© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/01 09. Februar 2001

 
"Wir müssen unser Deutschsein annehmen"
Ein Gespräch mit Gabriele Fernau, der Witwe des großen deutschen Schriftstellers Joachim Fernau
Burkhart Berthold

Frau Fernau, vor zwölf Jahren starb Ihr Mann Joachim Fernau, einer der wenigen faszinierenden deutschen Autoren nach 1945. Seinem bis heute anhaltenden Erfolg bei den Lesern – Fernau zählt zu den meistverkauften Autoren bei uns – steht eine sich ihm standhaft verweigernde Kritik gegenüber. Wie erklären Sie sich diese unterschiedlichen Reaktionen?

Fernau: Ach, wissen Sie, die Kritik hat sich meinem Mann durchaus nicht verweigert, sie hat sich redlich bemüht, ihn zu vernichten. Aber Leser sind halt schwerer gleichzuschalten als Medien. Die Leser haben schon beim ersten Buch gefühlt, daß da einer souverän und unbestechlich ist, einer, der Nahrung für die Grundbedürfnisse der Seele hat und mit dem man weinen und lachen kann, über sich selbst und über unser Schicksal. Und so kam es, daß der Dauerbeschuß der Kritik ein Rohrkrepierer wurde und die beste Empfehlung für den Autor. Als die Herren Meinungssoldaten ihren Fehler einsahen, war es zu spät, da half auch das schließlich gänzliche Totschweigen in den Medien nicht mehr. Ernst Jünger hat mal gesagt: "Die Freiheit trägt man in sich. Ein guter Kopf verwirklicht sich in jedem Regime." Gerade im Herbst 2000 hat das nun 48 Jahre alte "Deutschland, Deutschland über alles" seine 21. Auflage erlebt. Und das zwölf Jahre nach Joachim Fernaus Tod!

Der Vorwurf, rechtsaußen zu stehen, wird heute ziemlich großzügig vergeben. Wie hat sich denn Joachim Fernau in der Zeit des Nationalsozialismus verhalten?

Fernau: Ja, sehr großzügig! Die würden heute sogar Kurt Schumacher als Rechtsaußen verteufeln! Die konkrete Situation meines Mannes in der NS-Zeit ist schnell erzählt. Aber zuvor lassen Sie mich den Betroffenen selbst zitieren: "Der ‚Staat‚ hat mich nie gekannt, nie angesehen. Ich habe ihn immer nur kennen gelernt, wenn er wie ein von der Sauftour heimkehrender Vater mich entdeckte und prügelte. Fallen Sie nicht auf die Lüge hinein, daß Vaterland gleich Staat ist."

Und hier die Fakten: 1932 findet der 23jährige seine erste feste Anstellung als Journalist der Telegraphen-Union, Berlin. 1934 werden TU und Wolf’sches Telegraphenbüro zum DNB zusammengeschlossen. Joachim Fernau wurde entlassen, weil er nicht Parteimitglied war. 1935 erhielt einen Vertrag als fester Mitarbeiter beim Rundfunk. Rausschmiß nach einem halben Jahr wegen einer dem Regime nicht genehmen Reportage. Danach schlug er sich als freier Journalist durch, hauptsächlich auf dem unverfänglichen Gebiet des Sports. 1937 verlobte er sich mit einer deutschen Jüdin, der 1939 die Ausreise nach England gelang. Bis dahin reduzierte er alle beruflichen und gesellschaftlichen Kontakte auf ein Minimum. Im Sommer 1939 war drei Wochen in London "wegen Zukunftsplanung". Als Joachim Fernau nach Berlin zurückkehrte, lag sein Gestellungsbefehl vor, ab 1. September 1939 war er Soldat. Im November 1939 wurde er zu einem Wehrmachtsbataillon nach Polen abkommandiert, von dort folgte 1940 seine Abkommandierung zur Kriegsberichterabteilung der Waffen-SS, dort blieb er bis zum bitteren Ende 1945. Eine recht hübsche Biographie, nicht wahr? Dafür wird sie ab 1945 umso einfacher. Der Bannstrahl der neuen, selbsternannten Richter, die jede Pflichterfüllung der vergangenen Zeit kriminalisieren, hielt bis zum Tode meines Mannes an, und für einige, deren Gutmenschentum noch der Profilierung bedurfte, sogar über den Tod hinaus. Mein Mann hat sich dagegen nie verteidigt, er fand, das nicht nötig zu haben. Er sah, was ihm widerfuhr, als sein privates Schicksal an, das niemanden etwas angeht.

Joachim Fernau in der Bundesrepublik – ein politischer Schriftsteller?

Fernau: Mein Mann war ein politischer Mensch in dem Sinne, daß sein Denken und Handeln immer die Verantwortung für die Gemeinschaft mitbedachte. Als "politischer Schriftsteller" nach dem Sprachgebrauch der Bundesrepublik hätte er sich nicht bezeichnet, sondern schlicht als deutschen Schriftsteller, und das ist ja heute automatisch ein Politikum.

Trug die Abneigung gegen die politische Entwicklung zu Ihrem gemeinsamen Entschluß bei, in den sechziger Jahren nach Florenz zu ziehen?

Fernau: Nein. Übrigens sind wir ja nicht etwa emigriert. Florenz war nur unser zweiter Wohnsitz. Mein Mann hatte den russischen Winter durchlitten, er liebte die Sonne und die südliche Wärme. Florenz ist schön und ein Synonym für Kunst, und die Menschen dort sind wohltuend unverkrampft. Zugegeben: Das "Denk ich an Deutschland in der Nacht ..." erwies sich unter dem Himmel Italiens etwas weniger quälend für meinen Mann, als täglich vor Ort hautnah mit der Entwicklung der Bundesrepublik konfrontiert zu werden.

Gerade die Florentiner stehen im Ruf, ein besonders realistisches Völkchen zu sein. Wie wirken die deutschen Aufgeregtheiten zwischen Kampfhunden und Neonazis jenseits von San Miniato?

Fernau: Ach, die deutschen Lächerlichkeiten sind den Florentinern völlig wurscht. Sie amüsieren sich höchstens über die Geschicklichkeit ihrer Politiker, aus unseren Dauer-Hysterien bei günstiger Gelegenheit Kapital für ihr Land zu schlagen, was ja völlig legitim ist. In Italien bekommt keiner Halsschmerzen, wenn er das Wort Vaterland ausspricht.

In einem Interview bezeichnete Ihr Mann selbst sich einmal als Anhänger der Konservativen Revolution; seine Sympathie gilt erkennbar den tapferen, oft eidenden Einzelnen, die mehr leisten, als ihnen eigentlich zukäme. Liegt darin vielleicht ein Verbindendes zwischen Friedrich dem Großen und Martha Vanseloh, Sulla und Bismarck, Leonidas und dem in der Normandie gefallenen Panzeroffizier Michael Wittmann, Solon und – ihm selbst?

Fernau: Ja, wenn man unter Konservativer Revolution die doppelte Frontstellung gegen Fortschrittsideologie und Reaktion, gegen Umsturz um jeden Preis und gegen Bewahrung um jeden Preis versteht, dann war mein Mann ein Anhänger der Konservativen Revolution. Sein Leben und sein Werk sind der Beweis dafür. Und was seine Sympathie für den leidenden Einzelnen anlangt: Da hielt er es mit Nietzsche. Auch für ihn gehörte es zur Rangordnung, wie tief einer leiden kann.

Es heißt, "Disteln für Hagen", eine Interpretation des Nibelungenliedes, habe Ihrem Mann besonders am Herzen gelegen. Wie würden Sie das Bild, das er von den Deutschen und diesem deutschen Epos zeichnet, beschreiben?

Fernau: Nicht zufällig hat mein Mann seinen "Disteln für Hagen" den Untertitel "Bestandsaufnahme der deutschen Seele" gegeben. Er hat den im Nibelungenlied verborgenen Archetypus der deutschen Seele herausgearbeitet, die Essenz des Deutschseins von innen heraus gezeichnet. Er wollte sagen, daß wir unser Deutschsein annehmen müssen, so schwer wir auch daran zu tragen haben. Wenn wir es verleugnen und aufgeben, werden wir das Gespött der Welt sein.

Unverkennbar zieht sich der Einfluß von Oswald Spengler durch das Werk Ihres Mannes. Spengler ist gewissermaßen ein Verkünder der Unumkehrbarkeit von Dekadenz. Die Begeisterung von 1989 – die Ihr Mann nicht mehr erlebte –, hätte sie in ihm vielleicht den Gedanken wecken können, daß unser Volk nur durch eine Art Winterschlaf geht?

Fernau: Leider nein. Kein Winterschlaf. Die Talfahrt beschleunigt sich. Wie es weitergehen könnte, das ist im Schlußkapitel von "Halleluja" nachzulesen. Die Wiedervereinigung, die er nicht mehr erlebt hat, hätte meinen Mann gefreut. Armin Mohler schrieb einmal, Joachim Fernau hätte in seinem ganzen Schriftstellerleben auf diesen Ernstfall hin gelebt – und geschrieben. Also, sie hätte ihn gewiß gefreut und ihm zugleich das Herz noch schwerer gemacht. Er ahnte immer, daß Deutschland dann wieder in die Arena muß, und diesmal waffenlos.

Wie war sein Verhältnis zu Kollegen wie Ernst Jünger und Ernst von Salomon?

Fernau: Von einer bestimmten Geisteshöhe ab gibt es keine gemeinsamen Spielplätze mehr. Da gibt es nur noch Einsamkeit. Mein Mann hat Ernst Jünger nicht persönlich gekannt. Er hat ihn einmal einen Sozialaristokraten genannt und verstand darunter einen Mann, der – ohne von Geburt und Kaste Aristokrat zu sein – für sich und die Gemeinschaft aristokratisch fühlt und handelt. Ernst von Salomon ist er persönlich begegnet. Er hat den Schriftsteller Salomon geschätzt und die Resignation des alten Ernst von Salomon verstanden. Als nach dessen Tod der Rowohlt-Verlag das nachgelassene Werk "Der tote Preuße" nicht mehr verlegen wollte, hat mein Mann seinen eigenen Verleger dafür gewonnen.

In Ihrem Erinnerungsbuch "Geschichten von Herr und Hund" zeichnen Sie ein Bild Ihres Mannes als eines verletzlichen Menschen, der unter jedem Unrecht, unter jeder Schäbigkeit gelitten hat. Trotzdem scheute er sich nicht, mit oft beißendem Spott in die Auseinandersetzung mit Dingen zu ziehen, die er verabscheute?

Fernau: Das ist doch kein Widerspruch! Das war Selbstschutz der Seele, um nicht an den Widerwärtigkeiten der Zeit zugrunde zu gehen. "Mein Leben", hat er einmal gesagt, "besteht nicht darin, der Feind von irgend etwas zu sein. Mein Leben besteht darin, der Freund von etwas anderem zu sein. Mein Liebe ist größer als meine Abscheu."

Joachim Fernau hat einen großen Teil seiner Arbeitszeit der Beantwortung von Leserbriefen gewidmet. Was, meinen Sie, wäre heute seine Botschaft an junge Menschen, die nach Orientierung suchen?

Fernau: Das kann ich Ihnen ziemlich wörtlich zitieren, denn mein Mann hat es oft genug suchenden oder verzweifelnden jungen Lesern schreiben müssen: "Schauen Sie nicht links und nicht rechts, wie ich es auch gemacht habe. Arbeiten Sie an sich und überlassen Sie den american way of life den anderen. Nehmen Sie sich Ziele vor: ein ethisches, ein berufliches und kleine, private Nahziele. Aber schließen Sie sich nicht ab. Das ist wichtig!" Ich kann Ihnen auch noch weitere Maximen meines Mannes zitieren: "Leben Sie so, als ob Ihre persönliche Integrität das Chaos aufhalten könnte." Oder: "Man kann auch in einer Welt, die so verkommen ist wie die unsrige, ein lebenswertes Leben führen. Es genügt, daß man denkt, daß man sich nicht verkauft, daß man auf seiner Würde besteht und dem Unwürdigen nicht den kleinsten Finger reicht. Auch unter Opfern nicht!"

 

Gabriele Fernau: Geschichten von Herr und Hund. Meine vierbeinigen Memoiren. Herbig, München 1999, 222 Seiten, geb. 29,90 Mark. Die Titel von Joachim Fernau sind ebenfalls bei Herbig lieferbar.

 

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