© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/01 02. Februar 2001

 
"Er hat einen echten Draht zum Volk"
USA: Präsident Bush entfacht mit seinen konservativen Entscheidungen den Zorn der Clinton-Anhänger
Matthew Richer

Im Jahre 1789 legte George Washington seine Hand auf die Familienbibel und wurde als erster Präsident der Vereinigten Staaten eingeschworen. In seiner Einführungsansprache hob Washington seine Kinderlosigkeit besonders hervor. Damals befürchteten die Amerikaner noch, die Präsidentschaft könnte sich in eine Monarchie verwandeln.

Genau 200 Jahre später legte George Bush seine Hand auf dieselbe Bibel, um sich als 41. Präsident einschwören zu lassen. In seiner Rede erwähnte er nicht einmal die Möglichkeit eines Erben. Inzwischen war die Angst vor einer Monarchie längst verflogen. So fiel nur wenigen Amerikanern die historische Ironie auf, der sie im vergangenen Monat beiwohnen konnten. Als George W. Bush am 20. Januar 2001 seinerseits die Hand auf die Washington-Bibel legte und seinen Amtseid leistete, stand sein Vater ihm nicht nur metaphorisch zur Seite. Ob wenigstens Washington selbst die Ironie zu schätzen gewußt hätte?

Auch der 43. US-amerikanische Präsident verschwendete kein Wort auf die Monarchie. Dennoch gelang ihm eine der mitreißendsten Amtseinführungsreden der Zeitgeschichte – ein erfrischender Gegensatz zu der ewigen Leier der Clinton-Ära: "Ich hatte nie Sex mit dieser Frau". Den Amerikanern sind Herausforderungen schon immer lieber gewesen als Wahlversprechen. So reihte auch Bush’ Ansprache eine Herausforderung an die nächste. Als "mitfühlender Konservativer", wie er sich selbst bezeichnet, beherrscht Bush glänzend die Kunst, von den Demokraten besetzte Begriffe in den Dienst republikanischer Ziele zu stellen. Er versprach, für seine "Überzeugungen mit Höflichkeit einzutreten, das Interesse der Öffentlichkeit mutig durchzusetzen, sich für mehr Gerechtigkeit und Mitgefühl stark zu machen, Verantwortungsbewußtsein zu verlangen und vorzuleben".

Bush gab dem demokratischen Konzept einer "mitfühlenden Regierung" einen neuen, konservativen Inhalt. Seiner Ansicht nach kann sich wahres Mitgefühl nicht in einem Regierungsprogramm ausdrücken: "Was Sie tun, ist genauso wichtig wie irgend etwas, das die Regierung tut. Ich fordere Sie auf, nach einem Gemeinwohl jenseits der eigenen Bequemlichkeit zu streben; notwendige Reformen gegen allzu einfache Angriffe zu verteidigen; Ihrer Nation zu dienen und dabei mit Ihrem Nachbarn anzufangen. Ich erwarte von Ihnen, daß sie Bürger sind. Bürger, nicht Zuschauer. Bürger, nicht Untertanen. Verantwortungsbewußte Bürger, die Dienstgemeinschaften aufbauen und eine Nation mit Charakter bilden."

Noch während der neue Präsident diese hehren Worte sprach, vandalisierten Clintons Mitarbeiter in einer letzten Amtshandlung das Weiße Haus. Der Schaden, den sie anrichteten, wird auf 250.000 Dollar geschätzt: Sie brachen die "W"-Taste aus sämtlichen Computertastaturen des Weißen Hauses, durchtrennten Telefon- und Computerkabel, klebten Aktenschränke zu, hinterließen anzügliche Nachrichten auf Anrufbeantwortern, verschmutzten Büros mit Müll, Graffiti und pornografischen Bildern. Bis jetzt haben Bill und Hillary Clinton es noch nicht für nötig befunden, sich für das Benehmen ihrer Mitarbeiter zu entschuldigen.

George W. Bush seinerseits sorgte in seiner ersten Amtswoche für eine ganz andere Kontroverse. Er unterband die staatliche Unterstützung jedweder Organisationen, die im Ausland Abtreibungen befürworten oder gar durchführen. Die Botschaft richtete sich sowohl an seine Landsleute als auch an die Menschen außerhalb der amerikanischen Staatsgrenzen: Mit Bush sitzt ein unerbittlicher Abtreibungsgegner im Weißen Haus.

Bush’s Erlaß erfolgte zeitgleich mit dem jährlichen Marsch der Lebensrechtler auf Washington. Der "March for Life" ist eine Protestkundgebung, die am Jahrestag des berüchtigten Roe versus Wade-Gerichtsentscheids stattfindet. 1973 entschied der Oberste Gerichtshof im Fall Roe versus Wade, daß Abtreibung ein "von der Verfassung gesichertes Grundrecht" sei. Dadurch wurde den einzelnen Bundesstaaten praktisch das Recht abgesprochen, Abtreibungsgesetze zu verabschieden.

"Wir sind sehr zufrieden", sagte Nellie May, die Leiterin des "March for Life". "Es ist ein toller erster Schritt, und wir hoffen, daß das nur der Anfang war." Als nächstes plant Präsident Bush ein Bundesgesetz zu unterzeichnen, das sogenannte partial birth abortions untersagt. Bei dieser umstrittenen Abtreibungsmethode (auch als D&X bezeichnet) wird ein Schlauch gewaltsam in den Kopf des Babys eingeführt, der sich noch in der Gebärmutter befindet. Der Schädelinhalt wird durch diesen Schlauch abgesogen, so daß der Kopf in sich zusammenfällt und die Leiche des Babys aus dem Uterus entfernt werden kann. Ein prominenter demokratischer Abtreibungsbefürworter bezeichnete die Prozedur als "zu nah am Kindermord". Zwei Drittel der US-Bürger lehnen laut einer Umfrage diese Methode ab. Ein solches Verbot hatte der Kongreß bereits verabschiedet, und zwar mit beträchtlicher Unterstützung der Demokraten. Präsident Clinton machte jedoch zweimal von seinem Vetorecht gegen das Gesetz Gebrauch. Bush hat jetzt versprochen, den Gesetzentwurf zu unterzeichnen, wenn der Kongreß ihn im im Laufe dieses Jahres erneut vorlegt. Die meisten Amerikaner stehen hinter dieser Maßnahme, selbst wenn sie andere Formen der Abtreibung befürworten. Trotzdem wird ein Verbot der partial birth abortion mit Sicherheit vor den Supreme Court gezerrt werden. Wie dieser entscheiden wird, ist noch unklar. Klar ist, daß erhebliche Streitigkeiten nicht ausbleiben können.

Der Streit hat sogar schon begonnen. Alle Welt verlacht George W. Bush inzwischen als globalen Frauenfeind, weil er sich gegen Abtreibungen einsetzt. Die Britische Gesellschaft für Familienplanung bezeichnete den Erlaß des neuen Präsidenten als "Attacke gegen die Frauengesundheit. Er ist ein Riesenschritt nach hinten und wird in den Entwicklungsländern weite Kreise ziehen." Die Bush-Regierung ist anderer Meinung. Den Frauen in Afrika ist mit unentgeldlichen Abtreibungen wenig geholfen, ihre Lebensqualität nachhaltig zu verbessern. Das Regierungsprogramm von Bush sieht dagegen vor, politische Reformen und die Herausbildung der freien Marktwirtschaft zu unterstützen, um so für einen erhöhten Lebensstandard in der dritten Welt zu sorgen. Unglücklicherweise widersetzen sich eben diese "Familienplanungs"-Organisationen mehrheitlich solchen Reformen.

Der vierjährigen Präsidentschaft George Bush seniors mangelte es an Durchsetzungskraft. Daß er keine klare innenpolitische Agenda hatte, trug entscheidend zu seiner Wahlniederlage gegen Clinton 1992 bei. Sein Nachfolger verwendete mehr Zeit auf seine eigenen (Privat-)Konflikte mit dem Gesetz als auf die Gesetzgebung; immerhin machte Clinton dabei einen energischen Eindruck. George W. Bush dagegen hat in seiner ersten Woche als Präsident tatsächlich eine Menge erreicht. Neben seinem Einsatz in Sachen Abtreibungsrecht annullierte er eine Reihe von Regelungen, die Clinton in letzter Minute erließ. Außerdem traf er sich mit mehreren demokratischen Schlüsselfiguren. Viele Demokraten haben ihm bereits Unterstützung bei Maßnahmen zur Steuersenkung und Bildungsreformen zugesagt.

"Sie dürfen Bush nicht unterschätzen", warnte Ex-Präsident Bill Clinton seine Mitarbeiter im Anschluß an ein privates Gespräch mit seinem Nachfolger. "Er hat einen echten Draht zum Volk." Alles spricht dafür, daß Bush diesen Draht auch zu anderen Ländern finden wird. Seine Botschaft individueller Verantwortung und größerer Möglichkeiten ist leicht verständlich und schwer zu ignorieren.

Matthew Richer lebt als freier Journalist in New York.


 
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