© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/01 09. Februar 2001

 
Widersprüche zudecken und dumpf verbrüdern
Mitteldeutscher Rundfunk: Bekannte Moderatoren und Journalisten werden von ihrer DDR-Vergangenheit eingeholt
Paul Leonhard

Sachsens Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) hat "SachsenSpiegel"-Moderator Stefan Bischof als bisher einzigem Journalisten im vergangenen Jahr die Verfassungsmedaille des Freistaates verliehen. Damit würdigte er die Verdienste des MDR-Redakteurs bei der Festigung der Demokratie im Freistaat.

Kurz darauf wurde öffentlich bekannt, daß Bischof vor 1989 hauptamtlich für die Stasi arbeitete. Iltgen, immerhin 1989/90 Moderator des Runden Tisches in Dresden, war das bekannt. Aber Nachforschungen in der Akte Bischofs hätten nichts Belastendes ergeben. Für den Ausgezeichneten vielleicht die "Gnade der späten Geburt", schließlich hatte der Ex-Jurastudent an der Potsdamer MfS-Hochschule nach zwei Jahren auf eigenen Wunsch das Studium abgebrochen. Trotzdem scheint die Karriere Bischofs einen Knick erfahren zu haben.

Die Dreiländeranstalt Mitteldeutscher Rundfunk (MDR) hat nun die Vergangenheit des realexistierenden Sozialismus eingeholt: Nach jüngsten Stasi-Fällen sollen jetzt alle festangestellten und freien Mitarbeiter des Senders per Eilverfahren erneut überprüft werden. So hat es der Rundfunkrat beschlossen. Man nehme das Thema Stasi im MDR ernst, betonte Intendant Udo Reiter. So recht mag das keiner glauben. Denn das eine ganze Anzahl der MDR-Mitarbeiter früher für das Mielke-Ministerium spitzelten, pfeifen in Mitteldeutschland seit Gründung der Anstalt die Spatzen von den Dächern. "Der MDR soll harmonisieren, Widersprüche zudecken, dumpf verbrüdern", umriß bereits vor sieben Jahren der damalige Medienexperte der SPD-Landtagsfraktion Peter Dyrlich die Aufgabe des Senders, der von den einen wegen seiner aus Westdeutschland stammenden Führungsmannschaft und seiner Nähe zur CDU als "Schwarzfunk", und von anderen wegen seiner SED-Altlasten auf den unteren und mittleren Ebenen als "Rotfunk" bezeichnet wird. In der Tat ist wohl nirgends im öffentlich-rechtlichen Bereich eine derartige Symbiose aus Westimporten und Altlasten gewachsen.

Bei Gründung des MDR regierte die CDU sowohl Sachsen, Sachsen-Anhalt als auch Thüringen. Der von ihnen als Intendant eingesetzte Udo Reiter holte auf dem CDU-Ticket vom NDR Henning Röhl als Fernsehdirektor, Ulrike Wolf als Landesfunkhauschefin für Sachsen und Ralf Reck als Direktor für das Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt. Dazu kamen noch die als SPD-nah geltende Karola Sommerey und der parteilose Kurt Morneweg als Direktor des Landesfunkhauses Thüringen. Fortan galten die Beziehungen zwischen den Sendern und den Staatsregierungen als eng. "Zwischen MDR und Staatskanzlei", zitierte die Zeitschrift Tempo im Herbst 1993 einen Mitarbeiter, "das sind keine Drähte, sondern Stahlseite". Folgerichtig plätschern Radio- und Fernsehprogramme seit dem auf seichter Ebene vor sich hin.

Ein Beispiel aus den frühen MDR-Tagen: Als Rundfunkredakteur Bernd Ossenbrüggen einen Somalia-Kommentar mit dem Tenor spricht, es könne ja wohl nicht die Absicht der Verfassungsautoren gewesen sein, deutsche Soldateneinsätze im Ausland zu ermöglichen, rügt Landesfunkhausdirektorin Wolf Bereichsleiter Alexander Jereczinsky und weist an: "Bis auf weiteres bleiben Kommentare bei uns ausgesetzt." Klar, daß Jereczinsky ohne zu murren parierte, schließlich wurde er laut Focus-Recherchen seit 1988 durch die MfS-Abteilung Spionageabwehr unter dem Decknamen "Karl Friedrich" geführt. Zwar war der einstige "Produzent beim Staatlichen Komitee für Rundfunk" 1991 durch die Gauck-Behörde überprüft worden, aber es habe "nach damaligen Kenntnisstand" keine "Möglichkeit und Veranlassung" gegeben, arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen, teilte der MDR jetzt mit. Auch von den Stasi-Vorwürfen gegen Unterhaltungschef Udo Foht, einst Chefredakteur beim DDR-Fernsehen und von 1986 bis 1989 als IMS "Karsten Weiß" geführt, habe man gewußt.

Kein Wunder, daß die Handvoll bürgerbewegter Journalisten, die beim MDR Anfang der neunziger Jahre Lohn und Brot gefunden hatten, schnell das Handtuch warfen oder ihren Job verloren. Der Sender habe "die Inhalte rausgespuckt zugunsten von Belanglosigkeiten", erinnert sich die Journalistin Uta Dittmann. Die anderen schwiegen, so Tempo, "aus Angst, jemand könne auf den Gedanken kommen, doch noch einmal in ihrer DDR-Vergangenheit zu graben".

Was ausgegraben wurde, konnte in den meisten Fällen heruntergespielt werden. Eine Tätigkeit als Informeller Mitarbeiter (IM) der Stasi war offenbar in den Augen der MDR-Gewaltigen nicht unbedingt ehrenrührig. Um so größer jetzt der Schaden in den Augen der Öffentlichkeit nach den Enthüllungen in den überregionalen Medien: "Fakt"-Moderatorin Sabine Hingst wurde nach Angaben der Welt bis 1989 von der Stasi als "Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit" geführt. MDR-Nachrichtenchef Ingolf Rackwitz soll nicht nur als Stasi-IM, sondern seit 1979 auch für den KGB gearbeitet haben. Und Intendant Reiter habe sich ausgerechnet einen Ex-Stasi-Offizier als Sekretärin geholt. Ebenfalls als Täter kommen in den Akten der Gauck-Behörde nach Welt-Angaben MDR-Personalratsvorsitzender Wolfgang Leym und Literaturredakteur Michael Hametner vor. Die FAZ stellte bei ihren Recherchen fest, daß der MDR allein vom Sender Leipzig acht ehemalige Stasi-Zuträger übernommen hat: Genannt werden u.a. "Sonntagsraten"-Moderatorin Maria Dahms (IM "Julia"), MDR-Kulturredakteur Werner Köhler (IM "Werner"), Film-Experte Michael Zock (IM "Frank"), Toningenieur Dietmar Hagen (IM "Spatz" und der Volksmusikmoderator der Thüringer Landeswelle Horst Doberschütz (IM Wolfgang Barth). Sie wurden zwischen 1991 und 1996 überprüft und auf Beschluß des Personalausschusses weiterbeschäftigt.

Stimmen die Vorwürfe der Welt, dann hat der MDR selbst Mitarbeiter nicht entlassen, die es der Stasi ermöglichten, "mehrere Feinde der DDR zu inhaftieren". Während die Welt von bisher hundert Positivbescheiden durch die Gauck-Behörde spricht, hat der MDR bisher lediglich 76 Mitarbeiter als "belastet" angegeben. Welche Konsequenzen aus den jetzt anberaumten Überprüfungen gezogen werden, ist offen. Der MDR wird seinen zu treffenden Personalentscheidungen auch eine Aussage des Bundesverfassungsgerichtes berücksichtigen müssen. Das stellte 1997 fest, daß frühere Stasi-Spitzel "in der Regel nicht die Voraussetzungen für den Staatsdienst erfüllen". Vielleicht bekommt jetzt auch Barbara Große endlich Post von MDR-Chef. Die frühere Tontechnikern bei Radio DDR Sender Leipzig wurde in der DDR wegen "landesverräterischer Agententätigkeit" zu 30 Monaten Haft verurteilt, von denen sie die Hälfte absitzen mußte, ehe sie vom Westen freigekauft wurde. Zwei der Stasi-Spitzel, die zu ihrer Verurteilung beitrugen, landeten nach 1990 beim MDR und bestanden die Vergangenheitskontrolle problemlos. Auf die Frage Barbara Großes an Reiter, warum so viele ehemalige "Partei- und Stasi-Kader" beim MDR beschäftigt sind, ließ Reiter bis heute eine Antwort vermissen.


 
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