© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
Wiedervereinigung nicht aktiv angestrebt
Unter Eberhard Diepgens Fittichen wird eine etwas geschönte deutsch-deutsche Bilanz gezogen
Detlef Kühn

Politiker schreiben, trotz ihrer großen zeitlichen Belastungen, gern Bücher (oder lassen sie schreiben). Meist soll das der Festigung eines bestimmten Geschichtsbildes dienen. Manchmal begnügen sie sich auch mit der Rolle eines Herausgebers von Sammelbänden. Darin geht es im allgemeinen sehr ausgewogen zu. Dies gilt auch für das hier anzuzeigende Buch, in dem unter der Herausgeberschaft des Berliner Regierenden Bürgermeisters siebzehn Autoren und drei Teilnehmer eines protokollierten Gesprächs zehn Jahre nach der Wiedervereinigung ihre Erlebnisse, ihre Sicht der Geschichte und der Gegenwart sowie ihre Hoffnungen und Erwartungen für die Zukunft darstellen dürfen.

Es verwundert nicht, daß die beteiligten Politiker – Eberhard Diepgen, Hans-Dietrich Genscher, Stephan Hilsberg und Wolfgang Schäuble – mit ihrer jeweils eigenen Rolle bei der Überwindung der Teilung Deutschlands und im Prozeß des Zusammenwachsens zufrieden sind. Das gilt auch für die Geschäftsleute unter den Autoren. Gelegentlich hilft dabei ein selektives Erinnerungsvermögen, etwa wenn Genscher (zutreffend) darauf hinweist, daß das Grundgesetz und der sogenannte Hannel-Bericht der Nato von 1967 eine zielgerichtete aktive Wiedervereinigungspolitik verlangten – aber verdrängt, daß nur eine Handvoll meist einflußloser westlicher Politiker dies als konkreten Auftrag verstanden. Daran erinnert ihn dann Hilsberg, der sich als ehemaliger DDR-Bürger keinem entsprechenden Vorwurf ausgesetzt sieht.

Der amerikanische Botschafter John C. Kornblum, Deutschlandexperte seit den sechziger Jahren, darf auf die positive Rolle der USA bei der Wiedervereinigung hinweisen und hat es insofern leichter, als es britische oder französische Kollegen von ihm gehabt hätten, die allerdings in dem Buch auch nicht zu Wort kommen. Interessant Kornblums Mitteilung, er habe "hart daran gearbeitet", die berühmte Aufforderung an Gorbatschow beim Besuch des US-Präsidenten Reagan 1987 in Berlin ("Reißen Sie diese Mauer nieder!") in dessen Rede unterzubringen. Die erste Reaktion der deutschen Kollegen und der Presse sei "von Zweifeln geprägt" gewesen – eine hübsch diplomatische Formulierung für Unverständnis und Ablehnung, die Reagans Äußerung damals meist hervorrief.

Man findet in dem Buch auch vier oder fünf Beiträge, die überraschende Einblicke gestatten. Suat Bakir, ein seit 30 Jahren in Berlin lebender türkischer Geschäftsmann mit deutschem Paß, behauptet, "ganz unpolitisch, nur aus dem Gefühl heraus" zu schreiben, und teilt dann der deutschen Politik mit, "jede Politik gegen die Interessen der Türkei" habe "eine direkte negative Auswirkung auf die Meinungsbildung der in Deutschland lebenden Türken". Gemeint ist die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union. Für die Interessen der Deutschen hat er trotz der von ihm wohl angestrebten Mittlerrolle noch kein Sensorium entwickelt.

Lesenswert der Architekt Joseph Paul Kleihues, der auf die Bedeutung des Wiederaufbaus von Gebäuden für die historische Erinnerung hinweist, sowie die Erfahrungen des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Berlin, Andreas Nachama, mit der DDR und dem Leben in Berlin. Schade nur, daß auch er die Täter des Sprengstoffattentats von Düsseldorf sich offenbar nur als deutsche Antisemiten vorzustellen vermag (inzwischen wird hauptsächlich in Richtung organisierte Kriminalität, Stichwort Russen-Mafia, ermittelt). Erfrischend auch die Demaskierung der Antifa-Bewegung, die der Bürgerrechtler und jetzige Mitarbeiter der Gauck-Behörde Erhart Neubert vornimmt, der daran erinnert, daß "dieser Antifaschismus keine Orientierung an demokratischen Werten und schon gar nicht an einer mit der demokratischen Verfassung gebundenen nationalen Idee" hat. Insgesamt liegt ein Buch vor, das manche Platitüde, aber auch ein paar Perlen enthält.

 

Eberhard Diepgen (Hrsg.): Deutsche Einheit. Gedanken, Einsichten und Perspektiven, Jaron Verlag, Berlin 2000, 239 S., 29,80 Mark

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn.


 
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