© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/01 05. Januar 2001

 
Kolumne
Mitläufer
von Klaus Motschmann

Bundespräsident Rau hat anläßlich seines Besuches in Sebnitz Mitte Dezember einige bemerkenswerte Erklärungen abgegeben, die bei allem Respekt vor dem Bundespräsidenten und bei aller Berücksichtigung der Probleme dieses Besuches zu einigen Rückfragen herausfordern. Ihm sei in Sebnitz klargeworden, wie schnell Gerüchte und Vorurteile zu Vorverurteilungen führen, die eine ganze Stadt in Verruf bringen. Erst in Sebnitz?

"Einige Medienvertreter" sollten sich wegen der haltlosen Berichterstattung über einen angeblichen Neonazi-Mord an einem kleinen Jungen im Juni 1997 unter den Augen vieler Sebnitzer entschuldigen. Warum nur "einige" Medienvertreter"?

Aber was haben die anderen Medien, die jetzt so gerne die Erklärungen Raus aufgreifen und wie weiland Pilatus die Hände in Unschuld waschen, getan, um der Massenhysterie dieses "deutschen Herbstes" entgegenzutreten? Haben sie nicht in der seit Monaten andauernden Kampagne "gegen Rechts" auf ihre Weise ein geistiges Meinungsklima erzeugt, das eine notwendige Voraussetzung für derartige Inszenierungen politischer Massenagitation ist? Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen war ein kräftiges "Chorheulen der Wölfe" (Elisabeth Noelle-Neumann) zu vernehmen, wie man es bislang nur in totalitären Systemen kannte. Damit soll keine Gleichsetzung vorgenommen werden.

In den totalitären Systemen unterstanden die Medien selbstverständlich der straffen ideologischen und politischen Kontrolle des Staates bzw. der Staatspartei; aber eben nicht nur die Medien: auch Bildung und Wissenschaft, Kunst und Rechtsprechung, Verwaltung und Wirtschaft hatten sich an der jeweils diktierten Generallinie der Partei auszurichten. Jedermann wußte, daß der persönliche Entscheidungsspielraum außerordentlich eng bemessen war und daß Verstöße gegen die jeweils verordneten Direktiven nicht nur schwere berufliche, sondern auch persönliche Konsequenzen nach sich zogen. Insofern zeugen die heutigen Vorwürfe gegen das "Mitläufertum" und gegen das "Wegsehen" bei Unrechtstaten von einer ebenso arroganten wie ignoranten Inquisitionsmentalität, die alles in den Schatten stellt, was wir in dieser Hinsicht im Laufe unserer jüngeren Geschichte erlebt haben. Denn wer wird heute staatlicherseits gezwungen, sich an Medienkampagnen à la Sebnitz zu beteiligen? Die Einordnung erfolgt doch freiwillig! Freiwillige Hingabe wird seit jeher aber härter beurteilt und verurteilt als Anpassung unter Zwang. "Zivilcourage" und "Gesicht zeigen" sollte man nicht nur von anderen fordern, sondern als Vorbild praktizieren.Der Jahresbeginn ist ein Zeitpunkt guter Vorsätze.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin


 
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