© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
Wasser und Lebensmittel aus der Heimat
Griechenland: Wachsende Sorgen wegen Uran-Munition und zerstörter serbischer Chemiefabriken
Gregor M. Manousakis

Ich will wissen, warum ich sterbe" – so lautet der letzte Eintrag im Tagebuch von Salvatore Carbonaro, bevor der 24jährige als sechster italienischer Soldat, der in Bosnien gedient hatte, im vergangenen November an Leukämie starb. Aber erst Ende Dezember teilte der italienische Verteidigungsminister Sergio Mattarella mit, er wolle das "Balkansyndrom" untersuchen. Seither attackiert der 59jährige von der linkskatholischen Volkspartei die Nato-Stäbe wegen des Einsatzes von Uran-Munition bei Angriffen auf Rest-Jugoslawien. Vergangenen Donnerstag wurde der Tod eines achten italienischen Soldaten bekannt: Der 41jährige, der in Bosnien diente, starb – ebenfalls vergangenen November – an Magenkrebs.

Die Uran-Munition gehört seit den neunziger Jahren zur Standardausrüstung der Nato-Armeen. Seit Mitte der neunziger Jahre waren die eventuellen Folgen der Verwendung dieser Munition im Irak bekannt. Vor allem humanitäre US-Organisationen, deren Mitglieder sich monatelang aufopfernd im Irak aufhielten, haben über Leukämie, Krebs und Mißbildungen Neugeborener berichtet. Sie brachten dies in Zusammenhang mit der Uran-Munition und bezichtigten die eigene Regierung des langsamen Völkermordes an den Irakis. Doch nur selten wurde über das Geschehen im Irak berichtet. Und niemand war bereit, sich mit Washington anzulegen; zumal die USA sich durch Sandy Berger – den Sicherheitsberater Bill Clintons – brüsteten, daß die Blockade gegen den Irak "was ihre Härte betrifft, in der gesamten Weltgeschichte einmalig ist".

Die Todesfälle in Italien haben jetzt in Griechenland eine erneute Diskussion über den Nato-Angriff auf Jugoslawien ausgelöst: Der damalige griechische Außenminister Theodoros G. Pangalos hat am 10. Januar diesen Jahres dem Athener Parlament mitgeteilt, daß er 48 Stunden vor dem Beginn der Bombardierung Jugoslawiens einen mit Präsident Milosevic ausgearbeiteten Plan der US-Außenministerin Madeleine Albright vorgelegt hatte, der die Bombardierung überflüssig gemacht hätte. Albright antwortete ihm damals: "Der Präsident hat bereits die Bombardierung beschlossen. Laß es sein. Du störst!"

Die Gemütslage Griechenlands war in der Tat schon damals eine andere: Seit Mitte der neunziger Jahre sind die Auswirkungen des "Wüstensturmes" und des Embargos gegen den Irak für den Gesundheitszustand des irakischen Volkes ein Dauerthema in den griechischen Medien. Schon während der Bombardierung Jugoslawiens 1999 war in der Presse viel über die späteren Folgen der "humanitären Aktion" für die Umwelt des gesamten südosteuropäischen Raumes die Rede.

Besonders anstößig wurde schon damals der Umstand empfunden, daß die Nato mit besonderem Nachdruck notdürftige Lager auf freiem Feld bombardierte, in welchen die Jugoslawen versucht hatten, die Rohstoffe der Chemiewerke in Pancevo, einem Ort östlich von Belgrad, weit von ihrer Hauptstadt zu wegzubringen. Seitdem ist die Natur in Pancevo und dort, wo die Lager der Chemikalien getroffen wurden, biologisch tot. Daher steht heute die Regierung von Konstantin Simitis, dem Mitgründer der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK), unter der Anklage der Medien. Der seit 1996 regierende Premier habe leichtfertig die "humanitäre Aktion" der Nato gegen ein benachbartes Land – wenn auch widerwillig – unterstützt, obwohl die Folgen der vergleichbaren Aktion "Wüstensturm" im Irak bekannt waren.

Griechische Wissenschaftler waren schon im Juni 1999 in Jugoslawien und im Amselfeld (Kosovo) und haben Messungen vorgenommen. Schon damals haben sie nur im Kosovo besorgniserregende radioaktive Strahlungen gemessen. Dazu haben sie die Folgen der Zerstörung der Chemiewerke und Raffinerien für die Umwelt unterstrichen. Seitdem werden monatlich Messungen der Atmosphäre und des Trinkwassers in Nordgriechenland vorgenommen.

Am Pranger steht jetzt vor allem Verteidigungsminister Apostolos Tsochatzopoulos. Er mußte zugeben, die griechische Marine habe selbst 40.000 uranhaltige Granaten bei Manövern in der Ägäis verschossen. Trotzdem "beruhigt" er: Die Granaten seien auf keinen harten Gegenstand gestoßen, folglich lägen sie ungefährlich auf dem Meeresgrund; für die nächsten 4,5 Millionen Jahre, hält ihm die Presse hämisch vor ... Nachdem es sich herausgestellt hat, daß auch griechische Panzer solche Munition auf Übungsplätzen in Zentralgriechenland verschießen, ist ihm nichts mehr eingefallen. Immerhin hat er, als erster Nato-Minister, die sichere Lagerung der uranhaltigen Munition befohlen. Zu seiner Entlastung führt er aus, Griechenland habe als erstes Nato-Land bereits im April 2000 Messungen in Urasevac, dem Einsatzgebiet des griechischen Kontingents im Süden des Kosovo, durchgeführt; außerdem würden die 1.550 griechischen Soldaten von Anfang an mit Wasser und Lebensmitteln ausschließlich aus Griechenland versorgt. Dies ist wahr; folglich, antwortet ihm die Presse, wußte er schon lange Bescheid ...

Gerade in diesen Tagen ist von einem deutschen Verlag ein Bildband veröffentlicht worden, der Bilder von irakischen Kindern zeigt. Den Bildband sollte nur aufschlagen, wer starke Nerven hat. Diese Bilder wird Europa im eigenen Haus spätestens in fünf Jahren bekommen. Das betonen mit Nachdruck alle griechischen Wissenschaftler, die seit dem Sommer 1999 Jugoslawien besucht und dort Messungen vorgenommen haben. Auf Jugoslawien wurden insgesamt 53.500 uranhaltige Geschosse abgefeuert, wie Belgrad offiziell behauptet, auch wenn die Nato zunächst 11.000, später 31.000 zugab. Das entspricht 15,53 Tonnen Uran. Trotzdem geht es wohl nicht nur um die Folgen der uranhaltigen Munition, deren Partikel im Staub und in der Luft Südosteuropas schwirren.

Die Umweltbelastungen durch die absurde Bombardierung von Chemiewerken und -lagern sind mindestens ebenso schlimm. Die relative Häufigkeit von schweren Erkrankungen italienischer Soldaten, die in Bosnien gedient haben, ist nach jugoslawischen Angaben darauf zurückzuführen, daß in ihrem Einsatzort 1995 ein Chemiewerk bombardiert wurde.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen