© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
"Ein riesiges Gefahrenpotential"
Kriminalität I: Reale und eingebildete Bedrohungen in Norddeutschland
Carsten Scholte

Militärisch gesprochen begab sich der ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl Mitte November 2000 tief in Feindesland, als er einer Einladung Björn Engholms zu den "Wewelsflether Gesprächen" folgte. Denn 1983 riefen Engholm und Günter Grass diese alljährlichen Zusammenkünfte hinter dem Elbdeich ins Leben, um zumeist linksliberale Nabelschau zu treiben und sich in moralisierender Selbstbestätigung zu üben. Im Vorfeld des Treffens mußte Engholm denn auch von Stahls Einladung gegenüber der Presse rechtfertigen: Das Thema "Augen rechts – Gefahr durch Gewalt und Rassismus" könne man wohl kaum erörtern, wenn man nur im "eigenen Saft schmore".

In dieser Hinsicht enttäuschte von Stahl den Gastgeber dann nicht und gab zum Besten, was am linken Stammtisch Irritationen auslöst. Dem ganz auf "rechte Gewalt" fixierten Podium hielt der Jurist eine ernüchternde Zahl entgegen: 1999 habe es ganze 630 fremdenfeindliche Fälle von Körperverletzung gegeben, im Vergleich zu fast 400.000 nicht politisch motivierten Straftaten dieser Art. Offenbar regelrecht durch von Stahl ermutigt, der noch gar nichts zum hohen Ausländeranteil unter den Straftätern gesagt hatte, ließ sich Henning Voscherau (SPD), Hamburgs Ex-Bürgermeister, zu der Forderung hinreißen: In Fällen schwerer Kriminalität müßten "Ausländer aus Deutschland rausgeschmissen werden".

Unterzieht man sich einmal der Mühe, in einer einzigen unter den in Nordelbien politisch zumeist unisono zwischen linker CDU und rechter SPD eingerasteten Provinz-Zeitungen das Kleingedruckte zu lesen, kehrt sich das in den Schlagzeilen propagierte und suggerierte Schema von den "(möglichst rechten) deutschen Tätern" und ihren "ausländischen Opfern" schnell ins Gegenteil. Und das, obwohl ein Blatt wie die Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, deren Ausgaben zwischen dem 1. November und Jahresende 2000 hier einmal exemplarisch zitiert seien, eine interne Regelung strikt befolgt, mit Angaben zur Nationalität von Straftätern so zurückhaltend wie möglich umzugehen. Bei vielen "Messerattacken" oder Festnahmen von Drogenhändlern bleibt es daher dem Leser überlassen, Fehlendes hinzuzudenken. Aber auch ohne solche privaten Interpolationen, die an die noch zu DDR-Zeiten in so hoher Blüte stehende Kunst des Zwischen-den-Zeilen-Lesens gemahnen, bieten die Meldungsspalten noch Stoff genug.

Der Kriminalitätssektor, auf dem Ausländer nicht nur in Norddeutschland eine marktbeherrschende Stellung innehaben, ist der Drogenhandel. Soweit die SHLZ darüber berichtet, riskieren die Redakteure deshalb seltener eine Verschleierung. So hieß es am 11. November, daß bei einer Razzia in der offenen Drogenszene in Kiels Osten, im Stadtteil Gaarden, zwei junge Türken mit Schußwaffen festgenommen werden konnten; gegen einen der beiden lag bereits ein Haftbefehl vor. Zwei weitere Türken, Drogendealer, setzte man mit 23 Päckchen Heroin und knapp 2.000 Mark Bargeld fest.

Maßnahmen gegen Rauschgifthandel

In Hamburg-Ottensen schloß die Polizei einen türkischen "Kulturverein" und zwei weitere Lokale, nachdem ihr am 22. November ein Schlag gegen den Marihuanahandel gelungen war, den mindestens drei Türken, die bei ihrer Festnahme Messer und Totschläger bei sich trugen, dort organisiert hatten. Zur selben Zeit nahmen Fahnder des Rauschgiftdezernats in Ottensen einen 14jährigen Türken fest, der gerade 580 Gramm Heroin an einen Käufer absetzte. Die zwei türkischen Hintermänner des Jungen konnten ebenfalls gefaßt werden. Kurz vor Weihnachten gelang Beamten der "Gemeinsamen Ermittlungsgruppe von Polizei und Zoll" in Flensburg ein weiterer Schlag gegen den Rauschgifthandel: Bei einem 27jährigen Albaner stellten sie 33 Kilo Haschisch sicher, die für einen "Großabnehmer" im deutsch-dänischen Grenzraum bestimmt waren.

Immer noch gut beschäftigt ist die Polizei mit Bandendelikten, die auf das Konto von Südosteuropäern gehen. Am 7. Dezember machte ein Mobiles Einsatzkommando acht rumänische Einbrecher in Hamburg-Wilhelmsburg dingfest, die in ganz Schleswig-Holstein und Niedersachsen aktiv waren, und die sich bei ihren Raubzügen mit Gullydeckeln und Äxten Zugang zur Beute verschafften. Daß sich ein derartiges Gefahrenpotential auch einmal auf ungewohnte Weise entladen kann, demonstriert der Fall von drei junge Türken aus Elmshorn, die dem "Drogenmilieu zugerechnet" werden. Sie kamen infolge eines etwas makabren "Betriebsunfalls" mit der Polizei in Berührung. Beim Russisch-Roulette mit einer 38er Smith&Wesson schoß sich einer von ihnen so unglücklich in den Kopf, daß man ihm im Heider Westküstenklinikum nicht mehr helfen konnte. Eine Waffe besonderer Art verwendete Ibrahim G. Dem wegen erpresserischem Raub, Körperverletzung und Drogenhandel vorbestraften Türken gehörte einer der beiden Kampfhunde, die im Juni in Wilhelmsburg einen sechsjährigen türkischen Jungen zerfleischten. Daß der Hundehalter, der sich seit Anfang Dezember vor dem Hamburger Landgericht wegen Körperverletzung mit Todesfolge verantworten muß, Türke und ein im Kiez berüchtigter "Prototyp eines Kampfhundbesitzers" (SHLZ) ist, wurde in der groß aufgemachten Berichterstattung seinerzeit lieber verschwiegen.

Ein für die Presse sehr "sensibles" Thema stellen die von Ausländern verübten Sexualdelikte dar, da hier, wie es gewöhnlich heißt, "emotionale Reaktionen" der deutschen Leserschaft am meisten gefürchtet werden. Aber immerhin ließ sich nicht in der üblichen Acht-Zeilen-Dürre abhandeln, daß am 27. November ein "gebrochen deutsch sprechender" Täter in Hamburg-Moorfleet ein zehnjähriges Mädchen in seinen PKW lockte, um sich an ihr zu vergehen. Ohne daß es zur Tatvollendung gekommen war, setzte der Täter das Kind aber wieder aus, bis es dann "verdreckt, durchnäßt und weinend" von einer Passantin in Obhut genommen wurde.

Die Fahndung nach dem "Sexgangster" (SHLZ) verlief ergebnislos. Am 10. Dezember paßte ein "südländisch aussehender" Täter eine zwanzigjährige Frau an ihrer Wohnungstür in Kiel ab, zog sie eine Kellertreppe hinunter und vergewaltigte sein Opfer. Auch hier blieb die Fahndung bislang erfolglos. Zwei Tage vor Weihnachten entging eine 15jährige Schülerin in Elmshorn einer Attacke von ausländischen Jugendlichen, die sie vom Fahrrad stießen. "Von einem Afrikaner" sei sie sexuell belästigt worden, konnte sich aber dank heftiger Gegenwehr aus der gefährlichen Lage befreien. Schnell lebt bei solchen Taten wieder die Erinnerung auf an die brutale Vergewaltigung einer 14jährigen Rendsburger Schülerin durch einen Mann aus dem "ehemaligen Jugoslawien" (November 1998). Oder an den von possenhaften Zügen nicht freien Fall jenes Ghanaers, der von der Presse zum edlen Kronzeugen im "Hamburger Polizeiskandal" gemacht wurde. Bevor dann herauskam, daß er keineswegs ein Opfer von "rassistischer Polizeiwillkür" war, sondern ein gewöhnlicher Krimineller, gegen den zehn Ermittlungsverfahren liefen. Darunter eines wegen versuchter Vergewaltigung einer 31jährigen Hamburgerin.

1999 gab es in Schleswig-Holstein gut 1.100 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts von Sexualdelikten, bei einer geschätzten Dunkelziffer von 20.000. Daß die bündnisgrüne schleswig-holsteinische Justizministerin Anne Lütkes das Augenmerk der Öffentlichkeit in diesem Bereich auf die "häusliche Gewalt", den "Mißbrauch in Ehe und Partnerschaft" lenkt, mag mit Zahlen zu untermauern sein, doch ist evident, daß diese Fokussierung hier gleichzeitig von einem "Ausländerproblem" ablenken soll.

Straßenkrieg zwischen Ausländerbanden

Eine spezifische Grenzlandvariante dieses Problems spielt sich alltäglich zwischen Flensburg und dem nordfriesischen Leck ab: die Schlepper-Kriminalität. Am 21. November meldet die Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, daß dem Bundesgrenzschutz allein am vorausgegangenen Wochenende 53 Personen unterschiedlicher Nationalität beim illegalen Grenzübertritt ins Netz gingen. Eine Woche später faßten dänische Beamte einen aus Tadschikistan stammenden, flüchtigen Asylbewerber aus NRW, der in Bielefeld noch vier Jahre wegen versuchten Totschlags abzusitzen hatte.

Aber angesichts der Gewaltkriminalität, die in Hamburg 1996 und 1997 schon in Straßenkriege zwischen rivaliserenden Türken- und Albanerbanden ausartete, signalisieren Meldungen über illegale Grenzübertritte – ebenso wie Razzien in Bordellen mit "Menschenware", der eine oder andere Schlag gegen ausländische Sozialbetrüger oder die fast 3.000 abgelehnten, aber von der Hamburger Ausländerbehörde nicht abgeschobenen Asylbewerber aus Afrika – fast schon multikulturelle Normalität. Illegale Schleusung, Wirtschaftskriminalität, Rauschgifthandel und Prostitution in Verbindung mit Menschenhandel seien die wichtigsten "Geschäftsfelder" der Organisierten Kriminalität in Hamburg, wo, wie Innensenator Wrocklage und Justizsenatorin Peschel-Gutzeit (beide SPD) zum Jahresende in Hamburg bilanzierten, zwei Drittel der ermittelten Tatverdächtigen Ausländer gewesen seien (laut Hamburger Abendblatt vom 23. Dezember).

Unbeeindruckt von diesem norddeutschen Kriminalitätsalltag versammelten Ministerin Lütkes und ihr Staatssekretär Jöhnk am 29. November in Schleswig 200 hochrangige Juristen des Landes, um zum "Kampf gegen den Rechtsextremismus" aufzurufen und vor einem "riesigen Gefahrenpotential" zu warnen.


 
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