© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/01 16. Februar 2001

 
Das rot-grüne Komplott
Warum stürzt die Berliner Regierung nicht über ihre Lügen im Kosovo-Krieg?
Michael Wiesberg

Es begann mit einer Lüge", lautete der Titel einer am 8. Februar ausgestrahlten WDR-Dokumentation über die Rolle der rot-grünen Regierung im Kosovo-Krieg. Die "Lüge", von der in dieser Sendung die Rede ist, faßte Norma Brown, eine enge Mitarbeiterin des zwielichtigen OSZE-Chefs William Walker in folgende Worte: "Die humanitäre Katastrophe im Kosovo gab es erst durch die Nato-Luftangriffe. Daß diese die Katastrophe auslösen würde, wußten alle bei der Nato, der OSZE und bei unserer Beobachter-Gruppe." Einzig die PDS-Fraktion im Deutschen Bundestag hat daraufhin eine Aktuelle Stunde beantragt, in der die Täuschung der deutschen Bevölkerung und die Rechtfertigung des Nato-Krieges durch die rot-grüne Regierung thematisiert werden soll. Diese Täuschung kann personalisiert werden: Sie ist maßgeblich von den Bundesministern Fischer und Scharping ausgegangen. So bescheinigte zum Beispiel der ehemalige Nato-Sprecher Jamie Shea Scharping, "im Kampf um die öffentliche Meinung eine entscheidende Rolle" gespielt zu haben. Nicht erst seit der WDR-Sendung wird immer deutlicher, daß Scharpings angebliche "Beweise" für serbische Untaten eine Farce sind. Dies gilt insbesondere für seine Behauptung, daß es in Pristina ein Konzentrationslager gegeben habe und erst recht für den sogenannten Operationsplan "Hufeisen", der belegen soll, daß die Serben eine systematische Massenaustreibung der kosovo-albanischen Bevölkerung planten.

Und dies gilt auch und gerade für die angeblichen "Massaker" von Racak am 15. Januar und Rogovo am 29. Januar 1999. Ersteres wurde immer wieder als ein Auslöser für den Entschluß der Nato ins Feld geführt, die Serben mit kriegerischen Mitteln zur Räson zu bringen. Im wissenschaftlichen Abschlußbericht finnischer Gerichtsmediziner, der Mitte Januar bekannt wurde, finden sich keine Beweise, die den Schluß zulassen, daß in Racak kosovo-albanische Zivilisten durch serbische Sicherheitskräfte exekutiert worden seien.

Welch absurde Formen zum Beispiel Scharpings Insistieren auf dem "Hufeisenplan" inzwischen angenommen hat, zeigt dessen Reaktion auf eine Äußerung der Vorsitzenden des Internationalen Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, die darauf hinwies, daß sie den "Hufeisenplan" als "nicht gerichtsverwertbares Beweisstück" einstufe. Diese Aussage del Pontes hat Scharping am 16. Mai 2000 in einer denkwürdigen Fernsehdiskussion schlichtweg abgestritten. In derselben Sendung kam das Gespräch auch auf das "Massaker" von Rogovo. Der Hamburger Konfliktforscher Dieter S. Lutz machte darauf aufmerksam, daß es sich im Falle von Rogovo um gefallene UÇK-Guerillas gehandelt habe, von einem "Massaker" also nicht die Rede sein könne. Scharping behauptete daraufhin , er habe "noch nie" von einem "Massaker" gesprochen. Konfrontiert mit einer Passage aus seinem "Kriegstagebuch", in dem ausdrücklich von einem "Massaker" die Rede ist, erklärte er: Er hätte ja den "fehlerhaften Gebrauch eines Wortes" nachträglich streichen können, doch er stehe zu seinen Fehlern. Auf ein Nachfassen der Gesprächsteilnehmer wartete der Zuschauer indes vergeblich. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender verstieg sich sogar zu der Aussage, daß es "kein anderes Land in Europa" gebe, "in dem diesesThema in den Medien so selbstkritisch diskutiert" werde.

Die Medien in Deutschland haben bis heute, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die regierungsamtliche Kriegspropaganda der rot-grünen Regierung ohne nennenswerten Widerspruch mitgetragen. Sie haben selbst noch die fragwürdigste Begründung, die Scharping und der Menschenrechtsapostel Fischer hinausposaunten, unkritisch kolportiert. Dies festzustellen, hat nichts mit einer Reinwaschung des problematischen Milosevics-Regimes zu tun, dessen vorurteilsfreie Aufarbeitung noch aussteht, sondern mit der Offenlegung der Funktionsmechanismen der "öffentlichen Meinung" in der Bundesrepublik.

Der Gehlen-Schüler Hanno Kesting machte in seiner 1966 vorgelegten Untersuchung "Öffentlichkeit und Propaganda", mit der er habilitiert wurde, darauf aufmerksam, daß die "öffentliche Meinung" zunächst ein Mittel der Opposition gewesen war, sich der Macht indirekt zu nähern. Heute steht die "öffentliche Meinung", wie Caspar von Schrenck-Notzing im Vorwort zu der erst 1995 veröffentlichten Kesting-Schrift vermerkt, "nicht auf der Seite der Opposition, ja erfüllt die Aufgabe, Opposition von vorneherein unmöglich zu machen". Die "öffentliche Meinung" ist, dies legt Schrenck-Notzing nahe, zu einem Teil des Herrschaftssystems geworden. Für das Verständnis der Dynamik dessen, was heute "öffentliche Meinung" darstellt, ist es wichtig zu wissen, daß sich in Deutschland der Nachkriegszeit die französische Bedeutung des Begriffes durchgesetzt hat. Hier setzt sich eine Partei nicht nur an die Stelle des Ganzen, sie identifiziert sich darüber hinaus mit den Interessen der "Menschheit". Dagegen zu opponieren, heißt aus dem "Bereich des Menschlichen" ausgeschlossen zu werden.

Die "propagandistische Öffentlichkeit" von heute zielt also auf die Legitimation politischer Eliten, die ihre Handlungen so darzustellen versuchen, als lägen sie im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung, bzw., auf heutige Verhältnisse gemünzt, "der Menschheit". Beispielhaft veranschaulicht wurde diese These im Hinblick auf den Kosovo-Krieg durch Geert Müller-Gerbes, dem ehemaligen Pressereferenten von Bundespräsident Heinemann, der im Deutschlandradio am 13. April 1999 allen Ernstes feststellte: "Die drei Männer (Schröder, Scharping und Fischer, d.V.) stehen praktisch für uns alle." Diese zeigten "fast unter Tränen, wie sie leiden".

Es muß davon ausgegangen werden, daß weder Scharping noch Fischer, der den Kosovo-Krieg als Krieg des Abendlandes "für die Menschenrechte eines muslemischen Volkes" verherrlichte (Die Zeit, 16/99), aufgrund ihrer Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu dem gezwungen werden, was in einem derartigen Falle eigentlich angezeigt wäre: zum Rücktritt. Zu stark nämlich ist die "(ver)öffentliche Meinung" der Bundesrepublik zum Medium der Kriegspropaganda der rot-grünen Regierung geworden. Was dies für Konsequenzen hat, hat die Publizistin Sabine Reul in der Juli/August-Ausgabe 1999 des Magazions Novo unmißverständlich zum Ausdruck gebracht: "In dem Maße, in dem Politik den Bezug zu den realen Problemen verliert, die sie zu lösen beansprucht, aber nicht löst, bietet sich der Rekurs auf die Moral als nahliegendes Mittel zur Stützung politischer Führungsansprüche an. Solcherart Berufung auf Moral repräsentiert das Ende der Politik; er ist der Ausbruch aus den Regeln des demokratischen Diskurses." Dieser Ausbruch hat vielen unschuldigen serbischen Zivilisten das Leben gekostet.


 
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