© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
Historisches Vorbild
Studie: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus
Michael Schmidt

Im Jahre 1987 beauftragten der damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) und die Kultusminister der Länder das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim und die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden mit der Ausarbeitung von Vorschlägen zu einer geplanten Reform der deutschen Rechtschreibung.

Ein Jahr später traten diese mit den ersten Vorschlägen an die Öffentlichkeit: Wegfall von Doppelvokalen ("Bot" statt "Boot", "Al" statt "Aal"), Ersatz von ai durch ei ("Keiser" statt "Kaiser"). Die Kulturminister lehnten diese Vorschläge als "zu starken Eingriff in die Laut-Buchstaben-Zuordnung" ab.

Peinlich an diesen Vorschlägen war jedoch weniger die Radikalität des Reformvorhabens als vielmehr die Tatsache, daß die vorgeschlagenen Änderungen historisch belastet waren. Schon im Juni 1941 hatte der Reichserziehungsminister Bernhard Rust eine Kommission gebeten, Vorschläge für eine "Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung" vorzulegen. Im August 1941 legte die Kommission, der Vertreter der Lehrer und der Sprachwissenschaft angehörten, die Ergebnisse in einem vierseitigen Typoskript vor. Sie sahen zum Beispiel die Einführung der gemäßigten Kleinschreibung vor (Großschreibung von Namen und am Satzanfang und bei der Anrede "Sie"), den Verzicht auf Dehnungsbezeichnung (also "bot", "kan", "di libe") sowie den Ersatz von v durch f ("fers", "frefel"), ai durch ei ("keiser"), x, chs und cks durch ks ("seks") und qu durch kw ("kwelle").

Diese und andere geplante Vorschläge wurden jedoch wegen der Kriegswirren nie umgesetzt.

In einer sehr materialreichen und ausgezeichnet recherchierten Untersuchung, veröffentlicht durch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, haben die beiden Germanisten Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner das Thema Rechtschreibreform und Nationalsozialismus behandelt. Was Leser dieser Studie so betroffen macht, ist nicht nur die Rolle der Germanistik im Dritten Reich, ein Thema, das wissenschaftlich endlich aufgearbeitet werden sollte, sondern die nicht zu übersehenden Parallelen zwischen einer nicht umgesetzten Reform aus dem Jahr 1941 und einer umgesetzten Reform aus dem Jahr 1996:

– die Neubearbeitung des s-Lauts: ss nach kurzem Vokal, ß nach langem Vokal

– Ersatz von th durch t ("Panter")

– Ersatz von rh durch r ("Katarr")

– Silbentrennung nach Sprechsilben ("Gers-te", "wa-rum")

– Eindeutschungen: Ersatz von ch durch sch, wobei die aktuelle Reform nicht nur französische Wörter berücksichtigt ("Ketschup", "Schikoree", "Sketsch")

– Wegfall des Kommas vor "und" und "oder".

Wie die beiden Autoren in ihrem Vorwort ausführen, sollte die Reform aus der Hitler-Zeit in drei Generationen erfolgen, wobei die dritte im Jahr 2005 abgeschlossen wäre. Merkwürdig, daß die Väter der Reform von 1996 ebenfalls das Jahr 2005 als Ende einer Übergangsphase angesetzt haben. Was am meisten beunruhigt, ist die Tatsache, daß in der Diskussion um die Rechtschreibreform der historische Aspekt stets ausgeklammert wurde. Offenbar aus gutem Grund!

Wie sehr diese Rechtschreibreform einem "Staffellauf" gleicht, bei dem der "Stab unabhängig davon weitergereicht wurde, ob in Deutschland eine Monarchie, eine Diktatur oder eine Demokratie den Herrschaftsrahmen abgab", hat Kurt Reumann in seiner Chronik "Die ungeliebte Rechtschreibreform" aufgezeigt. Darin verweist er auf die Geschichte der deutschen Rechtschreibreform seit 1876. Seit der Gründung des "Bunds für vereinfachte Rechtschreibung" im Jahre 1924 taucht in regelmäßigen Abständen die Forderung nach einer Kleinschreibung von Substantiven auf. Bis in die Gegenwart bemüht man sich darum, der gesprochenen Sprache einen Vorzug gegenüber der Schriftsprache einzuräumen, da diese ein Privileg der Gebildeten ist.

Nachzulesen ist diese Chronik Reumanns in der Dokumentation "Die Reform als Diktat", die von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung herausgegeben wurde (siehe Info-Kasten). In acht Themenkreisen informieren und kommentieren Sprachwissenschaftler, Schriftsteller, Journalisten und Lehrer über die Entwicklung der Rechtschreibreform in Deutschland seit 1994. Bereits hier erfährt der Leser von der fatalen Verquickung der jetzigen Rechtschreibreform mit den Vorschlägen aus den Jahren 1931 und 1941 bzw. 1944. Doch erst die Untersuchung von Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner hat die Parallelen überzeugend nachgewiesen. Den beiden Autoren ist es zu danken, daß Verdrängtes und Versäumtes zum Thema deutsche Sprache in diesem Band endlich aufgearbeitet wurde.

Reform-Diktat

Mit einem publizistischen Paukenschlag kehrte die FAZ am 1. August dieses Jahres zur alten Rechtschreibung zurück. In der 120 Seiten starken Broschüre "Die Reform als Diktat" zeichnet die Zeitung jetzt anhand von in der FAZ erschienenen Artikeln die Auseinanderstezung um diese Reform nach. Konatkt: FAZ, Hellerhofstr. 2–4, 60327 Frankfurt am Main. Tel.: 069 / 75 91-0

 

Hanno Birken-Bertsch / Reinhard Markner: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Ein Kapitel aus der politischen Geschichte der deutschen Sprache. Wallstein-Verlag, Göttingen 2000, 134 S., 29 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen