© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
Der Minister und der Terrorist
Eine Aufführung in zwei Akten: Im eiskalten Frankfurt kam es erneut zu einer gefährlichen Begegnung zwischen Joseph Fischer und Hans-Joachim Klein
Werner Olles

Es gibt Begegnungen, die so gefährlich sind, daß man sich wünscht, sie hätten nie stattgefunden. Eine solche war die zwischen Joseph Fischer und Hans-Joachim Klein Anfang der siebziger Jahre in Frankfurt am Main. Hier, in diesem Klima des revolutionären Habitus linksradikaler Normen und Verhaltensmuster hatten sich zwei gesucht und gefunden, die fortan Schulter an Schulter im Straßenkampf gegen den verhaßten "Bullenstaat" standen. Gut dreißig Jahre später sollten sich die Wege der beiden einstigen Genossen der linksextremistischen SDS-Nachfolgeorganisation Revolutionärer Kampf (RK), einer Spätgeburt der APO, in Frankfurt am Main noch einmal kreuzen. Der eine, Hans-Joachim Klein, stand vor Gericht wegen seiner Beteiligung an dem terroristischen Überfall im Dezember 1975 auf die Opec in Wien, bei dem das Kommando der Revolutionären Zellen (RZ), zu dem Klein gehörte, drei Menschen ermordete. Der andere, Joseph Martin Fischer, ist zur Zeit Außenminister der Bundesrepublik Deutschland.

Trotz der klirrenden Kälte am Morgen des 16. Januar waren der Andrang der Neugierigen und das Blitzlichtgewitter der Fotografen enorm, als der Bundesaußenminister mit einem freundlichen, aber knappen Lächeln seiner gepanzerten Dienstkarosse entstieg. Fragen von Reportern wehrte er kurzerhand ab. Immerhin hätte er gar nicht nach Frankfurt kommen müssen, um seine Aussage zu machen. Daß er dies doch getan hat, zeigt auch, daß er offenbar großen Wert darauf legte, noch einmal vor aller Öffentlichkeit die Werte der sogenannten Achtundsechziger-Generation zu beschwören. Daß sie das genaue Spiegelbild jener Bundesrepublik der sechziger Jahre waren, macht sie zwar noch im nachhinein zu einer Karikatur ihrer selbst. Genausowenig scheint den Außenminister und seine politischen und medialen Epigonen zu tangieren, daß diese Werte bis heute auf einer Lebenslüge basieren, die auch Fischers Lebenslüge ist. In einem Leserbrief in der FAZ hat Bernd Rabehl einen Tag vor Fischers Vernehmung diese "Werte" sehr deutlich als "Gewalt, Illegalität, Inszenierungen, Männlichkeitswahn, Lüge und Agitation" beschrieben. So konkret hat bis jetzt noch niemand die Mythen von ’68 auseinandergenommen und entzaubert.

In der "Sponti"-Szene träumte man hingegen von der Revolution und von den ganz anderen Lebensverhältnissen. Daß die Bundesrepublik sich inzwischen längst liberalisiert und Abschied von gestern genommen hatte, scheint zumindest einer der beiden alten "Freunde" heute kapiert zu haben. Es spricht wenig dafür, daß dies Joseph Fischer ist, der an seiner Lebenslüge hängt wie ein Alkoholiker an der Flasche oder ein Junkie an der Nadel. Das Kind im Mann will eben nicht nur spielen, sondern dies in alle Ewigkeit tun: Man sei "aus guten Gründen auf die Straße gegangen", erzählt er in den Interviews und sucht damit seine Vergangenheit ins Erträgliche zu korrigieren. Ins Mythische überhöht sprach er vor Gericht davon, 1968 sei eine "Freiheitsrevolte" gewesen und die damaligen Protagonisten "Unterdrückte und Revolutionäre". Erklären solche Lebenslügen, dieses sklerotisches Denken das Phänomen "Fischer"?

Vor dem Frankfurter Landgericht gab sich der Zeuge Fischer am 16. Januar konziliant und korrekt. Dem Angeklagten schenkte er ein aufmunterndes Lächeln, das den angeschlagen und gebrochen wirkenden Klein für kurze Zeit sichtlich aufblühen ließ. Was mag in seinem Kopf vorgegangen sein, als er nach einem Vierteljahrhundert den alten Kampfgenossen wiedersah? Ob ihn Fischer vielleicht mit bei Hofe genommen hätte, als Chauffeur oder persönlichen Leibwächter? Während der jene Geschichten aus der Frankfurter Kampfzeit zum besten gab, die inzwischen ohnehin alle kennen, suchte Klein immer wieder den Blickkontakt mit ihm. Aber der Außenminister war längst einmal mehr bei der Stilisierung seiner Vergangenheit, die die Mehrzahl der damals Dabeigewesenen immer noch als Mystifizierung von Vorgängen goutiert, an denen man irgendwie teilgenommen hat, anstatt sie endlich als Erstürmung weit offenstehender Türen zu begreifen.

Die Verklärung der Sache wurde so zur Sache selbst: Natürlich habe man sich mit der Polizei geprügelt, und Steine seien auch geflogen, aber nie habe er Brandsätze geworfen oder andere dazu angestiftet. Das hatte der ehemalige SDS-Funktionär und RK-Genosse Udo Riechmann offenbar noch ganz anders in Erinnerung. Im Mai 1998 gab er gegenüber Christian Schmidt, dem Autor von "Wir sind die Wahnsinnigen", eine eidesstattliche Versicherung ab, nach der Fischer sehr wohl am 9. Mai 1976, dem Vorabend der sogenannten Meinhof-Demonstration, die Verwendung von Molotow-Cocktails befürwortet habe. Im Verlauf der Demonstration erlitt der Polizeibeamte Jürgen Weber durch einen von einem bislang Unbekannten geworfenen Brandsatz lebensgefährliche Verbrennungen. Jetzt hat Riechmann diese "eidesstattliche Versicherung" zwar als "nicht autorisiert" bezeichnet und ihre Verwendung untersagt, aus der Welt ist sie damit aber noch lange nicht.

Als "völligen Quatsch" bezeichnete Fischer auch die Aussage des in Paris einsitzenden Top-Terroristen Carlos, seine Gruppe, die "Revolutionären Zellen", habe Anfang der siebziger Jahre Waffen und Sprengstoff in der Wohnung Fischers und Cohn-Bendits gelagert. Diese von Carlos via Sunday Times zum wiederholten Male gemachte Aussage hatte auch Daniel Cohn-Bendit während seiner Zeugenaussage im Prozeß gegen Klein und Schindler "Unsinn" genannt. Gleichwohl erschien 1983 nach dem Karry-Mord im von Cohn-Bendit redigierten Pflasterstrand das zynische Bekennerschreiben der RZ, in dem es hieß, man habe den hessischen Wirtschaftsminister eigentlich nicht töten, sondern dem "Türaufmacher des Kapitals" nur eine "Denkpause" verschaffen wollen. Ungeklärt blieb auch diesmal jene Merkwürdigkeit um Fischers Auto und den Transport der Sportpistole, mit der Karry erschossen wurde. Und unwidersprochen die Behauptung des Vorsitzenden der hessischen FDP-Landtagsfraktion, Jörg-Uwe Hahn, Fischer habe auch Kontakt zu den Revolutionären Zellen gehabt. Der Zeuge wunderte sich offenbar selbst, daß er danach nicht gefragt wurde, aber der Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke bestand von vornherein darauf, daß Staatsanwalt Volker Rath als Vertreter der Anklage nur "prozeßbezogene Fragen" stellen durfte. So kam es auch nicht zu Fragen nach dem Molotow-Cocktail-Angriff auf den Polizeibeamten Weber. Allerdings kommt Fischer in diesem immer noch ungeklärten Mordermittlungsverfahren laut Frankfurter Staatsanwaltschaft erneut als Zeuge in Betracht.

Am Ende seiner Anhörung verabschiedete sich Fischer mit einem Händedruck und einem gütigen Lächeln von Klein, der ihm lange nachblickte. Draußen gab es Beifall und Buhrufe, und die Luft war immer noch eiskalt. Die zweite gefährliche Begegnung von Fischer und Klein hatte keinerlei neue Erkenntnisse gebracht. Die Tabuisierung der Zusammenhänge zwischen jener "Faszination an revolutionärer Gewalt", die Fischer eingestanden hatte, und den daraus entstandenen Formen des offenen Terrorismus war dem Zeugen meisterhaft gelungen.

Zweiter Akt: Daß die "aktuelle Stunde zur Joseph Fischers Vergangenheit in der Frankfurter Szene" am 17. Januar im Deutschen Bundestag zu einem Fiasko für alle Beteiligten – sieht man einmal von Joseph F. ab – werden würde, stand eigentlich schon vorher fest. Als fleischgewordene Repräsentanz des Staates Bundesrepublik Deutschland führte er die vor Harmlosig- und Biederkeit strotzende Opposition aus CDU/CSU und FDP am Nasenring durch drei Jahrzehnte deutscher Nachkriegsgeschichte. Geradezu glänzend seine bis in die kleinsten Nuancierungen ausgespielte Zerknirschung; genial auch, mit welch demonstrativer Nichtbeachtung er seine Fraktionskollegin Buntenbach abfertigte und damit ausdrückte, daß ihm durchaus bewußt ist, was für veritable Schwachköpfe sich auch in seiner eigenen Partei tummeln.

Nicht einmal die Aufforderung an die "Genossen im Untergrund", die "Bomben wegzuschmeißen und wieder zu den Steinen zu greifen", die ihm von Unionsabgeordneten vorgehalten wurden, vermochte ihn aus der Ruhe zu bringen. Und der Union kam es natürlich nicht in den Sinn, daraus das logische Resümee zu ziehen, daß auch die mäßigenden Akte der Revolution ihre Prinzipien nicht ändern, und ihm damit wenigstens ein bischen den Schneid abzukaufen.

Gefragt wurde Fischer zum Beispiel nicht nach dem Hintergrund des Fotos vom 27. Mai 1969, auf dem zu sehen ist, wie er durch eine zerschlagene Glastür in das Rektorat der Frankfurter Universität eindringt. Anschließend brachen die Besetzer Aktenschränke auf und entnahmen Dokumente. Nach reichlichem Genuß der zur Bewirtung von Gästen vorgesehenen Alkoholika übergaben sich einige der Besetzer auf den Teppich, was die Frankfurter Rundschau zu der Schlagzeile veranlaßte: "Ein Rektorat vollzukotzen ist kein revolutionärer Akt". Nach diesem Vandalismus entzog ein erheblicher Teil der Sympathisanten dem SDS seine Unterstützung.

Irgendwann hatte Fischer offenbar genug, drehte den Spieß einfach um und befragte sich selbst. Das hätte durchaus ins Auge gehen können, als er zum Beispiel mit gespielter Empörung die von niemandem gestellte Frage zurückwies, ob er Ende der sechziger Jahre in einem palästinensischen Ausbildungscamp gewesen sei: "Was denn noch alles?" Tatsächlich reisten im Juli 1969 rund 20 SDS-Mitglieder aus Frankfurt, Heidelberg und Aachen auf Einladung von "El Fatah" und der "Demokratischen Volksfront für die Befreiung Palästinas" über Kairo nach Jordanien. Zu den Frankfurtern gehörten neben anderen der damalige Vorsitzende der SDS-Hochschulgruppe, Burkhard Bluem, und der Soziologiestudent Detlef Claussen. In Kampfuniformen trainierten die SDSler in einem an der syrischen Grenze nahe Derra gelegenen versteckten Lager der "Fatah" gemeinsam mit IRA-Terroristen mit dem Schnellfeuergewehr Kalaschnikow. Der Aufenthalt in Jordanien, Syrien und dem Libanon, der neben einer paramilitärischen Kurzausbildung auch Führungen und Besichtigungen beinhaltete, erstreckte sich über mehrere Wochen. Nachdem sowohl die Zeit als auch die Süddeutsche Zeitung Mitte August 1969 darüber berichtet hatten, sah sich der SDS-Bundesvorstand genötigt, eine gewundene Erkärung abzugeben. Einerseits sollte die Sache "nicht an die große Glocke gehängt werden" (Udo Riechmann), andererseits kritisierte man die zum "Studium des palästinensischen Revolutionsmodells" offenbar notwendigen "Geheimhaltungserfordernisse". Ob Fischer nun damals dabei war oder nicht – so abwegig, wie er es hinstellte, wäre eine solche Frage keinesfalls gewesen.

Und natürlich war er auch niemals "Herbergsvater" für steckbrieflich gesuchte RAF-Terroristen. Allerdings erinnert das ehemalige RAF-Mitglied Margit Schiller dies etwas anders, wie Focus in der jüngsten Ausgabe dokumentiert. Danach war die Terroristin 1973 einige Tage Gast in Fischers Wohnung. Aber welcher Unionspolitiker macht sich schon die Mühe, in den Autobiographien unserer "Freiheitskämpfer" zu blättern?

So sahen sie alle schwach aus neben dem gewieften und in Hunderten Straßenschlachten, Sponti- und Grünenversammlungen gestählten Joseph Fischer. Angela Merkel, jene Verkörperung der Rückkehr des deutschen protestantischen Pfarrhauses in die Politik, konnte nicht einmal mit ihrer entwaffnenden Naivität hier etwas erreichen, und Kanzler Schröder, dessen neureich-postproletarische Attitüde und Politik nach dem "Schweinchen Schlau-Prinzip" dem Außenminister inzwischen sichtlich peinlich ist, erhob sich gar zu einer Verteidigungsrede seines Vize, die jener gar nicht bedurft hätte.

Die eigentliche Tragik liegt jedoch darin, daß es dem klugen Taktiker Fischer ohne größere intellektuelle Anstrengung gelang, die Opposition zur Verteidigung ihrer eigenen politisch-historischen Kontinuität zu zwingen. Anstatt strategisch die notwendige Zerstörung der Legitimität von ’68 vorzubereiten und Fischer damit den Teppich unter den Füßen wegzuziehen, ließ sich die Union auf dieses leicht durchschaubare Spiel ein, das sie sie nur verlieren konnte.


 
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