© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
Kolumne
Preußenerbe
von Klaus Hornung

Immer noch zieht Preußen, an dessen Gründung als Königreich am 18. Januar 1701 wir uns erinnern, Ablehnung, ja Feindschaft vieler auf sich. Es soll, wie es im Gesetz des Alliierten Kontrollrats zur formellen Auflösung Preußens im Februar 1947 hieß, "seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland" gewesen sein. Das war freilich ein Geschichtsirrtum erster Klasse, denn die deutsche Katastrophe von 1945 wurde von ganz anderen Kräften verursacht, dem im Kern ganz und gar unpreußischen politischen Messianismus der Nationalsozialisten.

Preußens geschichtliche Leistung war es gewesen, nach dem Nullpunkt der deutschen Geschichte am Ende des Dreißigjährigen Krieges einen neuen deutschen Kernstaat zu errichten, der dann seine Bewährungsprobe im Kampf gegen die Hegemonie Napoleons und durch die Reformen des Freiherrn vom Stein und Gerhard von Scharnhorsts 1807 – 1815 bestand und so die Grundlagen für das neue deutsche Reich vom 18. Januar 1871 schuf. Und noch der deutsche Widerstand gegen die totalitäre Diktatur stammte zu wesentlichen Teilen aus dem preußischen Erbe.

Was lehrt uns die Vergegenwärtigung Preußens für die deutsche Gegenwart und Zukunft? Sie ist ein Kontrastprogramm zum heutigen "pessimistischen Hedonismus" (Armin Mohler) in Deutschland und zu unserer verbreiteten historisch-politischen Orientierungslosigkeit. Inmitten des Hyper-Individualismus und Materialismus unserer Tage macht uns das preußische Erbe auf die Lebensnotwendigkeit einer überpersönlichen Idee für den geistig-seelischen Gesamthaushalt eines Gemeinwesens aufmerksam.

Henning von Treschkow hat es in dem Satz zusammengefaßt: "Wahres Preußentum heißt Synthese zwischen Bindung und Freiheit, zwischen Stolz auf das Eigene und Verständnis für Andere, zwischen Härte und Mitleid." Das Gemeinwesen kann nicht gesund sein ohne dieses Doppelte: Die Freiheit der Person im Denken und Handeln und ihren Dienst in der Verantwortung gegenüber der Res Publica, in der Kette der Generationen. "Preußen" könnte man das Gegengift nennen zum belanglosen Leben des Menschen als einer "Sommerfliege" (wie der englische Konservative Edmund Burke sagte), gegen den "historischen Analphabetismus" (Alfred Heuß) als das Leben im bloßen Hier und Jetzt statt der Existenz zwischen Herkunft und Zukunft. Gerade Preußen enthält so ein kritisches Potential, das deutlich macht, was unserer Gegenwart fehlt. Es geht um die Gesundung unseres politischen und gesellschaftlichen Lebens, um ein Vermächtnis, das wir nur zu unserem Schaden ausschlagen können.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaften an der Universität Stuttgart-Hohenheim.


 
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