostet die Osterweiterung? Und wie beteiligt sich jedes EU-Mitglied daran?

Die Art und Weise jedenfalls, wie Chirac seine europäischen Aufgaben und Kompetenzen mißachtete, drängt immer wieder den Verdacht auf, daß Aufgaben und Entscheidungs-Kompetenzen innerhalb der EU-Hierarchie vor allem deshalb ungenau beschrieben oder nur unklar abgegrenzt sind, weil nur so daraus jene Spielräume entstehen, die die kleinen EU-Mitglieder in Nizza erstmalig dazu provozierten, Chirac namentlich anzuprangern: "Frankreichs Präsident verfolgt nicht europäische Ziele, sondern nationalistische Interessen Frankreichs!"

Das eigentliche Management-Problem der EU besteht deshalb nicht darin, daß einige Kommissare betrügerisch und korrupt handelten, so daß die gesamte EU-Kommission 1999 auf Beschluß des Straßburger Parlaments zurücktreten mußte, weit schwerer wiegt die ineffiziente, verschwenderische, nur wenig erfolgreiche Tätigkeit der Kommission über 15 Jahre hinweg. Diese hat das große strategische Ziel, Süderweiterung, als Folge schwerwiegender Managementfehler derart massiv verfehlt, daß die Osterweiterung schon einmal von 1998 bis 2006 verschoben wurde; denn das dafür erforderliche Geld wird noch unverhältnismäßig lange Zeit für den Süden der EU benötigt.

Bei dieser Sachlage hätte der große EU-Gipfel Ende März 1999 in Berlin die Qualität des Brüsseler Managements gründlich analysieren müssen, gewiß auch mit personellen Konsequenzen, um erst danach die Weichen des europäischen Einigungs-Prozesses bis 2006 zu stellen.

Den Vorsitz hatte Deutschland, und Gerhard Schröder wollte unsere total überhöhten ungerechten Nettozahlungen reduzieren. Helmut Kohl wie Theo Waigel hatten das gleichfalls versucht – allerdings erfolglos. Schweden und Niederländer wollten uns beistehen, aber alle wußten, daß allein dieser Tagesordnungspunkt für alle Südeuropäer geringere Subventionen, für Frankreich und Großbritannien aber deutlich höhere Nettozahlungen auslösen mußte. Deshalb kam dann alles anders – der Gipfel wurde noch vor seiner Eröffnung abrupt über den Haufen geworfen. Spaniens Nato-Generalsekretär Javier Solana ließ wenige Stunden vor Tagungsbeginn, in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag, Belgrad bombardieren.

Damit sprengte er quasi den ordnungsgemäßen Beginn der Tagung und halbierte außerdem den Zeitplan. Alle Staatschefs hatten vollauf damit zu tun, das Nato-Bombardement nicht nur nachträglich abzusegnen, sondern sich auch noch daran zu beteiligen. Dazu benötigten sie den ganzen Freitag und Samstag. Erst Samstagabend konnte der Gipfel eröffnet werden, dann wurde die ganze Nacht hindurch verhandelt, Sonntagvormittag ging es weiter bis zum Abschluß in den Abend hinein. Natürlich waren alle Teilnehmer völlig übernächtigt, weil die meisten seit Donnerstag Nacht nicht mehr richtig zum Schlafen gekommen waren.

Die Nato hatte folglich nicht nur Belgrad bombardiert, sondern auch noch den Berliner EU-Gipfel buchstäblich torpediert, und zwar allein mit dem Angriffs-Termin! Seit Wochen hatte bereits schlechtes Wetter den Beginn der Luftangriffe hinausgezögert, da hätte schließlich das von der Sache her absolut vertretbare Bombardement auch noch auf Sonntag nachts verlegt werden können, also hinter das Gipfel-Ende, aber in Anwesenheit aller Staatschefs. Jedenfalls konnte Gerhard Schröder Deutschlands Nettozahlungen nicht um eine Mark reduzieren, weil das ganze Problem aus Zeitmangel buchstäblich vom Tisch gefegt wurde. Dies und anderes wurde ohne jede Änderung einfach bis 2006 fortgeschrieben.

Im Grunde hatte der Bundeskanzler, der die Veranstaltung immerhin leitete, nur die Wahl, den Gipfel zu verlängern bzw. diesen neu anzuberaumen, was von der Sache und Bedeutung her völlig vertretbar gewesen wäre, aber gewiß auch problematisch; denn die krisenhafte Situation, in die die EU durch den Kosovo-Konflikt hineingeraten war, hätte sich dadurch möglicherweise sogar noch zugespitzt, oder er mußte sich von allen Staatschefs einstimmig in die Kurzfassung des Gipfels einbinden lassen – und sie haben ihn alle bestürmt.

Toni Blair beschwor Gerhard Schröder geradezu, die Luftwaffe der Bundeswehr endlich richtige Angriffe fliegen zu lassen, damit Amerikaner wie Briten nicht wieder, wie in Bosnien, allein die "Drecks-Arbeit" machen müssen, und Rudolf Scharping sollte sogar Nato-Generalsekretär werden. Für die Griechen gab es nicht ein einziges kritisches Wort. Nur die Italiener bekamen wegen ihrer außergewöhnlichen hohen Schwarzmarkt-Quote von über 25 Prozent höhere Beiträge aufgebrummt, allerdings wurde Prodi Präsident der EU-Kommission, das heißt Italien hat lange Zeit seine eigentliche Wirtschaftsleistung vor der EU verschwiegen und zwanzig Jahre lang zu niedrige Beiträge gezahlt.

Den größten Gewinn aber machte der cleverste Tagungsteilnehmer, Javier Solana. Als Nato-Generalsekretär rettete er für Spanien die ungekürzte Fortzahlung von elf Milliarden Mark EU-Hilfe pro Jahr bis mindestens 2006, die überwiegend Deutschland aufzubringen hat. Mit unserem Geld bauen die Spanier ihre ICE-Trasse von Madrid nach Barcelona, wir hingegen mußten die ICE-Strecke von Nürnberg nach Erfurt – die zu den "Verkehrsprojekten Deutsche Einheit" gehört – streichen, weil das Geld dafür fehlte!

 

Brutto-Inlandsprodukt 2000* – je Einwohner in Dollar –

Luxemburg 43.700

USA 35.900

Japan 34.700

Norwegen 33.600

Schweiz 32.500

Dänemark 32.100

Island 32.000

Irland 27.600

Österreich 25.200

Finnland 24.900

Schweden 24.600

Großbritannien 24.500

Niederlande 23.900

Deutschland 23.800

Frankreich 23.200

Italien 23.200

Belgien 22.400

EU-Durchschnitt 21.300

Kanada 21.200

Spanien 14.200

Neue Bundesländer 14.100

Griechenland 11.300

Portugal 10.000

Tschechien 5.000

Ungarn 4.800

Polen 4.000


 
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