© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Konsequent
Schaffung einer sicheren Situation "rund um Rußland"
Wolfgang Seiffert

Die leicht gekürzt wiedergegebene Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin vor Diplomaten und Beamten des russischen Außenministeriums in deutscher (aber nicht autorisierter) Übersetzung bestätigt zunächst, was Beobachter der Entwicklung in Rußland schon bei Amtsantritt Putins vorraussagten: das Bekenntnis Putins zum starken Staat und zur "russischen Idee" hat die außenpolitische Konsequenz einer eurasischen Konzeption in der Außenpolitik Rußlands (siehe mein Buch "Wladimir W. Putin – Wiedergeburt einer Weltmacht?").

Gewiß, andere Meinungen sehen Putin "auf dem Wege nach Europa" wie Michael Thumann in der Wochenzeitung Die Zeit schrieb, oder wollen ihn wenigstens dorthin locken. Thumann meinte in einem Fax an mich sogar, meine Formulierung, der russische Präsident müsse auf sein "Reich von Europa bis Asien" schauen, wecke imperiale Assoziationen.

Doch es ist nicht nur die "russische Idee", die Putin zu einem solchem Blick veranlaßt, es ist einfach die politische Realität Rußlands, wenn man auf dieses Land in den Grenzen seiner Verfassung von 1993 blickt. Gewiß, schon bei dem russischen Lyriker Fjodor Tjutschew, den Putin in seiner Rede zitiert, kann man über die "Russische Geographie" lesen, daß das zaristische Rußland von der Newa bis China reiche und sich in ihm sieben innere Meere und sieben große Flüsse befinden… Doch auch er gibt nur wieder, was russische Realität ist. Ich wundere mich manchmal darüber, daß auch kluge Beobachter Rußlands sich über dessen Realität, zum Beispiel über dessen geographische Ausdehnung wundern. Bleibt man nüchtern, so, so ist es nur konsequent, wenn Putin hervorhebt, die außenpolitische Priorität liege in der Schaffung einer sicheren Situation "rund um Rußland". Dabei ist es wohltuend, daß Putin erkennt, daß die Mittel zur Einflußnahme Rußlands auf die internationale Situation begrenzt sind und sich hinsichtlich der Methoden der russischen Außenpolitik dafür ausspricht, die eigenen Interessen zwar mit Härte, aber keinesfalls durch Konfrontation und durch Ultimaten zu vertreten. Aus der Rede ist nicht zu ersehen, zu welcher Diskussion, geschweige denn zu welchen Schlußfolgerungen sie führte. Doch der dokumentierte Text sollte Anlaß sein, das in ihr anklingende Konzept ernst zu nehmen und sich vor Fehleinschätzungen oder Wunschdenken zu hüten. Die neue Sicherheitsberaterin der Administration von US-Präsident George W. Bush, Condoleezza Rice, wird sie sicher lesen (oder schon gelesen haben). Die Rede wird Frau Rice jedenfalls in ihrer kürzlich geäußerten Meinung bestärken (Die Welt vom 8. Januar 2001), man müsse Rußland als Großmacht akzeptieren, mit der man stets Interessen haben werde, die miteinander kollidieren und solche, bei denen man sich nicht einigen kann. Vielleicht liest sie ja auch der deutsche Außenminister Joseph Fischer, wenn er aus Moskau zurück ist.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war bis 1994 Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht der Universität Kiel und lehrt jetzt am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen