© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Routinierte Berlin-Revue
Rolf Helfert

Schaut auf diese Stadt!" rief Ernst Reuter während der Berliner Blockade den"Völkern der Welt" zu. Gleich am Beginn der neuen Revue, die der Friedrichstadt-Palast aufführt, ertönt diese berühmte Sentenz als Auftakt der insgesamt zweistündigen Vorstellung.

Dennoch bleiben berlinische Bezüge knapp bemessen. Obwohl Berlin schon seit "700 Jahren im märkischen Sand" liegt, wie der Zuschauer erfährt, streift die Darbietung nur Berliner Sujets des 20. Jahrhunderts. Auch dies geschieht recht selektiv: vor allem die glorreichen zwanziger Jahre, die west-östliche Nachkriegszeit und natürlich der Mauerfall werden musikalisch-artistisch verarbeitet. Etwas mehr Ideenreichtum hätte dabei nicht geschadet.

Berlin dient dem Friedrichstädter Ensemble als "Aufhänger", um ein Programm zu gestalten, das, trotz mancher Variationen, im Kern schon oft zu sehen war. Man singt und tanzt gruppenweise und einzeln, angestrahlt von farbigen Lichtern und Scheinwerfern. Artisten springen durch Ringe, die sich bewegen, andere Akrobaten vollbringen gefährliche Kunststücke unter der Kuppel des Palastes. Absolut phantastisch und sehr originell ist ein riesiger Swimming- Pool, der von unten auf die Bühne emporsteigt. Frauen, die erstaunlich lange die Luft anhalten, zeigen Unterwassertänze.

Sobald die Nachkriegszeit erscheint, gilt es, hin und wieder Durststrecken auszusitzen. Nun dominiert die amerikanische Musikszene der fünfziger und sechziger Jahre. Da rumpeln altertümliche Autoscooters herbei, deren Insassen amerikanische Schlager von vorgestern trällern. Eine sonderbare Mischung aus Operette und Kirmes! Freilich hat das mit Berlin ebensowenig zu tun wie jener greuliche Elvis-Presley-Verschnitt, der auf einem Motorrad über die Bühne donnert. Zum Glück verschwindet er bald wieder. Dann fährt ein Trabant vor. Ihm entsteigt eine füllige Dame, die einen Gassenhauer der seligen DDR intoniert: "Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael!". Das alles wirkt etwas bieder, aufdringlich, ohne Esprit, scheint aber dem Publikum dennoch zu gefallen.

Weit mehr Interesse erregt der Gesang eines jungen Mannes, der daran erinnert, wie schwer zu Mauerzeiten gesamtdeutsche Freundschaften geknüpft werden konnten. Haben manche bereits vergessen, daß man damals um Mitternacht die Grenze passieren mußte? Durchaus gelungen und witzig erscheint auch die letzte Szene, in der Trampolin-Turner über die Berliner Mauer springen. Wer zwei lockere Stunden erleben möchte, gleichzeitig keine allzu hohen Ansprüche stellt, dem sei die Berlin-Revue empfohlen.

Berlin-Revue im Friedrichstadt-Palast (bis November 2001) Di-Fr 20 Uhr-2230 Uhr, Sa u. So 16 Uhr-1830 Uhr Eintritt: 25 DM-99 DM


 
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