© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Nicht versicherbar
Der Mensch, das Genom und der fehlende Datenschutz
Jens Jessen

Die Welt, in der wir leben, ist in weiten Teilen vom Menschen geformt worden. Die Haustiere sind ebenso das Ergebnis erfolgreicher Züchtungen wie die Produkte des Ackerbaus. Der Mensch hat sich im wahrsten Sinn des Wortes die Welt untertan gemacht. Jetzt mault der Untertan und antwortet mit harschen Reaktionen. Nicht nur Naturkatastrophen wie Erdbeben, Dürren und Überschwemmungen zeigen die Hilflosigkeit, auch die Rückkehr von Seuchen und das Auftreten neuer Krankheiten verunsichern die Krone der Schöpfung.

Da die Wissenschaft der Probleme nicht Herr wird, hat sie sich der Erforschung des Menschen verschrieben. Die Entschlüsselung des Genoms ist das Ergebnis. Politiker und andere Krankenversicherte wollen so schnell wie möglich die neuen Genkarten unmittelbar zur Anwendung in der Medizin bringen. Da wird nicht gefragt, welche Auswirkungen auf den Menschen zu erwarten sind. Da ist nicht geklärt, ob und wie die neuen Erkenntnisse über genetische Krankheitsursachen und –einflüsse sozialverträglich umgesetzt werden können.

Arbeitgeber in den USA glauben das Recht zu haben, von Arbeitnehmern einen Gentest zu verlangen. Die nationale Behörde gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz, die "Equal Employment Opportunity Commission" hat deshalb gegen eine amerikanische Eisenbahngesellschaft (BNSF) geklagt, die Arbeitnehmer darauf testen ließ, ob eine erbliche Veranlagung für das "Karpaltunnel-Syndrom" vorliegt, um Ansprüche im Krankheitsfall abweisen zu können. Das Unternehmen hat die Tests jetzt eingestellt. Wissenschaftler halten eine direkte Zuordnung von Krankheiten zu einzelnen Genen für kühn.

Die Funktion vieler Gene sei noch nicht bekannt. Dennoch hat sich der Glaube an die "Macht der Gene" in der Öffentlichkeit breit gemacht und die Überzeugung genährt, daß ein Gen eine Eigenschaft bedingt. Die bisherigen Erkenntnisse bestätigen diese Meinung nicht. Man weiß nur, daß einzelne Gene einen schwachen oder sehr variablen Einfluß auf die meisten Krankheiten haben. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-L. Winnacker, hat darauf hingewiesen, daß die reinen Erbkrankheiten 0,1 bis 0,2 Prozent aller Sterbefälle ausmachen. Im Deutschen Ärzteblatt vom 16. Februar stellt Klaus Koch (Seite 362) süffisant fest: "So wie es aussieht, könnten die Genomprojekte ironischerweise selbst zum besten Argument gegen die These von der Allmacht der Gene werden. Vorausgesetzt, man hört den Forschern genau zu."

Deshalb muß dem Unsinn der Gentests ein Riegel vorgeschoben werden, bevor es zu spät ist. Versicherungen warten schon darauf, vor Vertragsabschluß vom Antragsteller einen Gentest zu verlangen, um eventuelle Risiken ausschließen zu können. Merkwürdig ist, daß in einer Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion "Künftiger Kurs der Bundesregierung in der Gentechnik" die Bundesregierung zu Gentests für private Kranken-, Unfall- und Lebensversicherungen lapidar feststellt, sie bewerte es positiv, daß sich "die deutschen Versicherer untereinander verständigt" haben, Gentests "gegenwärtig nicht als Voraussetzung für den Abschluß von Versicherungsverträgen" zu verlangen. Wie lange glaubt wohl die Bundesregierung, wird in einem zunehmend grenzüberschreitenden Versicherungsmarkt die Verständigung der deutschen Versicherung unter Wettbewerbsdruck Bestand haben. Hier läßt sich nur durch eine gesetzgeberische Maßnahme, am besten im europäischen Rahmen, die nette Geste der Versicherungen aufrecht erhalten.

Mit der Genomentzifferung, so Hubert S. Markl, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, geht die eigentliche Arbeit erst los. "Die Früchte werden erst im Lauf der nächsten Jahrzehnte geerntet werden" stellte Markl gegenüber dem Berliner Tagesspiegel am 13. Februar fest. Die Vorsitzende der Ethikkommission des Bundestages, Margot von Renesse (SPD), hat aus gutem Grund von einem "gewaltigen Handlungsbedarf" für den Gesetzgeber gesprochen. Die Verwendung von Erkenntnissen aus der Genomforschung im Arbeits- und Versicherungsrecht müsse geklärt werden, um Mißbrauch zu verhindern.

Auch Bundeskanzler Schröder hat endlich reagiert. Er will einen "Ethikrat" einrichten, der den "interdisziplinären Diskurs" zusammenfassen und "Stellungnahmen für politisches Handeln" vorlegen soll. Das ist zu begrüßen, obwohl es schon eine Enquete-Kommission gibt, die dem Bundestag beigeordnet ist. Die Grünen-Abgeordnete Monika Knoche, Mitglied dieser Enquete-Kommission "Recht und Ethik in der modernen Medizin", setzt sich nach einer Meldung der FAZ vom 14. Februar vehement für die Enquete-Kommission ein, die ein offenes Forum sei, in dem ohne Rücksicht auf parteipolitische Bindungen diskutiert werden könne. Ob eine derartige Einrichtung für Diskussionen schnelle und konkrete Entscheidungsgrundlagen erarbeiten kann, muß bezweifelt werden. Der Bundesdatenschutzbeauftragte, Joachim Jacob, fordert jedenfalls in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung vom 15. Februar ein Verwendungsverbot von Gentests für Versicherungen. Das sieht auch der Chef des Homburger Instituts für Humangenetik, Eckhart Heese, so. Der Datenschutz in diesem Bereich sei in keiner Weise geeignet zu verhindern, daß genetische Informationen in unbefugte Hände geraten. Schnelles Handeln sei nötig.


 
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