© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
PRO&CONTRA
Soll Außenminister Fischer zurücktreten?
Boris Rhein / Alexander von Stahl

Der Rücktritt Joseph Martin Fischers vom Amt des Bundesaußenministers und Vizekanzlers ist unabdingbar. Für seine Entlassung durch den Bundeskanzler und den Bundespräsidenten nach Art. 64 des Grundgesetzes ist es hohe Zeit.

Wer gewalttätige Angriffe gegen Polizeibeamte unternimmt, diese mit Steinen oder anderen, noch gefährlicheren Waffen bewirft und auf am Boden liegende Beamte eintritt und einprügelt, der gehört nicht in die politische Landschaft der Bundesrepublik und schon gar nicht an den Kabinettstisch der Bundesregierung. Es ist zweifellos ein einmaliger Vorgang in dieser Republik, daß der Stellvertreter des Bundeskanzlers als Zeuge in einem Terroristenprozeß vernommen wird und daß ein Angehöriger der rücksichtslosesten und brutalsten Terrororganisation, die die Bundesrepublik je erlebt hat, vor einem Gericht aussagt, sein politisches Vorbild sei sein Freund, der heutige Bundesminister Fischer gewesen.

Das Fortschleichen Fischers aus der Verantwortung darf nicht zugelassen werden. Es ist unglaubwürdig, daß ein Gewalttäter, der in den Wäldern des Taunus in wehrsportgruppenartigen Camps den Straßenkampf trainiert, "Pflastersteine nur in die Luft geworfen" haben will, und es ist ein Wegstehlen aus der Verantwortung, wenn Fischer Wert darauf legt, keine Molotow-Cocktails geworfen zu haben. Die Frage ist vielmehr, ob er der Täter hinter dem Täter, der mittelbare Täter war und den Boden für diese Exzesse bereitet hat. Ebensowenig darf zugelassen werden, daß Fischer seine Gewalttaten durch eine verzerrte Spiegelung der tatsächlichen Gegebenheiten der Bundesrepublik in jener Zeit rechtfertigt, denn es war die Republik der Bundeskanzler Schmidt und Brandt, unter dessen Porträt Fischer in seinem Berliner Büro gerne die Pose des großen Staatsmannes übt.

Deutschland braucht keinen Vizekanzler, der noch 1985 von der "tollen Atmosphäre" schrieb, in der es "die Faszination der Gewalt gab, also das Erfolgserlebnis, einen Polizisten im Zweikampf aus den Socken zu heben".

 

Boris Rhein ist Landtagsabgeordneter der CDU in Hessen, vertritt dort seinen Wahlkreis Frankfurt/Main III.

 

 

Zwischen BSE und Samenraub, zwischen Uranmunition und der frisch erblühenden adligen Liebe unseres Verteidigungsministers wird medial die unrühmliche Politrockervergangenheit unseres Vizekanzlers und Außenministers aufbereitet und ausgeschlachtet. Es handelt sich um die übliche Sau, die zur Belustigung pünktlich alle drei Wochen durchs deutsche Dorf getrieben wird. Das, was Fischer jetzt vorgeworfen wird, ist längst bekannt und ist von Fischer nie geleugnet worden. Für eine Rücktrittsforderung bietet die nachträgliche fernsehgerechte Bebilderung verjährter Untaten jedoch keinen hinreichenden Grund. Nicht Aufgeregtheit, sondern Schadenfreude darüber, daß der Joschka von seiner pseudorevolutionären Vergangenheit eingeholt worden ist, scheint mir die richtige Reaktion zu sein.

Dieses Thema hätte eigentlich in den Wahlkampf gehört, genauso wie das Vorleben des vorbestraften Ströbele, der jetzt im Untersuchungsausschuß den Saubermann mimt, oder das Vorleben des Bundeskanzlers Schröder und seines Innenministers Schily. Beide Herren waren Wahlverteidiger von Terroristen – Schily von Ensslin, Schröder von Mahler. Kein Terrorist hat seinerzeit einen Wahlverteidiger akzeptiert, bei dem er nicht mit Sicherheit von einer gleichgelagerten Gesinnung ausgehen konnte.

Aber unsere Oppositionsparteien greifen ja nicht an. Sie beschäftigen sich lieber mit sich selbst. Ihnen fehlt der Wille zur Konfrontation. Sie unterliegen selbst dem Mythos, daß die ’68er Bewegung ein positiv befreiendes Element in der deutschen Geschichte war. Vielleicht bietet das "Fischer-Revival" doch noch die Chance zu einer anderen Beurteilung dieser Zeit. Sie war in Wahrheit von Massenhysterie geprägt und hat in der Bundesrepublik eine Wiedertäuferatmosphäre der politischen Korrektheit und ein nationales Flagellantentum hervorgebracht, unter dem wir noch heute zu leiden haben.

 

Alexander von Stahl ist Rechtsanwalt, FDP-Mitglied und war von 1990 bis 1993 Generalbundesanwalt.


 
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