© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
Weltmodellbauer und Kosmosschöpfer
Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, kritisiert Stücke-Zertrümmerer und reibt sich am westlichen Wertesystem
(JF)

Der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, hat sich zu einem Theater der Aufklärung bekannt und den modernen Stücke-Zertrümmerern eine Absage erteilt. "Ich bin fest davon überzeugt, daß das Theater eine erzieherische Aufgabe zu übernehmen hat in dieser bis an den Rand der Fäulnis verrotteten Demokratie in Westeuropa", sagte Peymann in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel. "Wir leben im moralischen Niemandsland", kritisierte der Theatermacher und bezeichnete das Wertesystem als "total im Arsch". Er verwies auf die Verhältnisse in Italien, Österreich, Belgien und die Schwarzgeldaffäre in Deutschland.

"Ich empfinde mich in der Tat als jemand, der mit seiner Arbeit aufklären will", sagte der 63jährige. Man könne es altmodisch nennen, daß er an eine Tradition von Lessing, Schiller und Brecht anknüpfe, "aber es ist mir egal". Die Leute fänden in den Inszenierungen am Berliner Ensemble "eine Moral, die sie woanders vergeblich suchen".

Ohne die großen Stoffe und Mythen stirbt nach Ansicht Peymanns das Theater. "Wir sind ein Zufluchtsort für Autoren, deren Werke eben nicht von originalitätssüchtigen Regisseuren zerstückelt und aufgelöst werden in lauter kleine Elementarteilchen, wie es etwa an der Berliner Volksbühne von Frank Castorf geschieht." Künstler seien Seismographen, fast Propheten, manchmal aber auch nur ein Spiegel in dieser kaputten Welt, "und deshalb kann ich auf dem Theater die jetzige modische Zertrümmerungsphase ja sogar verstehen", sagte Peymann. Das sei der blanke Trotz gegen "uns Weltmodellbauer und Kosmosschöpfer". Er, Peymann, stehe für "die ureigensten Werte des Theaters, für erzählte Geschichten und Zusammenhänge", sagte der Intendant.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen