© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Fingierte Geheimdienstberichte erhalten
Südtirol: Neue Enthüllungen im Mordfall Waldner / Rainers Ablenkungsmanöver aufgedeckt
Max Niebuhr

Melodramatischer könnte kein Hollywood-Film sein: 1998 verfaßte Artur Oberhofer (34) ein "leidenschaftliches Verteidigungsbuch" für den Mitgründer der "Freiheitlichen" in Südtirol, Peter Paul Rainer. Der Redakteur der Neuen Südtiroler Tageszeitung nahm Rainer vor dem Vorwurf des Mordes an dem Südtiroler Landtagsabgeordneten Christian Waldner in Schutz; er vermutete ein "politisches Komplott" der Geheimdienste gegen den Verurteilten. Jetzt überführte Oberhofer den Tiroler Volkstumspolitiker in einem neuen Buch selbst zweifelhafter geheimdienstlicher Ablenkungsmanöver. Der mysteriöse Mordfall, über den das höchste Gericht Italiens am 20. Februar noch einmal berät, wird damit noch nicht aufgeklärt.

Der Autor weist auf schwere Versäumnisse der Ermittler hin: So suchten sie nicht nach Fingerabdrücken auf der Tatwaffe und Schmauchspuren an der Kleidung des Beschuldigten. Dabei hätte das anfängliche Geständnis Rainers einiger Nachermittlungen bedurft: Immerhin enthält es siebzehn kriminaltechnische Widersprüche, die der Journalist in seinem Buch einzeln auflistet. Zur Dokumentation füllt er 40 Seiten mit dem Originalgeständnis, dessen Aufnahme als CD zusammen mit dem Buch verkauft wird. Leider sind Passagen auf Italienisch und im Dialekt nicht übersetzt.

Das Geständnis hatte Rainer wenige Tage nach der Tat am 15. Februar 1997 abgelegt und später zurückgezogen. Im August 1997 verurteilte ihn erstmalig das Landesgericht in Bozen zu zweiundzwanzigeinhalb Jahren Haft. Das Oberlandesgericht in Trient aber sprach den 33jährigen am 2. Dezember 1999 frei: Applaus brandete im Gericht auf, als das Urteil verkündet war. "Das war neben der Geburt meines Kindes der schönste Tag meines Lebens", verkündete Oberhofer damals. Rainer zeigte sich jedoch nicht an der Aufklärung des Mordes interessiert. So schildert es jedenfalls Oberhofer nun in seinem neuen Buch "Mordfall Waldner – Die neuen Fakten". Mit "kargen, völlig unzureichenden Erklärungen" habe Rainer seine politischen Mitstreiter nach dem Freispruch abgespeist, so der Autor. Ein Grund, warum sich dann bald alle vom Ex-Politiker distanzierten.

Ein Jahr später wurde das Urteil von Trient aufgehoben und Rainer im Mai 2000 in Brescia zu zwanzigeinhalb Jahren Haft verurteilt. Oberhofer recherchierte derweil weiter und entdeckte Belastendes: Rainer war Urheber einer Morddrohung, im Juni 1998 ausgerechnet an den Richter gesandt, der ihn später freisprechen sollte. Den Drohbrief ließ er durch einen Komplizen im Namen der Terrorgruppe "Ein Tirol" unterzeichnen. Das Brisante: Die Gruppe bekannte sich in den achtziger Jahren zu Bombenattentaten und war nachweislich von Agenten der italienischer Geheimdienste und der Stasi unterwandert, wenn nicht gar gelenkt. Vor dem Hintergrund dieser Enthüllung ist ein weiteres ominöses Schreiben, das Oberhofer in seinem Buch dokumentiert, aufschlußreich: Es ist dies ein, sehr wahrscheinlich fingierter, Geheimdienstbericht, den der Richter in Trient zwei Wochen vor Rainers Freispruch erhielt. Darin wird der Verurteilte entlastet und das Mordopfer als "Statthalter der Ost-Mafia gebrandmarkt", wie der Autor schreibt. Waldner soll sich bei den Geschäften mit Waffen und Zwangsprostitution als ein unkontrollierbares Risiko erwiesen haben und deshalb liquidiert worden sein. Leider ist auch dieser Bericht nur im italienischen Original wiedergegeben. Bereits im Mai vorigen Jahres hatte Oberhofer Rainers zweifache Agententätigkeit enthüllt. Den Vorwurf der geheimen Arbeit für den militärischen Nachrichtendienst Österreichs untermauert der Autor nun mit zusätzlichen Indizien. Die Belege für eine Mitarbeit beim italienischen Militärgeheimdienst erscheinen zwar dürftig, aber die beiden Dienste arbeiten zusammen.

Gleichfalls unscharf bleibt die Absicht hinter dem Kapitel über Rainers "polygame Neigungen". Oberhofer gibt zwar an, daß er damit die banalen Gründe für das Scheitern von Rainers Ehe aufzeige. Nicht die Überzeugung, ihr Mann sei des Mordes schuldig, sondern die Gewißheit, er sei ihr untreu gewesen, habe die Ehefrau zur Trennung getrieben. Das Kapitel ergibt aber nur Sinn, wenn sich der Leser das erste Buch ins Gedächtnis ruft: Darin hatte Oberhofer die Begründung für das Anfangsgeständnis des Verurteilten angeführt: Er habe gestanden, weil er seine geliebte Frau beschützen wolle. Zudem hatte der Autor damals einen langen Liebesbrief des Häftlings an seine Frau abgedruckt. Nun folgte die Radikalrevision. Mit den neuen Enthüllungen fällt auch Rainers Verteidigungsstrategie gegen Vorwürfe, die Oberhofer in den vergangenen zwei Jahren gegen ihn erhob, völlig zusammen. Der Verfasser schildert, wie Rainers Familie in der Vergangenheit versuchte, Journalisten durch Verleumdungen zu neutralisieren: "Man sollte besser schauen, ob nicht bestimmte Journalisten für den Geheimdienst arbeiten", wird Rainers Vater zitiert. Die Unterstellungen werden durch das Kapitel über die Geheimdiensttätigkeit seines Sohnes widerlegt. Wie nach der Veröffentlichung zu vernehmen war, beteiligen sich Redakteure des katholischen Radiosenders Horeb im Allgäu, wo Rainer vor seiner Verurteilung im Mai 2000 arbeitete, an den Mutmaßungen über Journalisten und denunzieren kritische Artikel als Racheakte.

Das sind zumindest naive Ablenkungsmanöver angesichts des grausamen Delikts, das dieser Mordfall darstellt. Auffallend sind dabei die Parallelen zur Bezichtigungsstrategie Rainers. Wenn Oberhofer mit jemandem im neuen Buch abgerechnet hat, dann mit sich selber: Hatte er die Person Rainers doch zuvor falsch eingeschätzt, wenn auch aus ehrenvollen Motiven. Vor dem Hintergrund der Kriminalisierungsstrategie italienischer Geheimdienste in den achtziger Jahren und erheblicher Ermittlungslücken im Fall Waldner durfte zunächst nur eines gelten: In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten. Alles andere wäre Vorverurteilung gewesen.

 

Artur Oberhofer, "Mordfall Waldner – Die neuen Fakten", Verlag der Neuen Südtiroler Tageszeitung, Bozen, 2001, 189 Seiten, 35 Mark.


 
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