© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/01 09. Februar 2001

 
Blauäugigkeit und "Green Card"
Wirtschaftspolitik: Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung erinnert an DDR-Propaganda
Bernd-Thomas Ramb

Der diesjährige Jahresbericht der Bundesregierung zur Wirtschafts- und Finanzpolitik – kurz Jahreswirtschaftsbericht 2001 – birgt keine Besonderheiten. Wie üblich werden die Leistungen des vergangenen Jahres gelobt und die Aussichten auf das laufende Jahr dementsprechend positiv fortgesetzt, wie es von einer in der Mitte der Legislaturperiode stehenden Regierung kaum anders zu erwarten ist.

Schon die Überschriften der ersten Inhaltsseite bieten ein Prachtbeispiel der Eigenwerbung: "I. Nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik für mehr Wachstum und Beschäftigung", "A. Auf gutem Weg zu einem zukunftsfähigen Deutschland in der Europäischen Union", "1. Deutsche Wirtschaft auf Wachstumskurs – Lage und Ausblick", "Weltweit günstige Rahmenbedingungen", "Perspektive in Deutschland – es geht weiter aufwärts". Die sich überschlagenden Euphemismen erinnern fatal an die planwirtschaftlichen Durchhalteparolen der DDR-Wirtschaft. Mit der wirtschaftlichen Realität in Deutschland haben sie ebensowenig gemeinsam wie das Pfeifen im dunklen Keller mit einer Einzelkämpfernahkampfausbildung.

Die propagandistische Selbstüberschätzung steht in einem erstaunlichen Kontrast zu dem Zahlenmaterial, das der Jahreswirtschaftsbericht 2001 nicht verschweigt, aber eben sehr merkwürdig interpretiert. So wird das letztjährige Wirtschaftswachstum von geschätzten 3,1 Prozent (der genaue Wert läßt sich erst in den nächsten Wochen feststellen) als das höchste seit der Eingliederung der neuen Bundesländer gepriesen. Geflissentlich übergangen wird jedoch die Tatsache, daß die deutsche Wirtschaftsentwicklung weiter hinter der amerikanischen zurückliegt und auch die europäische Entwicklung im Durchschnitt der deutschen immer eine Nasenlänge voraus ist. Die amerikanische Wirtschaft wächst seit einem Jahrzehnt mit nahezu der doppelten Geschwindigkeit, doch zu einer tieferen Analyse der Ursachen kann sich der Wirtschaftsbericht nicht entschließen. Zwar wird das Wachstum in den Vereinigten Staaten staunend bewundert, aber eher dem unkalkulierbaren Zufall oder dem Zauberwort "New Economy" zugeordnet. Letztes ist die Bundesregierung durchaus bereit auf Europa zu übertragen. Technik, sowie die Informations- und Kommunikationsbranche, faszinieren durchaus und reizen zur Nachahmung. Nachahmung ist aber selten innovativ, wie die sozialistische Planwirtschaft stets bewiesen hat.

Gänzlich außerhalb der Betrachtungsmöglichkeit hält der Wirtschaftsbericht eine ordnungspolitische Analyse der amerikanischen Wirtschaftsentwicklung. Entgegen der Einschätzung des für die Abfassung des Wirtschaftsberichts zuständigen Bundesfinanzministeriums war das amerikanische Wirtschaftswunder durchaus vorhersehbar. Nach den wirtschaftlichen Reformen zur Zeit der Reagan- und Bush-Administration konnte der wirtschaftliche Erfolg zwar nicht auf den Tag genau vorhergesagt, aber eben mit großer Sicherheit erwarten werden. Entscheidend war auch, daß beide Regierungen es wagten, Entwicklungen über ihre Amtszeit hinaus in Gang zu setzen und somit das Risiko in Kauf nahmen, daß erst Nachfolgeregierungen die Früchte ihrer Arbeit ernteten.

Ein ähnliches Bild wie die Beurteilung des Wirtschaftswachstums bietet die Diagnose des Arbeitsmarkts. Auch hier überdeckt die Freude über eine Senkung der Arbeitslosenquote von 10,5 auf 9,6 Prozent die Tatsache, daß Deutschland auf den niederen Rängen operiert. Selbst die stets höheren EU-Gesamtzahlen konnten inzwischen auf das deutsche Niveau der Arbeitslosigkeit gesenkt werden. Relativ betrachtet hat der deutsche Arbeitsmarkt damit einen Rückschritt erlitten.

Bei der Entwicklung der Erwerbstätigkeit hat sich Deutschland gegenüber 1991 um keinen Prozentpunkt verbessert, während sich die EU-Länder insgesamt um vier Prozent verbesserten. In den USA herrscht nach einer Steigerung der Beschäftigungszahlen um 15 Prozent seit vielen Jahren Vollbeschäftigung.

Besonders peinlich wird der internationale Vergleich im Bereich der Produktivitätsentwicklung. Die ehemals weltweit hochgelobte deutsche Produktivität verzeichnet seit nahezu zehn Jahren fast kontinuierlich sinkende Wachstumswerte. Die rot-grüne Bundesregierung hat auch hierzu nur die Zauberformel "New Economy" als Gegenmittel anzubieten. Wie diese zu verwirklichen ist, bleibt allerdings im wortreich Nebulösem. Das Winken mit der "Green Card", um qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland zu locken, dürfte kaum reichen. Ebenso wie verschiedene Aktienkurse des Neuen Marktes könnte sich die Vorstellung, über ausländische Spezialisten würden weitere Arbeitsplätze für die deutschen Nichtspezialisten geschaffen, bald als Resultat einer speziellen Zockermentalität entpuppen.

Auch der diesjährige Jahreswirtschaftsbericht versäumt wieder einmal das Wagnis einer fundamentalen Bestandsaufnahme der deutschen Wirtschaftsordnung. Zwangsläufiges Ergebnis ist die Ansammlung von Platitüden im altbekanntem Parteiprogrammstil. Daß der Mut nicht für einen Blick über den Horizont der vierjährigen Regierungszeit nicht ausreicht, mag verständlich sein. Zusätzlich ist diesmal jedoch fraglich, ob Hans Eichels Wirtschaftsvisionen noch bis zum nächsten Wahltag reichen.


 
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