© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Medien: Real-Life-Seifenopern sind am Ende / Girlscamp-Produzent gefeuert
Die Currywurst im Mund
Ronald Gläser

Nur die Wahrheit zählt" lautet die neue Titelmusik der unlängst angelaufenen dritten Big Brother-Staffel. Doch aus dem Erfolgstaumel ist längst ein Trauma für die Fernsehsender geworden. Die Einschaltquoten von Big Brother und Co. befinden sich derzeit im freien Fall. Letzten Donnerstag sahen weniger als zwölf Prozent der "werberelevanten" Zuschauer die Zusammenfassung des Wohncontainer-Dramas.

Auch die konkurrierenden Sendungen wie das SAT.1-Girlscamp oder das RTL-Lovehouse haben nicht an die Real-Life-Erfolge des vergangenen Jahres anknüpfen können. Auch die leicht durchschaubare Strategie der Produktionsfirmen, durch mehr Sex in den und mehr Skandale um die Real-Leben-Sendungen die Deutschen vor die Mattscheibe zu locken, geht nicht auf. SAT.1 wirbt für das Girlscamp mit dem Slogan "Heißer als Big Brother" und präsentierte junge Damen im Bikini. RTL quartierte Männer und Frauen mit dem eindeutigen Anliegen, Kopulationsszenen filmen zu können, im Liebeshaus ein.

Die zahlreichen Filmszenen unter der Dusche oder beim Umziehen dienen allenfalls noch der Belustigung. Stefan Raab, der mit "TV-Total" jetzt viermal wöchentlich auf Sendung geht, führte neulich den "Busencheck" der Real-Life-Sendungen durch. Auch die "Wochen-show" oder "Switch" bedienen sich der Containergeschichten seit Monaten, die sie als Vorlage für ihre Satire nutzen.

Auch die inszenierten Skandale rund um die vermeintlichen Stars schockieren niemanden mehr. Rechnet man beispielsweise die Quote der "rein zufällig" auftauchenden Nacktfotos von TV-Knast-Insassen auf die Gesamtbevölkerung hoch, so käme man auf 25 Millionen Deutsche, die in Magazinen wie Playboy, Coupé oder St. Pauli Nachrichten abgelichtet worden sind.

Das Wort von der Real-People-Krise macht die Runde. Der Aufstieg von Otto Normalverbraucher zum Quotenbringer war ein Strohfeuer sondergleichen. Wer interessiert sich heute noch für die Beziehungskrise zwischen zwei stinknormalen Typen, wenn man den Rosenkrieg der Beckers live am Bildschirm verfolgen kann? Wen reißt die zwielichtige Vergangenheit x-beliebiger Unpersonen vom Hocker, wenn der Bundesaußenminister nachweislich ein Krawallmacher war? Der Halbmazedonier Zlatko, der absolute Guru für die Fans der ersten Staffel, hat für sich erklärt, er habe schon lange mit Big Brother abgeschlossen. Der Gewinner von damals macht zur Zeit angeblich ein Praktikum bei einem Radiosender. Und für Alex interessiert sich die Öffentlichkeit auch nur noch, weil er der uneheliche Vater des Kindes Jenny Elvers zu sein scheint. Hieße die Mutter Susi Sonnenschein, müßte er längst wieder Bier zapfen. Die anderen Teilnehmer all dieser medialen Exhibitionistentreffen fristen ihr Dasein bestenfalls als Ansager oder Moderator. Die meisten sind wieder in der Versenkung verschwunden.

Die Fernsehsender haben sich auf die spontane Begeisterung im letzten Jahr für die Endemol-Produktion Big Brother auf RTL II sofort eingestellt. Das Eisen sollte geschmiedet werden, solange es heiß war. Der Muttersender RTL zog das Produkt an sich und versah das ganze mit einer Reihe weiterer Talk- und Dokumentationssendungen, in denen sich dann wieder Familienmitglieder, Prominente oder Sexualwissenschaftler produzieren dürfen. Selbst die Kurztrailer, die vor Werbeblocks eingeblendet werden, wurden durch neue ersetzt. Seit geraumer Zeit werden nicht mehr bunte Logos oder hübsche, junge Frauen gezeigt. Statt dessen erscheint vor der Werbung der Polizeibeamte mit der Currywurst im Mund oder die Kassiererin von der Tankstelle um die Ecke. Die Banalität bei dem Kölner TV-Imperium erreichte mit der Sendung "Der Frisör", ihren vorläufigen Höhepunkt. Beim "Frisör" beobachtet der Fernsehzuschauer die hochtrabenden Gespräche zwischen Kunde und Haarstylist.

Da wollte die Konkurrenz nicht nachstehen. Im Hause Kirch wurde das Girlscamp entwickelt. Girlscamp ist schon von der Konzeption her (viele Frauen unter sich und einmal wöchentlich ein einzelner Mann) auf noch mehr Tränen, Zank, Streit und Intimitäten angelegt. Der Clou dabei: Die Mädchen dürfen im Internet ein Tagebuch führen, welches an Banalitäten kaum zu übertreffen ist. Im Vergleich mit den auf der Kanareninsel Hierro "Inhaftierten" nehmen sich in China umfallende Sackkarren wie weltbewegende Ereignisse aus. Kurze Medienaufmerksamkeit ergab sich nur wegen der Äußerung eines Mädchens, sie sei nicht rassistisch, stehe aber nun mal auf den arischen Typ. Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen, und die Sender entwickeln Ausstiegsstrategien. Längst hat der Wiederaufstieg der guten, alten Quizsendungen, die sich mit noch weniger Aufwand produzieren lassen, den TV-Stationen neue Perspektiven verschafft. Der RTL II-Chef Andorfer bezeichnete vor kurzem Information, Unterhaltung und Spielfilme als gleichwertige Sendungen neben den Real-Life-Seifenopern. Damit ist er von der bisherigen Strategie, das gesamte Programm des Schmuddelsenders mit Big Brother ähnlichen Sendungen zu füllen, abgerückt.

Bei den Produzenten und Sendern rollen jetzt Köpfe. Jüngstes Beispiel ist die Firma, die Girlscamp aus der Taufe gehoben hat, MME. Der verantwort-liche Produzent wurde von seinem Posten entfernt. Die Sender mußten ihre daran gekoppelten finanziellen Erwartungen drastisch reduzieren: Die Preise für RTL-Werbespots wurden gerade um 28 Prozent herabgesetzt. Girlscamp-Werbung kauft man sogar zu WSV-Preisen ein: ein Rückgang von fast 60 Prozent. Am Ende zählt nämlich nicht die Wahrheit – sondern die Quote.


 
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