© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/01 02. Februar 2001

 
Hermetisch
Kino: "Die Innere Sicherheit" von Christian Petzold
Ellen Kositza

Deutschland arbeitet mal wieder auf, und wo unter dem Terminus der "jüngeren Vergangenheit" zur Abwechslung derzeit die Jahre 1968ff. verstanden werden und der RAF-Terrorismus neu diskutiert wird, fügt sich dieser Film in den Rahmen des aktuellen Interesses. Denn Clara (Barbara Auer) und Hans (Richy Müller) waren dereinst Terroristen, befinden sich seit zwanzig Jahren auf der Flucht und ziehen im europäischen Ausland von Wohnung zu Wohnung. Stets bemüht, ihre wahre Identität bedeckt zu halten, führen sie mit ihrer heranwachsenden Tochter Jeanne (Julia Hummer) ein äußerst ungewöhnliches Familienleben. Außergewöhnlich verlief vor allem Jeannes Kindheit: Nie besuchte sie eine Schule, Freundschaften zu Gleichaltrigen kennt sie nicht, sogar kurze Gespräche mit freundlichen Fremden sind ihr untersagt. Mißtrauen gegenüber allen außerhalb der Familie ist der höchste Wert, nicht einen Tag in all diesen Jahren wähnte man sich sicher, und oft genug schon zeigte sich, daß die Suche nach den Terroristen nie aufgegeben wurde.

Der Verrat, die Enttarnung stehen dauernd vor der Tür, ohne daß je wirklich klar würde, wer es diesmal war, der die Lunte roch und wodurch, warum konkret die Familie überhaupt flieht und wie intensiv nach all den Jahren noch nach ihr gefahndet wird. Überhaupt gibt der Film sich wortkarg, und mehr als die ungewiß bleibende terroristische Vergangenheit ist es die pubertäre Entwicklung des Mädchens, die ihm als Motor dient: Kurz bevor es in ihrem portugiesischen Versteck brenzlig wird für die drei und sie das Land fluchtartig verlassen, um erstmals wieder in die deutsche Heimat einzureisen, verliebt Jeanne sich nämlich in den Jungen Heinrich. Der stellt sich dem Mädchen als Sohn aus wohlhabender Familie vor, die in Portugal ihr Feriendomizil habe. Es ist purer Zufall, daß Jeanne Heinrich ausgerechnet in der Stadt wiedertrifft, die nun der deutsche Fluchtort der Familie wird. Schnell stellt sich heraus, daß er ein anderer ist, als er vorgab zu sein – tatsächlich ist er ein Handwerkerlehrling, ein Waise, der in einem Jugendheim aufwächst. Während Jeanne nun heimliche Nächte bei ihrem Freund verbringt, drohen einmal mehr die (unklar bleibenden) finanziellen Quellen von Hans und Clara zu versagen. Jetzt, wo die Familie keine hermetische Einheit mehr bildet, wird die Lage heikler denn je, und das Geheimnis, das die Familie bislang zusammenschweißte, droht sie zu sprengen.

Den preisgekrönten Schlöndorff-Film "Die Stille nach dem Schuß" von vergangenem Jahr, obgleich dieser ein mehr zeitgeschichtliches Dokument darstellte, eint das Thema mit der Arbeit Petzolds: das Leben von Ex-Terroristen im Exil. Schlöndorffs Rückschau auf die Flucht einer Gruppe RAF-Terroristen in die Ostzone vermochte den Zuschauer von Anfang bis Ende zu fesseln, der "Inneren Sicherheit" gelingt das nicht. Man mag, wie es die großteils zufriedene Kritik tut, dem jüngeren Werk auch ein hohes Maß an Subtilität und stiller Intensität (zum Beispiel Carla, stumm rauchend) zugute halten – letztlich kann Reduktion, zu weit getrieben, auch schlicht langweilen. So begleitet die auf weite Strecken ereignisarme Filmhandlung bisweilen ein gleichgültiges "Na und?"

Einiges bleibt auch schlichtweg unklar und verwirrt. Etwa, warum Tochter Jeanne sich bedingt durch den Geldmangel in billige Lumpen kleiden muß, während Mutter Clara (mit der schnieken Barbara Auer ohnehin eine Fehlbesetzung) stets in elegantem Business-Dress und frisch frisiert auftritt. Alles in allem kein schlechter, jedoch ein unscheinbarer Film.


 
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