© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/01 19. Januar 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Zivile Kriegsverbrecher
Carl Gustaf Ströhm

Was hat Biljana Plavsic, die Ex-Präsidentin der "Republika Srpska" in Bosnien dazu bewogen, sich "freiwillig" dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu stellen? Die Biologie-Professorin, die einst dem als "Hauptkriegsverbrecher" gesuchten Radovan Karadzic politisch nahestand, dann aber zur Lieblingspartnerin des Westens mutierte, plädierte auf "nicht schuldig". Die Anklage wirft ihr "ethnische Säuberungen", Vertreibung und Ermordung von Moslems und Kroaten in Bosnien vor.

Daß die Siebzigjährige kein Unschuldsengel ist, pfeifen zwischen Banja Luka und Sarajevo die Spatzen von den immer noch zerschossenen Dächern. Sie ist Beweis dafür, daß auch (intellektuelle) Frauen zu Untaten neigen können. Die Verblendung des großserbischen Extremismus ging so weit, daß Moscheen und katholische Kirchen in ihrem (damaligen) Machtbereich dem Erdboden gleichgemacht und Hunderttausende vertrieben wurden. Noch heute ist die "Republika Srpska" ethnisch weitgehend homogen, sprich rein serbisch.

Als die Plavsic sich vor einigen Jahren vom Großserbentum lossagte und mit dem Westen liebäugelte, wurde sie von ihren eigenen Landsleuten prompt an die Seite gedrängt und verlor ihr Präsidentenamt. Unter den Bewohnern Bosniens wollen aber Gerüchte nicht verstummen, Biljana Plavsic habe einen "geheimen Deal" mit dem Haager Tribunal abgeschlossen: Sie werde als eine Art Kronzeugin gegen Karadzic, General Mladic (den Schlächter von Srebrenica) und möglicherweise gegen Milosevic auftreten, eine "milde Strafe" erhalten und gut davonkommen. Sollte das stimmen, wäre die frühere Präsidentin das Brecheisen, mit welchem der Westen den Widerstand des "neuen" Serbien gegen eine Auslieferung prominenter serbischer "Kriegsverbrecher" zu brechen versucht.

Inzwischen dreht sich die Haager Mühle unverdrossen weiter. Man spricht von der bevorstehenden Auslieferung von sechs Generälen der kroatischen Armee, darunter befindet sich der amtierende Generalstabschef der kroatischen Streitkräfte, General Stipetic. Verurteilt werden nicht nur unmittelbare Täter, sondern auch Offiziere, in deren Befehlsbereich solche Taten begangen wurden. Der Fall Plavsic zeigt, daß sogar Zivilpersonen nicht verschont werden.

So sehr zu wünschen wäre, daß sich die Schuldigen verantworten – aus manchen Kriegsverbrecherprozessen der Vergangenheit wissen wir, daß es eine objektive Bestrafung (oder Freisprechung) oft nicht geben kann, weil politische Interessen die Gerechtigkeit überlagern. Im Falle Ex-Jugoslawiens ist grotesk, daß zwar Verbrechen der Jahre nach 1990 verfolgt werden – sogar international –, daß aber keine einzige Anklage gegen die immer noch frei herumlaufenden kommunistischen Massenmörder erhoben wurde, die 1945 Hunderttausende umbrachten.

Ob ein Gericht im fernen Holland, bestückt mit westlichen Juristen, in einer steril-abstrakten Atmosphäre wirklich wissen kann, warum "da unten, fern in der Türkei" (Bosnien war zu Goethes Zeiten türkisch) "die Völker aufeinanderschlagen" (Faust), muß bezweifelt werden. Wenn die Haager Prozesse dazu dienen sollten, die betroffenen Nationen über einen Kamm zu scheren und sie kleinzukriegen – dann könnte der Schuß leicht zum Rohrkrepierer werden. Kriegsverbrechertribunale sind immer Ausdruck konkreter Machtverhältnisse, daher ist auch gegenüber Den Haag Skepsis angebracht. Politische, ethnische, zivilisatorische Probleme müssen organisch und geduldig gelöst werden. Das bloße Einsperren von Schuldigen kann mehr Unheil als Nutzen schaffen.


 
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