© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Fünf weiße Riesen
Südkorea: Wirtschaftsprobleme vor der Wiedervereinigung
Alexander Röhrecke

Vor über zwölf Jahren wandelte sich Südkorea von der Militärdiktatur General Chun Doo Hwans (1979–1988) langsam zu einer Demokratie. Doch auch 1993, als der Zivilist Kim Young Sam die Präsidentschaft gewann, blieben die alten Machtstrukturen erhalten. Die heutige Oppositions- und damalige Regierungspartei, die Große Nationalpartei, führte Südkorea in die schlimmste Wirtschaftskrise seit Ende des Koreakrieges 1953. Die asiatische Finanzkrise brachte Anfang 1998 auch Südkorea in schwere wirtschaftliche Nöte.

Sie bewirkte letztlich aber eine politische Wende. Die südkoreanischen Wähler waren es angesichts der ökonomischen Katastrophe leid, den Warnungen der alten Machtelite vor dem angeblich verkappten Kommunisten Kim Dae Jung zu glauben. Kim wurde neuer Präsident Südkoreas.

Kims ehrgeizige innerkoreanischen Ziele, einen Ausgleich mit Nordkorea zu finden, den Wiedervereinigungsprozeß in Gang zu setzen und einen Krieg zu vermeiden, war durch die wirtschaftliche Hypothek von Anfang an belastet. Der diplomatische Erfolg vom Juni 2000 (Treffen mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Il) und die Verleihung des Friedensnobelpreises an Kim Dae Jung im Dezember desselben Jahres können nicht davon ablenken, daß Kim Dae Jung ein schweres wirtschaftliches Erbe von der alten Machtoligarchie übernommen hat.

Während die Südkoreaner 1998 und 1999 in nationaler Solidarität ihre privaten Goldbestände zur Zentralbank trugen, um das Land vor dem Bankrott zu retten, mußte Kim die Kreditbedingungen des Internationalen Währungsfond (IMF) akzeptieren. Der IMF-Kredit endete zwar den Sturzflug von Won und Aktien. Die grundlegenden Probleme waren damit aber nicht gelöst und sind es heute noch nicht. Undurchsichtig bleibt die Verflechtung von Regierung und Finanzwelt. So ist bis heute nicht klar wie hoch die wirklichen kurzfristigen Verbindlichkeiten Südkoreas gegenüber ausländischen Gläubigern sind.

Unverändert ist auch das Problem der südkoreanischen Konglomerate, Chaebols genannt, deren exzessiven, fremdfinanzierten Investitionen in neue Geschäftsfelder Überkapazitäten schufen. Die Rechnung mittels aggressiver, durch fremdes Kapital finanzierter Expansion analog zum Schiffbau in früheren Jahren, ausländische Mitbewerber vom Weltmarkt zu fegen, ist nicht aufgegangen: Nicht Ford oder Toyota gingen bankrott, sondern Kia und Daewoo Motors. Nationale Selbstüberschätzung – erklärbar aus der kolonialen Demütigung durch Japan – führte immer wieder zu fehlerhaften Investitionsentscheidungen der Chaebols. Sie erwiesen sich im ökonomischen Unwetter 1998 als Riesen auf tönernen Füßen. Kim, der nicht bereit war, den südkoreanischen Staat weiterhin in den Dienst der "fünf weißen Riesen" (Daewoo, Hyundai, Samsung, LG Electronics und SK Telekom) zu stellen, äußerte sich 1999 während einer Ansprache zum 54. Jahrestag der Unabhängigkeit von Japan wie folgt: "Ich werde als erster Präsident in die koreanische Geschichte eingehen, der gewillt war, die grundsätzlichen ökonomischen Strukturprobleme des Landes und seiner Konzerne anzupacken. Wir haben keine Alternative." Am nächsten Tag kündigte er einen Restrukturierungsplan für Daewoo, das zweitgrößte Chaebol, an. Daewoo zeigte sich unkooperativ gegenüber Kims Reformbemühungen und weigerte sich, seine Schulden in Höhe von 47 Milliarden US-Dollar zu bedienen. Nach einem Kampf hinter den Kulissen, erklärte sich Daewoo bereit den Präsidentenplan zu akzeptieren. Jang Ha Sung, Wirtschaftsprofessor an der Korea Universität, hatte die Restrukturierung von Daewoo als Lackmustest für die koreanische Wirtschaft beschrieben: Ohne die Restrukturierung fehle der Politik Kim Dae Jungs die Glaubwürdigkeit. Ein erster Sündenfall Kims war nämlich die staatliche Rettung des maroden Fahrzeugherstellers Samsung in Kims Heimatregion Pusan gewesen, wo 50.000 Arbeitsplätze verloren zu gehen drohten. Seitdem beobachteten ihn die ausländischen Kapitalgeber mit Argusaugen. Als die Daewoo-Gewerkschaften jetzt den Restrukturierungsplan ablehnten, weil mit Entlassungen verbunden, zogen die Gläubigerbanken ihre Kreditzusagen zurück. Kim verweigerte Daewoo jede Staatsunterstützung. Die Härte, die Kim bei Daewoo zuletzt zeigte, führte zu heftigen Demonstrationen in Seoul, die auf die Belegschaft anderer Firmen übergriff. Währenddessen verlieren die ausländischen Investoren immer mehr die Geduld. Sie fordern, daß Südkorea seine ordnungspolitischen Hausaufgaben erledigt. Der südkoreanische Aktienindex Kospi fiel bis Dezember 2000 um 53 Prozent, sichtbares Zeichen für den Abzug der ausländischen Investoren.

Bedenklich ist dies, weil es Auslandsinvestitionen waren, die nach 1998 zum Rettungsanker für Südkoreas Wirtschaft wurden. Ausländische Firmen wollten einen Fuß in den bislang abgeschotteten Markt setzen. Viele Chaebols konnten dabei verlustbringende Geschäftsfelder ins Ausland verkaufen oder ausländische Kapitalgeber gewinnen. Die Stabilisierung der südkoreanischen Wirtschaft hatte positive Folgen. Südkoreas Bruttoinlandsprodukt wuchs zuletzt (drittes Quartal 2000) mit knapp zehn Prozent bei einer Inflationsrate von etwas unter drei Prozent. Ebenfalls positiv hat sich im Jahr 2000 die Handelsbilanz entwickelt. Bei Beginn der Asienkrise 1997 noch negativ, wies sie im Oktober 2000 einen Überschuß von 17 Milliarden Dollar auf. Gegenüber dem Dollar hat der südkoreanische Won in einem Jahr nur 6 Prozent verloren (zum Vergleich: der Euro verlor im selben Zeitraum 12 Prozent).

Es ist dennoch möglich, daß Südkorea japanische Verhältnisse annimmt und stagniert, wenn die Restrukturierung der Wirtschaft aus innenpolitischen Gründen langfristig unterbleibt. In diesem Falle könnte auch die junge Demokratie Südkoreas Schaden nehmen. Heute wird sie und nicht die Erbschaft der Militärdiktatur für die wirtschaftliche Entwicklung verantwortlich gemacht. Dies wiederum würde nicht ohne Auswirkung auf die Verhältnisse am 38. Breitengrad bleiben: Die Entspannungspolitik gegenüber Nordkorea erfordert viel Geld, das Südkorea bald fehlen könnte.


 
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