© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
Der Verlag sollte brennen
Die "Welt"-Debatte aus der Sicht eines langjährigen Springer-Journalisten
Carl Gustaf Ströhm

Wenn der Vater mit dem Sohn in Einklang lebt, wird das Land vor Katastrophen bewahrt bleiben." Falls dieser Ausspruch des alten Konfuzius stimmen sollte, könnte Deutschland – ungeachtet seines Wohlstandes und Wohllebens – einer Katastrophe entgegenschlittern. Es gibt nämlich kaum ein Land, in welchem der "Einklang" mit den Vätern und Großvätern derart gestört und zerstört ist wie in der heutigen Bundesrepublik.

Der Fall des Joseph Martin Fischer, den die Neue Zürcher Zeitung schlichtweg als "Gewalttäter" bezeichnet, hat vieles aufbrechen lassen, und zwar auch jenseits der großen Politik. So rieben sich manche Leser der Welt ihre Augen, als sie in dem einst als konservativ geltenden Flaggschiff des Axel-Springer-Konzerns nicht nur eine Verherrlichung der ’68er-Revolte und eine Rechtfertigung des "Gewalttäters" Fischers, sondern darüber hinaus eine scharfe Verdammung des Konzerns und seines verstorbenen Verlegers Axel Springer zu lesen bekamen. Springer, sein Verlag und folglich auch die Welt seien schuldig oder mitschuldig an der ’68er-Revolte. Sie hätten damals die "Gewalt" angeheizt. Fischer und Co. standen in der Interpretation der Welt plötzlich als Opfer jenes Axel Springer da, dessen Name in Leuchtschrift über dem Berliner Verlags-Hochhaus prangt.

Dem Autor dieses Artikels, dem Bänkelsänger und Ex-Edelbolschewiken Wolf Biermann, kann man nicht einmal übelnehmen, daß er diesen Standpunkt vertritt. Das entspricht dem verqueren Weltbild eines Mannes, der aus der Bundesrepublik der fünfziger Jahre in den DDR-Sozialismus flüchtete (eine Tat, die für alles sprechen mag – nur nicht für übermäßige Intelligenz), um dann, "ausgespuckt" von eben dieser DDR, wieder im verschmähten Westdeutschland zu landen. Die Honorare in harter kapitalistischer D-Mark haben ihm offensichtlich nicht gestunken. Aber das Problem ist nicht der (von der geschichtlichen Entwicklung dementierte) Bänkelsänger. Das Problem ist vielmehr, daß die verantwortlichen Redakteure einer immer noch als seriös geltenden Tageszeitung nichts dabei finden, sich ins eigene Bein zu schießen und den Gründer ihres Verlages noch über das Grab hinaus mit Unflat zu bewerfen.

Den nachgewachsenen Springer-Redakteuren bedeutet die Tradition des Hauses, bei dem sie in Brot stehen, offenbar nichts. Sie sind Produkte der allgemeinen Geschichtslosigkeit, der Beliebigkeit einer "Spaßgesellschaft", in welcher im Namen eines angeblichen Pluralismus alles, was nicht von links kommt, zur Disposition steht. Da verkauft man, wenn es sein muß, auch noch den alten Springer in seinem Grab.

Aber damit ist die Tragödie (oder sollte man sagen: Tragikomödie?) nicht zu Ende. An der Spitze des Hauses Springer gibt es noch lebende Zeugen der Jahre nach 1968, als der Verlag und seine Zeitungen terrorisiert und belagert wurden, als es bei Bomben- und Brandanschlägen mehrere Schwerverletzte unter den Mitarbeitern – den Druckern und Setzern – gab. Damals demonstrierten gewaltbereite Gesinnungsfeunde des heutigen Außenministers unter der Parole "Enteignet Springer!" – oder, noch deutlicher: "Springer muß brennen". In der Tat brannten dann auch mehrere Häuser und Anwesen des Verlegers. Sogar Mitarbeiter in keineswegs führenden Positionen wurden aufgefordert, morgens aus Sicherheitsgründen häufiger den Weg zur Arbeit zu wechseln – und am Eingang des Verlages wurden Hand- und Aktentaschen auf Bomben kontrolliert.

Es ist symptomatisch für den heutigen Zustand des "bürgerlichen" Deutschland, daß von den noch lebenden engen Mitarbeitern und Freunden Axel Springers keiner es für opportun hielt, die Frage nach der Verantwortung für die Publikation eines solchen "Rohrkrepierers" überhaupt zu stellen. Zwar erhielt Herbert Kremp Gelegenheit zu einer deutlichen Antwort – aber er wurde den Lesern als "Chefredakteur a.D." vorgestellt. Die Redaktion selber und die Verlagsspitze hielten sich bedeckt. Die "Unschuld" kann man aber nur einmal verlieren – wenn das einmal geschehen ist, ist alles möglich.

Man sollte jetzt die Frage stellen, wie es möglich war, daß die einst (zu Lebzeiten des Verlegers) konservativ-bürgerliche Welt die Flagge gewechselt hat. Seit dem Abgang Kremps als Chefredakteur kurz nach Axel Springers Tod bedeutete jeder Wechsel in der Chefredaktion eine weitere Anpassung nach links. Offenbar war das beabsichtigt. Die Folgen aber werden erst jetzt sichtbar: mit dem Linksruck des Springer-Konzerns verschob sich die gesamte deutsche Presselandschaft gleichfalls nach links – einschließlich der FAZ. Offenbar war der oft geschmähte "große Axel" so etwas wie ein Eckpfeiler – als er fiel, stürzten auch die anderen Dominosteine einer bürgerlich-konservativen Publizistik. Damit gibt es unter den deutschen Tageszeitungen keine Gegenpositionen mehr gegen die jetzt um sich greifende Geschichtsmanipulation, welche die Bundesrepublik vor 1968 als "reaktionär" und zumindest "halbfaschistisch" abqualifiziert. Wenn diese Legende sich durchsetzen sollte, hätte Außenminister Fischer jedes Recht, das Dreinschlagen auf Polizisten als Heldentat zu feiern.

 

Dr. Carl Gustaf Ströhm war 27 Jahre lang leitender Redakteur, Autor und Osteuropa-Korrespondent der Tageszeitung Die Welt.


 
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