© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Zurück zur eigenen Sprache
Sprachschützer sorgen sich um die Überfremdung durch Anglizismen
Baal Müller

In einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wird dessen Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen mit den Worten zitiert: "Fremdsprachenlernen ist ein wichtiger der (sic!) Grundstein für ein gemeinsames Europa der Bürgerinnen und Bürger." Nicht nur die in unserem Bildungsministerium gepflegte Rechtschreibung zeigt, daß man vor lauter Begeisterung für den Fremdsprachenerwerb das Erlernen der eigenen Sprache für nebensächlich hält, sondern Kulturstaatsminister Nida-Rümelin behauptet auch ganz explizit, daß das Deutsche – und mit ihm das Französische – als Wissenschaftssprache ausgedient habe und die Zukunft im Englischen liege. In der Tat ist das Englische in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern längst zur Verkehrs- und Publikationssprache geworden und befindet sich auch in den Geisteswissenschaften auf dem Vormarsch; doch anstatt deshalb Maßnahmen zur Förderung der deutschen Wissenschaftssprache zu ergreifen, wird diese beschämende Entwicklung von Bundesregierung und Medienestablishment schöngeredet.

Das zeitgeistige Verhalten großer Teile der Wirtschaft, vor allem der Werbung und Kommunikationsmedien, ihre oft hals- oder zungenbrecherische Jagd nach poppigen Anglizismen, führt zu immer neuen Kapriolen der Sprachverballhornung und profitiert von den Heerscharen derer, die zum Beispiel darauf hinweisen, daß "Rechtsextremisten" im Internet eine Vorliebe für "deutschtümelnde" Formulierungen hätten und etwa das Internet als "Weltnetz" bezeichneten, daß mithin die Verwendung der eigenen Muttersprache politisch anrüchig sei. Indessen keimen in manchen Ländern hoffnungsvolle Pflänzchen, vor allem in Frankreich und Polen, deren Regierungen Gesetze zum Schutz ihrer Landessprachen erlassen haben, aber auch in Brasilien, wo man ebenfalls über Maßnahmen zur Eindämmung der Anglisierung nachdenkt.

Seit dem jüngsten Vorstoßes von Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) wird dieses Thema nun auch in Deutschland endlich zur Kenntnis genommen. So notwendig die Diskussion über gesetzliche Regelungen zum Sprachschutz gegenwärtig ist, so sehr ist aber auch daran zu erinnern, daß diese nur an den Phänomenen herumkuriert, ohne das Problem an der Wurzel zu fassen, nämlich an dem seit Jahrzehnten eingetrichterten deutschen Selbsthaß, wie er weite Teile der veröffentlichten Meinung beherrscht. An dessen Stelle sollte ein neuer, primär kultureller Patriotismus treten, ein aus möglichst früher und guter Vertrautheit folgender gesunder Stolz auf die Schönheit der deutschen Sprache und ihrer Dichtung.

Eine künftige Generation von Schriftstellern und Journalisten könnte an der Pflege dieses Erbes arbeiten und versuchen, Anglizismen – zumindest wo dies möglich ist – durch deutsche Neuwortprägungen zu ersetzen, die dann, wie jüngst vom Verein Deutsche Sprache (VDS) vorgeschlagen, von einer eventuell neu zu gründenden Sprachakademie empfohlen werden könnten.

Ähnliche Maßnahmen zur Sprachpflege wurden bereits im 17. und 18. Jahrhundert angesichts der Dominanz des Französischen als Sprache der Höfe sowie des Lateinischen als Gelehrtensprache mit Erfolg betrieben. Vorreiterin der damaligen nationalpädagogischen Bewegung war die 1617 nach italienischem Vorbild gegründete Fruchtbringende Gesellschaft, der Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen bis zu seinem Tode 1650 vorstand. Unter seiner Schirmherrschaft gelang es der Gesellschaft, die bis zu ihrer Auflösung 1680 insgesamt 890 Mitglieder zählte, fast alle Repräsentanten des damaligen literarischen Lebens in Deutschland zu versammeln, darunter die Dichter Johann Rist, Friedrich von Logau, Philipp von Zesen und den Sprachwissenschaftler Justus Georg Schottelius. Letzterer, der auf die Forschungen der Brüder Grimm großen Einfluß ausübte, setzte der Regelpoetik seiner Zeit den auch und gerade heute angesichts der Rechtschreibreform‚ wieder aktuellen Grundsatz entgegen, daß die Normen einer Sprache weniger aus abstrakter Setzung als vielmehr aus praktischem Gebrauch und geschichtlichem Werden abzuleiten seien.

Von einer solchen historischen Sprachauffassung ist es nicht mehr weit zu der seit Humboldt zum philosophischen Allgemeingut gewordenen Hochschätzung der Sprache als Kulturträgerin überhaupt. Bedeutendstes Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft war Martin Opitz, der 1624 in seinem Teutschen Poemata klagte: "Die Teutsche Poesy war gantz und gar verloren, / Wir wusten selber kaum von wannen wir geboren, / Die Sprache, vor der viel Feind erschrocken sindt, / Vergassen wir mit fleiß und schlugen sie in Windt."

Opitz forderte in seinen theoretischen Schriften die Erschließung des Deutschen als Literatursprache nach dem Vorbild der Antike und galt den Zeitgenossen aufgrund seines reichen dichterischen Schaffens als "deutscher Homer". Zahlreiche von ihm und anderen barocken Sprachpflegern eingedeutschten Begriffe, wie zum Beispiel Abhandlung, Anmerkung, Lehrsatz, Wörterbuch, Dichtkunst oder Lustspiel, sind in den Wortschatz unserer Sprache eingegangen und haben ihre künstliche Herkunft längst vergessen lassen.

Dieser sehr produktive Tatbestand wird von denen, die etwa die Internationalität der klassisch-romantischen Literatur betonen, geflissentlich außer acht gelassen: So wies die SPD in einer Werbeanzeige vor einiger Zeit darauf hin, daß der junge Goethe und die von ihm maßgeblich geprägte Epoche des Sturm und Drang ohne Shakespeare gar nicht denkbar wären –- jedoch hat Goethe Shakespeare durchaus nicht imitiert, wie die Sozialdemokraten nahelegen möchten, sondern er hat ihn sich schöpferisch angeeignet und unter seinem Einfluß etwas Neues und Eigenes hervorgebracht. Auch sein Begriff der "Weltliteratur" bezeichnet keine "denglischen" Texte oder dergleichen, sondern die bedeutendsten Beiträge der jeweiligen Nationalliteraturen, die in ihrer Verschiedenheit die Menschheitsliteratur ausmachen. Gerade Goethe, dem wir besonders viele sprachliche Innovationen verdanken, kann für ein New-Economy-Global-Denglisch nicht in Anspruch genommen werden.

Insgesamt geht es nicht um eine Alternative zwischen einem bornierten, jeden Sprachwandel auschließenden Verharren auf einer bestimmten Stufe der Sprachentwicklung – das allerdings in solcher Form niemals vertreten wurde –, und einer sich als weltoffen verbrämenden kulturlosen und banausischen Verhunzung der Sprache, sondern um deren behutsame und phantasievolle Weiterentwicklung.

Ungeachtet der manchmal kuriosen Übertreibungen der Fruchtbringenden und anderer Sprachgesellschaften – so wollte man etwa das aus dem Lateinischen stammende "Fenster" durch "Tagleuchter" ersetzen –, bleibt uns von ihrer grundsätzlichen Zielsetzung für die Gegenwart einiges zu lernen.


 
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