© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
"Fürchterliche Verletzungen"
Ein Offener Brief an Joseph Fischer
Horst Breunig, Hochheim

Herr Joschka Fischer, warum schreibe ich Ihnen? Das ist schnell erkennbar, ich habe eine Vielzahl von Presseberichten gelesen, die sich mit Ihrer "revolutionären" Vergangenheit beschäftigen. Die Berichte beruhen zum Teil auf Zitaten aus dem Buch des Herrn Christian Schmidt "Wir sind die Wahnsinnigen". Ich habe das mit großem Interesse gelesen und eine erhebliche persönliche Betroffenheit festgestellt.

Da ich mich nicht auf den gesamten Inhalt des Buches beziehen kann und will, beschränke ich mich auf die Darstellung zu den Ereignissen um den 10. Mai 1976 in Frankfurt, meinen "zweiten Geburtstag", wenn Sie so wollen. Einer der beiden Insassen des "Polizeiwagens"(Seite 89, Zeilen 27/28) war nämlich ich. Der Richtigkeit halber, es waren drei Insassen: der Hundertschaftsführer, Polizeihauptkommissar (PHK) Breunig, der Hundertschaftstruppenführer, Polizeihauptmeister (PHM) Krenzer, und der Fahrer, Polizeiobermeister (POM) Weber.

PHM Krenzer und mir gelang es, durch schnelle Reaktion dem Feuerüberfall um Sekundenbruchteile zu entkommen; POM Weber, der Fahrer, blieb beim Versuch eines Hechtsprungs aus dem Fahrzeug mit den Füßen an den Pedalen hängen. Er fing Feuer und erlitt die bekannten fürchterlichen Verletzungen, deren Narben ihn zeit seines Lebens beeinträchtigen.

Nachdem ich nun weiß, daß Sie der "Spiritus rector" und Versammlungsleiter der Vorabendveranstaltung im Stadtteilzentrum von Bockenheim waren, steht für mich klar fest, daß Sie die moralische ... Verantwortung für die Ausschreitungen ... des Folgetages tragen.

Es ist mir klar, daß die Veröffentlichung des Buches bewußt in die laufende Wahlkampagne gebracht wurde. Sie mögen das bedauern. Ich bin froh darüber, daß die Wähler in unserem Land eine echte Chance zur Meinungsbildung bekommen, ob sie einem Mann, der sich anschickt, Vertreter des künftigen Bundeskanzlers werden zu wollen, ihre Stimme geben, von dem nunmehr bekannt ist, welcher Wolf sich heutzutage im nadelgestreiften Schafspelz zeigt.

Unsere Geschichte hat schon vielfach Menschen die Chance geboten, vom Saulus zum Paulus zu werden. Dieses Recht räume ich auch Ihnen ein. Nur, dazu gehört nach meiner Auffassung, daß man das Unsinnige seines Tuns einsieht, sich dazu bekennt und sich entsprechend verhält. Der Wandel des Outfits – vom Turnschuh zum Nadelsteifen – reicht dazu nicht aus. Bisher war von Ihnen zu den Vorwürfen nichts zu hören.

Es ist für mich nach wie vor unvorstellbar, daß Menschen wie Sie und Herr Daniel Cohn-Bendit nach solchen ... Fehlleistungen unkommentiert in die höchsten Ränge unserer Volksvertretung gelangen können und auch noch nach mehr Macht streben.

Horst Breunig, Hochheim


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen