© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/01 09. Februar 2001

 
Ein epochaler Wandel
Das Zeitalter der Moderne ist endgültig vorbei
Alain Benoist

Mit dem Eintritt ins Jahr 2001 haben wir nicht nur das 20. Jahrhundert verlassen; noch sind wir lediglich in einem neuen Jahrtausend angekommen. Was uns erwartet, ist etwas viel Wichtigeres. Wir schicken uns an, dem Ende der Moderne beizuwohnen – jener enormen Umwälzung, deren Wurzeln mindestens bis zur Renaissance zurückreichen und die sich im Okzident seit dem 18. Jahrhundert herausbildete.

Was waren die bedeutenden Kennzeichen der Moderne? Wie sehen jene der postmodernen Zeiten aus, die von nun an den Rahmen unserer Geschichte bilden?

Auf der politischen Ebene zeichnete sich die Moderne durch die Gründung von Nationalstaaten aus. Vor allem anderen ging es dabei um Unabhängigkeit und um Einheit. Deutschland und Italien erreichten während dieser Periode ihre nationale Vereinigung. Frankreich verlieh dem Nationalgedanken mit der Revolution einen konkreten politischen Inhalt. Allerorten machten sich zentralistische – "jakobinische" – Tendenzen bemerkbar, die einen Bruch mit den pluralistischen Weltentwürfen des Feudalismus und des Imperialismus bedeuteten. Die vermittelnden Instanzen büßten Macht ein, je mehr der Bürger dem Staat von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat. Die politischen Parteien ihrerseits strebten nach der Staatsgewalt, dem wahren Zentrum des politischen Lebens, um ihre Programme zu verwirklichen.

Auf wirtschaftlicher Ebene löste die industrielle Revolution die massenhafte Entwurzelung der Landbevölkerung aus. In die Großstädte verpflanzt, bildete diese zunächst einmal das Proletariat. Dank des durch den Fordismus erreichten Kompromisses konnte sich der Großteil dieses Proletariat später zunehmend in eine sich immer weiter verbreitende Mittelklasse integrieren. Unter den verschiedenen Zweigen ökonomischer Aktivität kam der Großindustrie die wichtigste Rolle zu. Ihre Entwicklung bewirkte landwirtschaftliche Veränderungen und schwere Umweltschäden. Parallel dazu bildete sich auf der sozialen Ebene ein zunehmender Individualismus heraus. Die Einrichtung des Wohlfahrtstaates konnte zu einem gewissen Grad Ausgleich schaffen für die Auflösung organischer Solidaritätsstrukturen.

Ideologisch gesehen war die Moderne Schauplatz eines umfassenden Säkularisierungsprozesses. Die Religion wurde mehr und mehr auf die private Domäne der individuellen Weltanschauung zurückgeworfen. Gleichzeitig konkurrierten verschiedene Ideologien miteinander in ihren Anstrengungen, die Massen für neue Weltbilder zu gewinnen. Nachdem die Freiheit größtenteils errungen war, galten die Bestrebungen hauptsächlich der Forderung nach Gleichheit.

Die Postmoderne ist einer wachsenden Ohnmacht der Nationalstaaten geweiht. Die machthabenden Parteien müssen hilflos zuschauen, wie ihre Manövrierfähigkeit ständig abnimmt. Die Globalisierung – ein von Technologie und Kapital bestimmtes Phänomen – schafft Probleme, die die Nationen alleine nicht mehr bewältigen können. Diese Probleme machen kontinentale Lösungen erforderlich. Parallel dazu ist eine gewaltige Bewegung der "Rückkehr zum Lokalen" zu vermerken: Indem die Öffentlichkeit sich von der traditionellen politischen Klasse abwendet, erleben Regionalismus und Föderalismus einen neuen Aufschwung. Die Wirtschaft orientiert sich nicht länger an der klassischen Vorstellung von industrieller Produktion, sondern an Information. Wir treten in die Ära der "nicht-materiellen" Ökonomie ein. Der Dienstleistungsbereich (der "tertiäre Sektor") wächst unermüdlich. Technologien durchdringen mehr und mehr das Alltagsleben, während der biotechnologische Fortschritt die unmittelbar bevorstehende Manipulation menschlichen Lebens verheißt.

Im gesellschaftlichen Bereich ist die wachsende Macht von Gemeinschaften, "Stämmen" und Netzwerken zu beobachten. Der Individualismus der Moderne verliert an Bedeutung zugunsten von neuen Formen der Zusammengehörigkeit - flüchtiger, aber dafür vielgestaltig -, die aus improvisierten Wegen der gesellschaftlichen Bindung entstehen, manchmal aus der Entwurzelung selbst. Auf der ideologischen Ebene schließlich nimmt die Bedeutung der "großen Erzählungen" von Tag zu Tag ab. Statt dessen kommen kleine "Lokalgeschichten" zu Wort. Die abstrakten Theorien treten bescheidenen, konkreteren Anliegen den Rang ab. Die übermächtigen Institutionen haben sich überlebt und werden stillgelegt. Das Streben nach Gleichheit weicht mehr und mehr dem streben nach Identität.

Natürlich ist dieses Bild mit allzu groben Pinselstrichen gemalt. Einige Merkmale der Moderne bestehen selbstverständlich in der Postmoderne fort, aber sie spielen keine zentrale Rolle mehr. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß wir die Epoche der Staaten, der Völker und der Nationen hinter uns gelassen haben und in der Epoche der Kontinente, der Gemeinschaften und der Netzwerke angelangt sind. Ein solcher Wandel ist in seiner Bedeutung vergleichbar mit der neolithischen oder der industriellen Revolution. Er wirft viele Überlegungen und viele Strategien über den Haufen. Er zwingt uns, Ziele und Vorbilder neu zu überdenken. Die Welt hat sich verändert. Es ist Zeit, daraus die Konsequenzen zu ziehen.

 

Alain Benoist ist Chefredakteur der in Paris erscheinenden Kulturzeitschrift "Nouvelle Ecole"


 
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