© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
Internet: Nicht nur die Online-Präsenz der "FAZ" ist anachronistisch
Tanker zwischen Schnellbooten
Jutta Winckler

Während anderswo hemdsärmelige dreißigjährige Jungfedern den Ton angeben, sollen im Frankfurter Hellerhof vierzigjährige Westenträger "langsam etwas verändern und das Blatt sacht modernisieren" (Frank Schirrmacher). Die elektronische Technokratie zählt ihre Generationen in biographischen Dekaden; die Halbwertzeit, das Verfallsdatum der Operateure nimmt rasant ab. Schlechte Zeiten für ein überlebtes Honoratiorenblatt vom Zuschnitt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Gesellschaftliche Akteure, deren kulturelles Analphabetentum weder sie selbst noch ihre Umwelt stört, tragen dem monistisch-ökonomistischen Geist der Zeit Rechnung. Man bestellt Frankfurter Allgemeine Zeitung, Zeit und Rheinischen Merkur ab. Entschlossen greift man zu Welt, Wirtschaftswoche, Capital und Handelsblatt. Spiegel, Stern und Focus sieht man zu Hause durch, ebenso den Playboy und das ADAC-Magazin. Soviel Printmedium muß sein, aber mehr würde stören. Trendsetter handeln schon heute so, in zehn, zwanzig, gar dreißig Jahren wird man die Gazettenlandschaft nicht wiedererkennen.

Um zu überleben, hat die FAZ ihrer englischen Internet-Ausgabe neuerdings eine deutschsprachige beigesellt. Die Macher der Papierausgabe dürfen nun, mit gewiß gemischten Gefühlen, hinüberschauen in die bläulich erleuchteten Büroräume der ebenfalls am Hellerhof angesiedelten Netzredaktion.

Jahrzehnte galt die FAZ als Flaggschiff der deutschen Presse, als staatstragende Niveausäule der veröffentlichten Meinung, als Institution der "vierten Gewalt", als Meinungsführerin in Politik, Kultur und Wirtschaft. Als Auflagenkrösus, der mit seiner vierhunderttausender Auflage nur die Süddeutsche Zeitung, das Unbayrischste an ganz Bayern, zu fürchten hatte. Keine Chefetage, keine Behörde, kein Institut, das die FAZ nicht abonniert hätte. Ihre Käufer schmeicheln sich selbst, denn der genialische Werbeslogan des kapitalen Blatts lautet seit Jahrzehnten: "Hinter dieser Zeitung steckt immer ein kluger Kopf."

Exakt diese Köpfe aber sind es, die neuerdings problematisch zu entarten scheinen. Die Informations- und damit Lese-Praktiken sind massiv im Wandel begriffen; gerade die besagten Klugschädel sind gezwungen, mit der Zeit zu gehen, soll ihr informationeller Vorsprung nicht baden gehen. Jüngst belegte eine Pressestudie in der renommierten Fachzeitschrift Werben und Verkaufen, daß im gehobenen Blätterwald nichts mehr ist, wie es noch vor wenigen Jahren war. Nackte Zahlen bringen es an den Tag: Die Untersuchung, welches Blatt die meisten Entscheidungsträger erreicht, ergab, daß das Düsseldorfer Handelsblatt mit 291.000 zu 278.000 soeben an der FAZ vorbeigezogen ist.

Nicht zuletzt dürfte den Frankfurtern hiermit die Rechnung für ihre aberwitzige Personalpolitik präsentiert werden. Als Folge eines überstürzten opportunistischen Redaktions-Revirements traten Niveau- und Kompetenzverlust ein; so glaubt das nahezu putschistisch im Blatt aufgetauchte Trüpplein der Schirrmacher-Günstlinge, seine spätpubertäre Rancune mittels einer Überschriften-Auswahl in die Welt bringen zu sollen, die sich offenbar dem Geist der Entenhäuser Mickymaus-Schule Walt Disneys verpflichtet weiß und auf diese Weise das im jeweiligen Artikel Dargebotene auf fatale Art ridikalisiert.

Nicht wenige Leser scheint dieses halbstark anmutende Durchironisieren der Weltläufte zur Abo-Kündigung veranlaßt zu haben. Etliche kluge Köpfe kehrten der Redaktion den Rücken oder wurden mehr oder weniger weggemobbt: Eckhard Fuhr, Jessen, Konrad Adam, Busche, Uthmann und Reißmüller, um bloß die besten Federn zu benennen, fehlen an allen Ecken und Enden. Der Ex-Wissenschaftschef Konrad Adam wechselte ebenso zur Berliner Welt wie sein Kollege (und vormaliger FAZ-Ressortleiter Innenpolitik) Eckhard Fuhr, der nun als Kultur-Chef des Springerschen Renommierblattes wirkt. Dem unter Mathias Döpfner eine erstaunliche Wandlung gelungen ist – vom moralinsauren Meinungsfutter zur unterbrechungslos positiven Yuppie-Zeitung! Nicht nur die Kultur ist buntbildig und von Focusartiger Kürze, überall gibt es Tips, Top- und Floplisten und Trend-Ansagen. Nichts für Leute, die es genau wissen wollen.

Die sind beim Handelsblatt bestens aufgehoben, der zweiten gefährlichen FAZ-Konkurrenz. Früher eine Institution Frankfurter Zuschnitts, stand sie doch für wirtschaftlich-politische Kompetenz, freilich auch für gußeisernen Stil. Neuerdings glänzt auch sie in Farbe, selbst auf Seite eins, ihre Texte sind gefälliger, kürzer, kommen hurtig auf den Punkt. Da kann es niemand wundern, wenn ein Jungredakteur vom Hellerhof in lautes Wehklagen ausbricht: "Man kommt sich vor wie ein Tanker, den rechts und links Schnellboote überholen! Während die Konkurrenz modernisiert, treten wir auf der Stelle und verlieren so an Boden." Und spricht hinter vorgehaltener Hand das Strukturproblem der FAZ an: "Wir haben fünf Herausgeber, jeder leitet sein eigenes Ressort. Welt und Handelsblatt werden von ihren Chefredakteuren auf Wirtschaft, Börse, Galerie und Lifestyle getrimmt. Das geht da voll ab. Wir haben schon Mühe, überhaupt neue Seiten einzuführen, insofern die sich nicht einem der fünf Ressorts zuordnen lassen. Die Innovation ’Schüler machen ihre Zeitung‘ hat auch schon zehn Jahre auf dem Buckel, die kommt doch altbacken daher. Die Fraktur auf dem Titel ist von vorvorgestern und muß weg." Selbst gegen Fotos auf dem Titel sperrt man sich im Hellerhof ...

Offenbar möchte die FAZ-Chefetage Kontinuitäten wahren, doch zurrt sie dabei bloß Formen fest, die zivilisatorisch rasant überholt werden. Opas Allwissenheits-Abo ist tot, schon Papa überflog einst bloß die ersten zwei FAZ-Seiten, um sich dann eingehend der Welt-Lektüre zu widmen. Und sonntags gab’s ja bloß die. Insider unken, daß der Wirtschaftsteil der FAZ erweitert wurde, um mehr Raum für die überbordenden Anzeigenaufträge zu schaffen; der spezielle Finanzteil scheint gegenüber der Konkurrenz aus Berlin und Düsseldorf nach wie vor schwachbrüstig. Die Neuformierung des vormals berühmten, mittlerweile eher berüchtigten Kulturteils wurde von Schöngeist Schirrmacher unter das Motto gestellt: Weg vom Rezensionsfeuilleton!

An der Spree kann man nur breit über solche Vorgaben grinsen: Denn werden nicht längst mehr Buchbesprechungen als Bücher gelesen? Womöglich wären knappe englisch-deutsche summaries der Endlos-Artikel in der FAZ und der Zeit eine gute Geschäftsidee. Dann sollten sich auch einige Kleinunternehmer finden, um derlei ins Netz zu stellen. Denn vor dem Bildschirm sitzt nicht selten ein kluger Kopf.


 
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